Urteil des BFH vom 20.03.2014

Aufwendungen für einen Hausanschluss als steuerbegünstigte Handwerkerleistung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.3.2014, VI R 56/12
Aufwendungen für einen Hausanschluss als steuerbegünstigte Handwerkerleistung
Leitsätze
1. Auch die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf
fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund erbracht werden, kann als Handwerkerleistung nach §
35a Abs. 2 Satz 2 EStG begünstigt sein (entgegen BMF-Schreiben vom 10. Januar 2014 IV C 4-S
2296-b/07/0003:004, 2014/0023765, BStBl I 2014, 75).
2. Es muss sich dabei allerdings um Tätigkeiten handeln, die in unmittelbarem räumlichen
Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen. Hiervon ist
insbesondere auszugehen, wenn der Haushalt des Steuerpflichtigen an das öffentliche
Versorgungsnetz angeschlossen wird.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob und in welchem Umfang auch die auf das öffentliche Straßenland vor dem
Grundstück entfallenden Aufwendungen für den Anschluss eines Grundstücks an zentrale
Anlagen der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung durch den zuständigen
Zweckverband als Handwerkerleistungen gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes in der bis zum Streitjahr geltend Fassung (EStG) zu
berücksichtigen sind.
2 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zusammen zur Einkommensteuer veranlagte
Eheleute, erwarben mit Kaufvertrag vom Dezember 2001 das Grundstück X in Y-Dorf und
errichteten darauf in 2002 ein Einfamilienhaus, das sie seit der Fertigstellung für eigene
Wohnzwecke nutzten. Zunächst wurde das Objekt durch einen Brunnen mit Trinkwasser
versorgt. Das Abwasser wurde über eine Grube entsorgt.
3 Ab 2005 schloss der zuständige Zweckverband das Grundstück an zentrale Anlagen der
Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung an. Für die Herstellung der
Hausanschlüsse setzte der Zweckverband gegenüber den Klägern mit Bescheiden vom Juni
2007 Kostenersatzbeträge in Höhe von 910,21 EUR und 651,99 EUR fest, die die Kläger am
31. Juli 2007 durch Überweisung von ihrem Bankkonto beglichen. Darüber hinaus sind den
Klägern Kosten für die Installation eines Wasserzählers in Höhe von 58,75 EUR entstanden,
die ebenfalls durch Überweisung getilgt wurden.
4 Diese Aufwendungen machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung für das
Streitjahr (2007) erfolglos als Handwerkerleistungen i.S. des § 35a EStG geltend. Auch der
Einspruch der Kläger blieb ohne Erfolg.
5 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
2012, 2208 veröffentlichten Gründen statt.
6 Mit der Revision rügt der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Verletzung
materiellen Rechts.
7 Es beantragt,
das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15. August 2012 7 K 7310/10 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
8 Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung). Das FG hat zu Recht entschieden, dass den Klägern für die
streitigen Kosten für den Haus(wasser)anschluss (Trink- und Abwasser) die
Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG zu gewähren ist.
10 1. Nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG ermäßigt sich auf Antrag die tarifliche Einkommensteuer
für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und
Modernisierungsmaßnahmen, die in einem inländischen Haushalt des Steuerpflichtigen
erbracht werden, um 20 %, höchstens um 600 EUR. Nach § 35a Abs. 2 Satz 3 EStG gilt die
Ermäßigung nur für Arbeitskosten.
11 a) Handwerkerleistungen sind einfache wie qualifizierte handwerkliche Tätigkeiten,
unabhängig davon, ob es sich um regelmäßig vorzunehmende Renovierungsarbeiten oder
um Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen handelt (vgl. Senatsurteil vom 6. Mai 2010
VI R 4/09, BFHE 229, 534, BStBl II 2011, 909). Begünstigt werden handwerkliche
Tätigkeiten, die von Mietern und Eigentümern für die zu eigenen Wohnzwecken genutzte
Wohnung in Auftrag gegeben werden, z.B. das Streichen und Tapezieren von Innenwänden,
die Beseitigung kleinerer Schäden, die Erneuerung eines Bodenbelags (Teppichboden,
Parkett oder Fliesen), die Modernisierung des Badezimmers oder der Austausch von
Fenstern. Hierzu gehören auch Aufwendungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und
Modernisierungsarbeiten auf dem Grundstück, z.B. Garten- und Wegebauarbeiten
(BTDrucks 16/643, 10, und BTDrucks 16/753, 11), aber auch die Reparatur, Wartung und
Austausch von Gas- und Wasserinstallationen (Barein in Littmann/Bitz/ Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 35a Rz 25).
