Urteil des BFH vom 21.11.2013

Zur Aufteilbarkeit der Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer - Vorlage an den Großen Senat

BUNDESFINANZHOF Entscheidung vom 21.11.2013, IX R 23/12
Zur Aufteilbarkeit der Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer - Vorlage an den Großen Senat
Leitsätze
Dem Großen Senat werden gemäß § 11 Abs. 4 FGO folgende Rechtsfragen zur Entscheidung
vorgelegt:
1. Setzt der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers voraus, dass der jeweilige Raum (nahezu)
ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt wird?
2. Sind die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer entsprechend den Grundsätzen des
Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 21. September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1, BStBl
II 2010, 672) aufzuteilen?
Tatbestand
1 I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers
voraussetzt, dass der jeweilige Raum (nahezu) ausschließlich für betriebliche/berufliche
Zwecke genutzt wird und ob die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
entsprechend den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des Bundesfinanzhofs
(BFH) vom 21. September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672) aufzuteilen sind.
2 1. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bewohnte mit seiner Ehefrau ein beiden
gehörendes Einfamilienhaus in R. Er ist überdies Eigentümer zweier vermieteter
Mehrfamilienhäuser. Der Kläger erklärte für das Streitjahr 2006 Mieteinnahmen aus der
Vermietung der Objekte und sonstiger Flächen in Höhe von insgesamt 94.047 EUR und
Werbungskosten in Höhe von insgesamt 99.852 EUR.
3 Mit seinem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 machte der Kläger
erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in dem Objekt in R in Höhe von
804 EUR im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend, da das
Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit bilde. Dabei verwies der
Kläger auf einen "Tätigkeitsbericht" über die Arbeiten, die er im häuslichen Arbeitszimmer
verrichtet habe, sowie auf Fotos u.a. von einem Schreibtisch, Büroschränken und Regalen
sowie diversen Leitzordnern. Im Arbeitszimmer steht ein Computer. Die Aufwendungen
setzen sich aus Absetzung für Abnutzung (218 EUR) und anteiligen sonstigen Kosten
(Gebäudeversicherung, Niederschlagswasser, Grundbesitzabgaben, Zinsen, Energiekosten
in Höhe von 586 EUR) zusammen.
4 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ die Aufwendungen nicht zum
Abzug zu.
5 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt und berücksichtigte in seinem in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 2100 veröffentlichten Urteil die Aufwendungen für
das Arbeitszimmer in Höhe von 60 % der entstandenen Raumkosten als gemäß § 9 Abs. 1
Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehbare Werbungskosten bei Vermietung
und Verpachtung. Der Kläger könne 60 % seiner Aufwendungen (804 EUR x 60 % =
482 EUR) als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung
absetzen, obwohl er den Arbeitsraum zur Überzeugung des Senats nicht (nahezu)
ausschließlich zur Einkünfteerzielung nutzte. Eine Nutzung im Umfang von 60 % habe er
indes nachgewiesen.
6 2. Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung von § 9 Abs. 5
Satz 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG rügt. Das FG verkenne, dass § 4
Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG eine Spezialnorm zur Abzugsfähigkeit
von Raumkosten für ein "häusliches Arbeitszimmer" darstelle. Insoweit unterscheide sich der
Fall des Arbeitszimmers von dem durch den Großen Senat des BFH entschiedenen Fall, in
dem der Abzug von Kosten (Reisekosten) zu beurteilen gewesen sei, für die das
Einkommensteuergesetz keine besondere Regelung vorhalte (Beschluss des Großen
Senats in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672).
7 Das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG
gelte ungeachtet der betrieblichen oder beruflichen Veranlassung der Aufwendungen. Mit
Bejahung des Tatbestandsmerkmals "häusliches Arbeitszimmer" lägen grundsätzlich
Betriebsausgaben/Werbungskosten gemäß §§ 4 Abs. 4 bzw. 9 Abs. 1 EStG vor, deren
Abziehbarkeit durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG (i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG)
eingeschränkt werde; eine Anerkennung gemischter Aufwendungen, wie sie die
Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 eröffne, sei
insoweit ausgeschlossen.
8 Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2006 dahingehend zu
bestätigen, dass die festgesetzte Einkommensteuer 2006 1.082 EUR betrage.
