Urteil des BAG vom 09.07.2013

Betriebsrat - Einigungsstelle - Schichtarbeit

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 9.7.2013, 1 ABR 19/12
Betriebsrat - Einigungsstelle - Schichtarbeit
Leitsätze
In einem Einigungsstellenspruch kann der Arbeitgeber nicht ermächtigt werden, einen
Schichtplan ohne Zustimmung des Betriebsrats bis zur Entscheidung der Einigungsstelle
vorläufig durchzuführen.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 20. Februar 2012 - 9 TaBV
66/11 - wird zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.
2 Die Arbeitgeberin betreibt ein Klinikum. Bei ihr ist der antragstellende Betriebsrat gebildet.
In dem zwischen der Arbeitgeberin und ver.di abgeschlossenen Manteltarifvertrag vom
23. Januar 2006 (MTV) idF vom 31. Juli 2007 heißt es:
„§11
Überstunden-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
1. Bei Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse können vom Arbeitgeber
über die in § 9 festgesetzten Arbeitszeiten hinaus Überstunden angeordnet
werden.
2. Überstunden sind die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die über die
im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit (§ 9) für die Woche dienstplanmäßig
bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen.
3. Überstunden müssen vom Geschäftsführer oder einer von diesem schriftlich
bevollmächtigten Person ausdrücklich angeordnet oder genehmigt werden.
…“
3 Eine Einigungsstelle beschloss am 8. September 2010 durch Spruch eine
„Betriebsvereinbarung über Grundsätze der Erstellung von Dienstplänen“ (BV 2010). Darin
ist bestimmt:
„§ 3 Grundsätze
5.
Dienste zu ungünstigen Zeiten (einschließlich Bereitschaftsdienste) sind
soweit betriebliche Erfordernisse nicht entgegen stehen, vorrangig auf
diejenigen Beschäftigten zu verteilen, die sich im Rahmen einer jährlich
erneut durchzuführenden Umfrage bereit erklären, diese Dienste zu
übernehmen. Verbleibende Dienste zu ungünstigen Zeiten sind
gleichmäßig auf die Mitarbeiter eines Dienstplanbereiches zu verteilen.
§ 4 Beteiligung des Betriebsrates
1.
Dem Betriebsrat werden die Dienstpläne für die kommende
Planungsperiode bis zum 15. Kalendertag des Vormonats durch den
Arbeitgeber übermittelt. Soweit der 15. auf einen Wochenend- oder Feiertag
fällt erfolgt die Übermittlung am nächsten Werktag (Montag bis Freitag).
2.
Äußert sich der Betriebsrat nicht innerhalb einer Woche im laufenden Monat
zu einem vorgelegten Dienstplan, gilt dieser Dienstplan mit seinen freien
Tagen als verbindlich (Sollarbeitsplan).
3.
Der Betriebsrat kann einem Dienstplan schriftlich oder in Textform (…) unter
Angabe der für den Widerspruch maßgeblichen Gründe (…) widersprechen.
Der Betriebsrat hat dabei anzugeben, welche konkrete im Dienstplan
vorgesehene Einteilung er aus welchem Grund ablehnt.
Widerspricht der Betriebsrat einem Dienstplan, hat zwischen Arbeitgeber
und Betriebsrat unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei
Kalendertagen (fällt der letzte Tag auf einen Sonn- oder Feiertag, am darauf
folgenden Werktag (Montag - Freitag)) nach Eingang des Widerspruchs
beim Arbeitgeber eine gesonderte Erörterung mit dem Ziel einer
einvernehmlichen Regelung des Dienstplans für den betreffenden
Folgemonat stattzufinden (Erörterungsfrist).
4.
Kommt eine einvernehmliche Regelung bis zum Ablauf der Erörterungsfrist
nicht zustande, ist die Einigungsstelle mit je einem innerbetrieblichen
Beisitzer für die Entscheidung zuständig. Als Vorsitzender ist ein
Berufsrichter der niedersächsischen Arbeitsgerichtsbarkeit zu benennen.
Das Benennungsrecht steht den Betriebsparteien abwechselnd zu,
beginnend mit der Gesellschaft. Es dürfen keine Beisitzer und kein
Vorsitzender benannt werden, die für die Tätigkeit in der Einigungsstelle
nicht sofort zur Verfügung stehen.
Die Einigungsstelle ist unverzüglich, spätestens binnen zwei Werktagen
(…) nach Ablauf der Erörterungsfrist anzurufen. …
Bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle ist die Gesellschaft
berechtigt, den Dienstplan für den betreffenden Monat vorläufig in Kraft zu
setzen, vorausgesetzt, die Gesellschaft hat die Einigungsstelle spätestens
binnen zwei Werktagen (…) nach Ablauf der Erörterungsfrist angerufen. …
§ 5 Abweichungen vom Dienstplan
1.
Das im Dienstplan ausgewiesene Dienstende ist variabel. Es kann je nach
Auslastungssituation bei einer Dienstlänge
- von bis zu fünf Stunden um 30 Minuten und
- von über fünf Stunden um bis zu 45 Minuten
verlängert werden, ohne dass dies der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.
Diese Zeiten werden im Rahmen der laufenden Dienstplanung
berücksichtigt und ausgeglichen.
2.
Der Dienstplan kann aufgrund von betrieblichen Erfordernissen oder
persönlichen Interessen des Mitarbeiters (freiwilliger Tausch) geändert
werden. …
5.