12 b) Nach allgemeiner Meinung ist nicht erforderlich, dass der Leistungserbringer in die
Handwerksrolle eingetragen ist (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --
BMF-- vom 15. Februar 2010 IV C 4-S 2296-b/07/0003, 2010/0014334, BStBl I 2010, 140,
Tz. 21, ersetzt durch BMF-Schreiben vom 10. Januar 2014 IV C 4-S 2296-b/07/0003:004,
2014/0023765, BStBl I 2014, 75, Tz. 23). Auch Kleinunternehmer i.S. des § 19 des
Umsatzsteuergesetzes (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 140, Tz. 21, ersetzt durch BMF-
Schreiben in BStBl I 2014, 75, Tz. 23) oder die öffentliche Hand können steuerbegünstigte
Handwerkerleistungen erbringen (Apitz in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 35a EStG Rz 21;
vgl. Eversloh in Lademann, EStG, § 35a EStG Rz 86; Wüllenkemper, EFG 2013, 52; BMF-
Schreiben in BStBl I 2010, 140 ). Dies gilt insbesondere dann, wenn eine
juristische Person des öffentlichen Rechts (beispielsweise ein Zweckverband) mit dem
Verlegen der Hausanschlussleitungen (= die Verbindung des Wasser-Verteilungsnetzes mit
der Anlage des Grundstückseigentümers, vgl. § 10 Abs. 1 der Verordnung über Allgemeine
Bedingungen für die Versorgung mit Wasser --AVBWasserV-- vom 20. Juni 1980, BGBl I
1980, 750) gegen Kostenerstattung im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art
unternehmerisch tätig geworden ist (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. Oktober
2008 V R 61/03, BFHE 222, 176, BStBl II 2009, 321; BMF-Schreiben vom 7. April 2009
IV B 8-S 7100/07/10024, 2009/0215132, BStBl I 2009, 531). Auf welcher Rechtsgrundlage
die öffentliche Hand die Kosten (Heranziehungsbescheid, öffentlich-rechtlicher Vertrag) für
den Hausanschluss erhebt, ist insoweit ebenso unerheblich wie der Umstand, ob diese
Leistung "eigenhändig" oder durch einen von ihr beauftragten bauausführenden Dritten
erbracht wird. Denn auch insoweit nimmt der Steuerpflichtige eine, wenn auch durch eine
juristische Person vermittelte, Handwerkerleistung in Anspruch.
13 c) Die Handwerkerleistung muss ferner "in" einem inländischen Haushalt des
Steuerpflichtigen erbracht werden. Hieraus wird geschlossen, dass nur handwerkliche
Tätigkeiten, die in der privaten Wohnung bzw. dem Haus nebst Zubehörräumen und Garten
geleistet werden, nicht aber solche, die "für" den Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht
werden, nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG begünstigt sind (BMF-Schreiben in BStBl I 2010,
140, Tz. 15, ersetzt durch BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 75, Tz. 15; FG München vom
24. Oktober 2011 7 K 2544/09, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2012, 1118).
14 Dieses enge Verständnis der Vorschrift greift nach Auffassung des erkennenden Senats
jedoch zu kurz. Denn der Begriff "im Haushalt" ist räumlich-funktional auszulegen (vgl.
Kratzsch in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 35a Rz 77; Eversloh in Lademann, EStG,
§ 35a EStG Rz 92; Wüllenkemper, EFG 2013, 52; Bode, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 35a Rz D 7, E 7; Schmidt/Krüger, EStG, 32. Aufl., § 35a Rz 4).