9 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 3. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es führt im
Wesentlichen Folgendes aus:
11 § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG sei eine von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG unabhängige,
abschließende Regelung zur Abzugsmöglichkeit für Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer. Nur durch das Merkmal der ausschließlichen betrieblichen/beruflichen
Nutzung sei gewährleistet, dass das Arbeitszimmer vom privaten Bereich der Lebensführung
hinreichend abgegrenzt werde. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in
seinem Beschluss vom 6. Juli 2010 2 BvL 13/09 (BVerfGE 126, 268) seiner Prüfung die
ausschließliche berufliche Nutzung als zwingende Voraussetzung zugrunde gelegt. Ein
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes wurde nur insoweit festgestellt, als
Aufwendungen für ein ausschließlich betrieblich oder beruflich genutztes häusliches
Arbeitszimmer auch dann von der steuerlichen Berücksichtigung ausgeschlossen werden,
wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung
stehe.
12 Lasse man eine Aufteilung im Einzelfall zu, müsse der betriebliche und private
Nutzungsanteil ermittelt werden; eine pauschale Schätzung genüge nicht.
Praktikabilitätserwägungen sprächen indes gegen eine solche Aufteilung der
Aufwendungen. Auch bilanziell sei das ganze Arbeitszimmer ein Wirtschaftsgut. Der Typus
des häuslichen Arbeitszimmers gestatte mithin keine Einbeziehung von Arbeitsecken.
Entscheidungsgründe
13 II. Der Senat verneint die erste und bejaht die zweite Vorlagefrage. Er beabsichtigt, die
Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen. Der Senat vertritt die Auffassung, dass
der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers die (nahezu) ausschließliche
betriebliche/berufliche Nutzung des jeweiligen Raumes nicht voraussetzt. Die
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind daher entsprechend den Grundsätzen
des Beschlusses des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672
aufzuteilen.
14 1. Bisherige Rechtsprechung
15 a) Vor Geltung der Sonderregelung zum Arbeitszimmer in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG
ging der BFH davon aus, dass Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nach § 4
Abs. 4 EStG als Betriebsausgaben abzuziehen sind, wenn der fragliche Raum
ausschließlich oder fast ausschließlich beruflich genutzt wird; bei einer mehr als nur
geringfügigen privaten Mitbenutzung stand § 12 Nr. 1 EStG einem Abzug solcher
Aufwendungen entgegen (BFH-Urteil vom 6. Februar 1992 IV R 85/90, BFHE 167, 114,
BStBl II 1992, 528).
16 Der gesetzlich nicht näher bestimmte Begriff des häuslichen Arbeitszimmers in § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 6 b EStG erfasste nach bisheriger ständiger Rechtsprechung das häusliche Büro,
d.h. einen Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche
Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher,
schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient. Der Nutzung entsprechend sei das
häusliche Arbeitszimmer typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet, wobei der
Schreibtisch regelmäßig das zentrale Möbelstück darstellt (BFH-Urteil vom 20. Juni 2012
IX R 56/10, BFH/NV 2012, 1776, m.w.N.). Die Grenzen seien fließend. Ob ein Raum als
häusliches Arbeitszimmer anzusehen sei, lasse sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung
der Einzelumstände entscheiden (BFH-Urteile vom 18. April 2012 X R 57/09, BFHE 237,
311, BStBl II 2012, 770; vom 10. Oktober 2012 VIII R 44/10, BFH/NV 2013, 359). Vorrangig
und maßgeblich sei dabei auf die Qualität des betroffenen Raumes abzustellen (BFH-Urteile
vom 28. August 2003 IV R 53/01, BFHE 203, 324, BStBl II 2004, 55; vom 20. November 2003
IV R 3/02, BFHE 205, 46, BStBl II 2005, 203).
17 b) War eine Zuordnung zum Typus des häuslichen Arbeitszimmers i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 6 b EStG nicht möglich, hat der BFH zum Teil ebenfalls die von der Rechtsprechung zu
§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG entwickelten Kriterien zur Abgrenzung einer nahezu ausschließlich
betrieblichen Veranlassung der Nutzung gegenüber einer nicht unwesentlichen privaten
Mitveranlassung berücksichtigt (BFH-Urteil vom 22. November 2006 X R 1/05, BFHE 216,
110, BStBl II 2007, 304).
18 c) Auch unter Geltung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG wurde seitens der Rechtsprechung
für den Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer zum Teil verlangt, dass
dieses "so gut wie ausschließlich beruflich genutzt" werde (BFH-Urteil vom 29. November
2006 VI R 3/04, BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308; Beschluss vom 13. November 2007
VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219) oder "ausschließlich oder zumindest nahezu
ausschließlich betrieblichen oder beruflichen Zwecken diente" (BFH-Beschlüsse vom
19. Juli 2005 VI B 175/04, BFH/NV 2005, 2000; vom 4. Mai 2005 VI B 35/04, BFH/NV 2005,
1549). Dies wurde insbesondere damit begründet, dass zwischen dem privaten
Wohnbereich und dem Arbeitszimmer eine klare Abgrenzung gegeben sein müsse (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308, m.w.N.). Denn für Aufwendungen, die nicht
nur unerheblich privat mitveranlasst seien und bei denen sich private und betriebliche
Veranlassung nicht leicht und zweifelsfrei trennen ließen, gelte das von der Rechtsprechung
aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG abgeleitete Aufteilungs- und Abzugsverbot (vgl. BFH-Urteil vom
5. Dezember 2002 IV R 7/01, BFHE 201, 166, BStBl II 2003, 463). Die Berechtigung für die
Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG erwachse daraus, dass die
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer die private Lebensführung berührten (BFH-
Beschluss in BFH/NV 2005, 2000): Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass ein häusliches
Arbeitszimmer aufgrund seiner Eigenart eine gewisse Nähe zum privaten Wohnen habe;
diesem Umstand, der gemäß § 12 Nr. 1 EStG zu einem vollständigen Abzugsverbot führen
könne, nehme er berechtigterweise zum Anlass, die Abziehbarkeit der Aufwendungen zu
beschränken (vgl. BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BFHE 201, 27, BStBl II
2003, 185).
19 2. Auffassung der Finanzverwaltung
20 Die Finanzverwaltung setzt für die Qualifikation eines Raumes als häusliches Arbeitszimmer
eine (nahezu) ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung voraus. Lediglich eine
untergeordnete private Mitbenutzung soll unschädlich sein (Schreiben des BMF vom 2. März
2011, BStBl I 2011, 195, Tz 3). Dies gelte insbesondere auch unter Berücksichtigung der
Ausführungen im Beschluss des Großen Senats in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 (s. BMF-
Schreiben vom 6. Juli 2010, BStBl I 2010, 614, Tz 7).
21 3. Auffassungen im Schrifttum
22 Die Literatur hält teilweise die Aufteilung der Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer wegen der Aufgabe der Rechtsprechung zum Aufteilungs- und Abzugsverbot
durch die Entscheidung des Großen Senats für geboten oder zumindest die Voraussetzung
der (nahezu) ausschließlichen Nutzung für zweifelhaft (Wied in Blümich, § 4 EStG Rz 832;
Nacke in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 4 EStG Rz 1769;
Wesselbaum-Neugebauer, Finanz-Rundschau 2007, 416 <418> im Vorgriff auf die
Entscheidung des Großen Senats). Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG stehe einer
Aufteilung der Kosten nicht entgegen (Bergkemper, juris PraxisReport Steuerrecht 2/2011,
Anm. 1). Eine Aufteilung sei bei nahezu allen gemischt genutzten Wirtschaftsgütern
anerkannt (Paus, Deutsche Steuer-Zeitung 2010 --DStZ--, 688, 690).
23 Die Gegenansicht (Paul in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 4 EStG Anm. 1513)
verweist darauf, dass der häusliche Bereich in den Bereich der privaten Lebensführung des
§ 12 Nr. 1 EStG falle und kein hinreichend abzugrenzender betrieblicher oder beruflicher
Mehraufwand vorliege.
24 4. Auffassung des vorlegenden Senats
25 Nach Auffassung des vorlegenden Senats sind die Vorlagefragen dahin zu entscheiden,
dass der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers eine (nahezu) ausschließliche
betriebliche/berufliche Nutzung nicht voraussetzt und die Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer entsprechend den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des
BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 aufzuteilen sind.