15 Deshalb werden die Grenzen des Haushalts i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG nicht
ausnahmslos --unabhängig von den Eigentumsverhältnissen-- durch die
Grundstücksgrenzen abgesteckt (Senatsurteil vom 20. März 2014 VI R 55/12, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt; entgegen BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 140, Tz. 15, ersetzt
durch BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 75, Tz. 15). Vielmehr kann auch die
Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf
fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund erbracht werden, nach § 35a Abs. 2 Satz 2
EStG begünstigt sein. Es muss sich dabei allerdings um Leistungen handeln, die in
unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem
Haushalt dienen (Schmidt/Krüger, EStG, 32. Aufl., § 35a Rz 4; vgl. auch Köhler in
Bordewin/Brandt, EStG, § 35a Rz 300 f.). Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der
Haushalt des Steuerpflichtigen an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen wird.
16 Zwar handelt es sich bei Hausanschlüssen (auch insoweit als die Anschlussleitung
innerhalb des Privatgrundstücks des Anschlussnehmers verläuft) um Betriebsanlagen des
Wasserversorgungsunternehmens (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 AVBWasserV; Urteile des
Bundesgerichtshofs vom 7. Februar 2008 III ZR 307/05, Neue Juristische Wochenschrift-
Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2008, 771, und vom 1. Februar 2007
III ZR 289/06, NJW-RR 2007, 823). Gleichwohl ist der Hausanschluss insgesamt und damit
auch, soweit er im öffentlichen Straßenraum verläuft, zum Haushalt i.S. des § 35a Abs. 2
Satz 2 EStG zu zählen (entgegen BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 140, Tz. 12, 15, ersetzt
durch BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 75, Tz. 9, 15). Denn über diesen wird der auf dem
Grundstück gelegene Haushalt des Steuerpflichtigen über das öffentliche Versorgungsnetz
mit den für eine Haushaltsführung notwendigen Leistungen der Daseinsfürsorge versorgt.
Ein Hausanschluss stellt sich damit als notwendige Voraussetzung eines Haushalts dar.
17 Entsprechende Handwerkerleistungen sind folglich nicht nur anteilig, soweit sie auf
Privatgelände entfallen, sondern in vollem Umfang nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG
begünstigt (Schmidt/Krüger, EStG, 32. Aufl., § 35a Rz 4; Bode, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 35a Rz D 7, E 7; Kratzsch in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 35a Rz 71 f., 77;
Eversloh in Lademann, EStG, § 35a EStG Rz 92; Wüllenkemper, EFG 2013, 52; a.A. Fischer
in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 35a Rz 7; Durst in Korn, § 35a EStG Rz 41; Heß/Görn,
Deutsches Steuerrecht 2007, 1804 <1805>).
18 d) Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG stehen dieser Auslegung
der Vorschrift nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 20. März 2014 VI R 55/12, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt; entgegen BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 140, Tz. 15, ersetzt
durch BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 75, Tz. 15).
19 2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG die streitigen Aufwendungen der Kläger für den
Wasserhausanschluss zu Recht in Höhe der geschätzten Arbeitskosten als
Handwerkerleistungen für eine Modernisierungsmaßnahme beurteilt, die den Klägern die
begehrte Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG vermitteln. Die vom FA
erhobenen Einwendungen gegen die Schätzung der Arbeitskosten greifen nicht durch. Die
Erkenntnis des FG, dass die mit der Herstellung des Hausanschlusses verbundenen
Tiefbauarbeiten höhere Arbeitskosten als Materialkosten nach sich gezogen hätten, diese
Materialkosten jedoch nicht von gänzlich untergeordneter Bedeutung seien und die
daraufhin vorgenommene Aufteilung der Gesamtkosten (60 % Arbeitskosten) begegnet
keinen revisionsrechtlichen Bedenken. Denn Verstöße gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze sind insoweit weder vorgetragen noch ersichtlich. Damit war die Revision
des FA zurückzuweisen.