26 a) Die Annahme, ein häusliches Arbeitszimmer setze eine (nahezu) ausschließliche
Nutzung zu betrieblichen/beruflichen Zwecken voraus, korrespondiert mit dem in der
früheren Rechtsprechung sog. Aufteilungs- und Abzugsverbot für gemischte Aufwendungen
gemäß § 12 Nr. 1 EStG. Denn Aufwendungen für eine Wohnung sind solche der privaten
Lebensführung. Die Verwendung der eigenen Wohnung für betriebliche/berufliche Zwecke
führt zu gemischten Aufwendungen, für die das bisherige Aufteilungs- und Abzugsverbot nur
dann nicht galt, wenn das Wohnen von untergeordneter Bedeutung war, d.h. die
Aufwendungen ausnahmsweise nahezu ausschließlich beruflich veranlasst waren. Eine
solche Veranlassung wurde nur angenommen, wenn der jeweilige Raum so gut wie
ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt wurde.
27 Nur vor diesem Hintergrund ist das grundsätzliche Abzugsverbot gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 6 b Satz 1 (i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 1) EStG mit der Einschränkung auf eine (nahezu)
ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung schlüssig. Die Aufgabe des Aufteilungs- und
Abzugsverbots wirkt sich auf die Auslegung und Anwendung des Arbeitszimmerbegriffs aus.
28 b) Dem Gesetzeswortlaut ist eine Einschränkung auf eine (nahezu) ausschließliche
betriebliche/berufliche Nutzung nicht zu entnehmen. Vielmehr ist der Begriff des
Arbeitszimmers ausschließlich am Raumtypus festzumachen. Arbeitszimmer ist lediglich ein
Raum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des
Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher
oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient (vgl. HHR/Paul, § 4 EStG Rz 1510, m.w.N.).
29 Wollte man den Begriff des Arbeitszimmers darüber hinaus auf (nahezu) ausschließlich
steuerbar genutzte Räume reduzieren, würde die Abzugsbeschränkung von § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 6 b EStG für --in einer häuslichen Umgebung liegende-- Räume, die (in zeitlicher
Hinsicht) nur teilweise steuerbar genutzt werden, nicht greifen. Über die Abziehbarkeit der
Aufwendungen für solche Räume wäre allein nach § 4 Abs. 4 EStG zu entscheiden.
Angesichts der Einbindung des Zimmers in die private Lebensführung des Steuerpflichtigen
lägen gemischte Aufwendungen vor, die --bei Vorliegen entsprechender Aufteilungskriterien-
- nach den vom Großen Senat für Reisekosten entwickelten Grundsätzen zum Teil abziehbar
wären. Dass die Abzugsbeschränkung auf zum Teil steuerbar genutzte Räume nicht, auf
(nahezu) ausschließlich beruflich genutzte Räume aber schon anwendbar sein sollte,
erschiene jedoch weder vor dem Hintergrund der ratio legis schlüssig noch
gleichheitsgerecht.
30 c) Nach dem Wegfall des Aufteilungs- und Abzugsverbots fehlt es für die Einschränkung auf
(nahezu) ausschließlich genutzte Räume an systematischen Gründen. Aufwendungen i.S.
des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG sind nur solche, die durch die jeweilige steuerbare
Tätigkeit veranlasst sind (§ 9 Abs. 1 EStG). Im Ergebnis sind danach auch die
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer i.S. der Entscheidung des Großen Senats
des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 grundsätzlich aufzuteilen. Es handelt sich um
gemischte Aufwendungen, da in Gestalt des häuslichen Arbeitszimmers private
Lebensführung (Häuslichkeit der Wohnung) und steuerbare Tätigkeit (Arbeiten)
zusammentreffen. Diese gemischten Aufwendungen sind im Interesse einer
Ertragsbesteuerung nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie
entsprechend dem objektiven Nettoprinzip (vgl. eingehend Pezzer, Deutsches Steuerrecht
2010, 93 ff.) grundsätzlich in abziehbare und nicht abziehbare Teile aufzuteilen (vgl. dazu
Jochum, DStZ 2010, 665 <671>). Es fehlt auch nicht an sachgerechten Aufteilungskriterien,
insbesondere in Gestalt von Nutzungszeiten, soweit ein Arbeitszimmer nicht gleichzeitig
beruflich und privat genutzt wird, etwa als Arbeits- und Spielzimmer. Bei einem
abgeschlossenen Arbeitszimmer handelt es sich im Übrigen nicht um private
Aufwendungen, die pauschal durch das steuerliche Existenzminimum im Grundfreibetrag
berücksichtigt werden.
31 d) Auch die Auslegung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG als lex specialis ergibt nicht, dass
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht aufzuteilen wären. Vielmehr setzt die
Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG das Vorliegen von nach
allgemeinen Grundsätzen (§ 4 Abs. 4 EStG) abziehbaren Aufwendungen voraus und
begrenzt deren Abzug typisierend im Hinblick auf die allgemeine Einbindung des
Arbeitszimmers in den privaten Wohnbereich (vgl. BFH-Urteil in BFHE 201, 27, BStBl II
2003, 185). Der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 126, 268 steht einer dahin gehenden
Auslegung nicht entgegen, da das BVerfG keine Detailauslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6
b EStG vornimmt.
32 e) Weder die Abzugsbegrenzung auf 1.250 EUR in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG
noch Praktikabilitätserwägungen geben eine zwingende Auslegung vor. Eine Anwendung
der Grundsätze des Großen Senats zur Aufteilung von Reisekosten würde einen
sachgerechten Ausgleich zwischen objektivem Nettoprinzip und der erforderlichen
Praktikabilität schaffen.
33 f) Der zu entscheidende Fall betrifft weder eine Arbeitsecke noch einen Bilanzierungsfall,
sodass die diesbezüglichen Argumente der Verwaltung nicht durchgreifen.
34 g) Dem Argument in der Literatur, das häusliche Arbeitszimmer lasse sich dem häuslichen
Bereich zuordnen und es sei kein hinreichend abzugrenzender betrieblicher/beruflicher
Mehraufwand gegeben, ist entgegenzuhalten, dass sich der Mehraufwand gerade im
höheren Mietzins niederschlägt, der für eine Wohnung fällig wird, die einen zusätzlichen, als
Arbeitszimmer genutzten Raum enthält.
III.
35 Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.
36 1. Folgt man der Auffassung des vorlegenden Senats, dass der Begriff des häuslichen
Arbeitszimmers die (nahezu) ausschließliche betriebliche/berufliche Nutzung des jeweiligen
Raumes nicht voraussetzt, sind die Aufwendungen des Klägers für sein häusliches
Arbeitszimmer entsprechend den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des
BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 aufzuteilen. Würde dagegen eine (nahezu)
ausschließliche Nutzung für betriebliche/berufliche Zwecke vorausgesetzt, wäre der Abzug
der Aufwendungen ausgeschlossen und die Revision des FA begründet.
37 2. Die Sache ist spruchreif. Die Aufwendungen des Klägers für sein häusliches
Arbeitszimmer sind der Höhe nach unstreitig und vom FG i.S. des § 118 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) bindend festgestellt.
IV.
38 Eine Vorlage ist nach § 11 Abs. 4 FGO geboten.
39 1. An einer Vorlage wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 11 Abs. 4 FGO ist der Senat
insbesondere nicht wegen einer vorrangigen Divergenzvorlage gemäß § 11 Abs. 2 FGO
gehindert (Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 11 FGO Rz 24). Der III., IV.,
VIII. und X. Senat haben auf Anfrage des vorlegenden Senats erklärt, dass keine
Abweichung zu ihren Urteilen vom 23. März 2005 III R 17/03 (BFH/NV 2005, 1537), in BFHE
201, 166, BStBl II 2003, 463, und vom 27. September 2001 X R 92/98 (BFHE 197, 40, BStBl
II 2002, 51) und dem Beschluss vom 27. März 2009 VIII B 184/08 (BFHE 224, 458, BStBl II
2009, 850) vorliege. Der VI. Senat hat auf die Anfrage des vorlegenden Senats der
Abweichung von seinem Urteil in BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308 zugestimmt.
40 2. Der vorlegende Senat misst den Vorlagefragen grundsätzliche Bedeutung bei. Die
Voraussetzungen eines häuslichen Arbeitszimmers und die Frage, ob die Aufwendungen für
dieses bei gemischter Nutzung aufzuteilen sind, stellt sich nicht nur im Rahmen der
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sondern kann sich auch bei anderen für
Ertragssteuern zuständigen Senaten des BFH ergeben (vgl. Söhn in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Anm. Lb 36 f.). Die Vorlagefragen entfalten große
Breitenwirkung.
41 Beim IX. Senat sind unter den Aktenzeichen IX R 20/13 und IX R 21/13 (Vorinstanz: jeweils
FG Köln, Urteile vom 15. Mai 2013 4 K 1384/10 und 4 K 1242/13, Streitjahre: 2007 und 2008)
zwei weitere Verfahren zu der Frage anhängig, ob die Kosten für als Arbeitszimmer
eingerichtete (separate) Räume, die (zeit)anteilig (zu 70 %) für die Verwaltung vermieteter
Immobilien und (zeit)anteilig (zu 30 %) für eine wissenschaftliche, vom FA jedoch als
Liebhaberei qualifizierte und damit private Tätigkeit genutzt werden, anteilig als
Werbungskosten abziehbar sind.
42 3. Im Zuge ihrer Antworten auf die Anfragen des vorlegenden Senats haben die betroffenen
Senate sich teilweise zu den Vorlagefragen geäußert.
43 a) Der IV. Senat (Beschluss vom 27. Juni 2013) teilt die Auffassung des IX. Senats, dass
gemischt genutzte Räume begrifflich Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG
sein können und dass bei Vorliegen objektivierbarer Kriterien zur Aufteilung zwischen
betrieblichen/beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträgen die anteilig durch die
Einkünfteerzielung veranlassten Aufwendungen für das Arbeitszimmer im Rahmen der
Abzugsbeschränkung Einkünfte mindernd zu berücksichtigen seien.
44 b) Der VIII. Senat (Beschluss vom 19. Juni 2013) stimmt vorsorglich mit Hinweis auf
Gesetzessystematik und –zweck der maßgeblichen Regelung der beabsichtigten Aufteilung
von Kosten eines häuslichen Arbeitszimmers nicht zu.
45 c) Der X. Senat (Beschluss vom 21. August 2013) verweist darauf, dass bei ihm unter dem
Aktenzeichen X R 32/11 ein Revisionsverfahren mit einer vergleichbaren Thematik anhängig
sei, das in absehbarer Zeit zur Entscheidung anstehe. Der X. Senat beabsichtige, die
Aufteilung der Kosten eines gemischt genutzten Zimmers in der häuslichen Sphäre generell
nicht zuzulassen. Entschiede der IX. Senat nunmehr wie beabsichtigt, wäre sodann ohnehin
die Anrufung des Großen Senats geboten.
46 Im Verfahren X R 32/11 (Streitjahr 2006) ist zu entscheiden, ob die Aufwendungen für einen
teils als (privates) Wohnzimmer, teils als (beruflich genutztes) Arbeitszimmer ("Arbeitsecke")
genutzten Raum anteilig steuermindernd zu berücksichtigen sind. Es geht also nicht um
einen einheitlich als Arbeitszimmer ausgestatteten Raum, sondern um eine (offene)
"Arbeitsecke" im Wohnzimmer des Steuerpflichtigen. Eine Vergleichbarkeit beider
Fallgestaltungen liegt danach --unbeschadet der grundsätzlichen Bedeutung der
Vorlagefragen-- nach Auffassung des vorlegenden Senats nicht vor.
47 Der X. Senat wirft --wie auch der VIII. Senat-- in der Sache die Frage auf, ob der Typusbegriff
des häuslichen Arbeitszimmers eine so gut wie ausschließliche betriebliche oder berufliche
Nutzung des betreffenden Zimmers impliziere. Darüber hinaus sei er der Ansicht, dass
objektiv überprüfbare Aufteilungskriterien weder bei der Aufteilung von Zimmern in räumlich
unterschiedliche Nutzungsbereiche ("Arbeitsecke") noch bei der Aufteilung in zeitlich
unterschiedliche Nutzungsarten existieren würden.
48 d) Der III. Senat (Beschluss vom 18. Juli 2013) und der VI. Senat haben (Beschluss vom
13. Juni 2013) zu den Vorlagefragen keine Aussage getroffen.