Für Eilfälle gilt folgende Sonderregelung:
Ein Eilfall liegt vor, wenn der Dienstplan aufgrund eines nicht
vorhergesehenen Umstandes nicht wie geplant durchgeführt werden kann,
sondern kurzfristig geändert werden muss, wie insbesondere bei
(…)
Unter den vorgenannten Voraussetzungen gestattet der Betriebsrat der
Gesellschaft die Vornahme notwendiger Dienstplanänderungen ohne
vorherige Einholung der Zustimmung des Betriebsrats im konkreten
Einzelfall. Die Zustimmung des Betriebsrats gilt als im Voraus erteilt. Die
Gesellschaft hat den Betriebsrat unverzüglich über die getroffenen
Maßnahmen zu unterrichten und dem Betriebsrat auf Verlangen die
Eilbedürftigkeit darzulegen.
In den vorgenannten Eilfällen wird die Gesellschaft in erster Linie solche
Personen einsetzen, die dazu freiwillig bereit sind. Ist dies nicht möglich,
wird sie im Rahmen ihres Weisungsrechts das Prinzip der Gleichverteilung
im Rahmen ihrer Anordnungen beachten.
Die Gesellschaft ist zur Vornahme von Dienstplanänderungen für einen
Zeitraum von maximal vier Kalendertagen, gerechnet ab Kenntnis vom
Eilfall, berechtigt.
Dauert der Zustand, der eine Dienstplanänderung erforderlich macht,
absehbar über den Zeitraum von vier Kalendertagen hinweg (…), ist die
Gesellschaft verpflichtet, die Zustimmung des Betriebsrats zu
Dienstplanänderungen einzuholen, die über diesen Zeitraum hinausgehen.
Sie hat die Zustimmung zu diesen Änderungen unverzüglich zu beantragen.
Sie ist berechtigt, die Maßnahme bis zum Eingang eines Widerspruchs
durch den Betriebsrat umzusetzen.
Widerspricht der Betriebsrat einer solchen Dienstplanänderung in
schriftlicher Form, ist die Gesellschaft nur dann zur Umsetzung der
Dienstplanänderungen berechtigt, wenn sie die Einigungsstelle anruft; § 4
Ziff. 4 findet entsprechend Anwendung.“
4 Der Einigungsstellenvorsitzende leitete dem Betriebsrat den unterzeichneten Spruch am
23. September 2010 zu.
5 Mit dem am 6. Oktober 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der
Betriebsrat den Einigungsstellenspruch angefochten und sowohl Rechtsverstöße als auch
die fehlerhafte Ermessensausübung geltend gemacht.
6 Der Betriebsrat hat beantragt
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle über die Gestaltung und
Verbindlichkeit der Dienstpläne bei der Arbeitgeberin vom 8. September 2010
unwirksam ist.
7 Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
8 Die Vorinstanzen haben dem Antrag entsprochen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die
Arbeitgeberin ihren Abweisungsantrag weiter.
9 B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem
Feststellungsantrag zu Recht entsprochen. Der Einigungsstellenspruch vom 8. September
2010 ist unwirksam.
10 I. Der Antrag ist zulässig.
11 Mit seinem zutreffend im Wege eines Feststellungsantrags (BAG 13. März 2012 -
1 ABR 78/10 - Rn. 10) verfolgten Begehren macht der Betriebsrat die Unwirksamkeit des
von ihm in der Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG angefochtenen
Einigungsstellenspruchs vom 8. September 2010 geltend. Dies umfasst die Prüfung, ob
der Einigungsstellenspruch aus den vom Betriebsrat angeführten Gründen ganz oder
teilweise unwirksam ist.
12 II. Der Antrag des Betriebsrats ist begründet. Die Einigungsstelle hat bei der Ausgestaltung
der Grundsätze über die Dienstplangestaltung teilweise ihre Regelungskompetenz
überschritten. Im Umfang ihrer Zuständigkeit sind die von ihr beschlossenen Regelungen
teilweise unwirksam. Dies führt zur vollständigen Unwirksamkeit des
Einigungsstellenspruchs vom 8. September 2010.
13 1. Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei
der Ausgestaltung von Schichtarbeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG
mitzubestimmen.
14 a) Nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG hat der Betriebsrat ua. nicht nach § 87 Abs. 1
BetrVG mitzubestimmen, soweit die betreffende Angelegenheit tariflich geregelt ist. Der
Ausschluss des Mitbestimmungsrechts setzt voraus, dass die Tarifvertragsparteien selbst
über die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit eine zwingende und abschließende
inhaltliche Regelung getroffen und damit dem Schutzzweck des verdrängten
Mitbestimmungsrechts Genüge getan haben.
15 b) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist der Betriebsrat zu beteiligen bei der Festlegung von
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung
der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage.
16 aa) Bei der Ausgestaltung von Schichtarbeit erfasst das Mitbestimmungsrecht aus § 87
Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht nur die Frage, ob im Betrieb in mehreren Schichten gearbeitet
werden soll, sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage der einzelnen Schichten
und die Abgrenzung des Personenkreises, der Schichtarbeit zu leisten hat.
Mitbestimmungspflichtig ist auch der Schichtplan und dessen nähere Ausgestaltung bis
hin zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten (BAG 19. Juni 2012 -
1 ABR 19/11 - Rn. 18) sowie die Änderung von bereits aufgestellten Dienstplänen (BAG
28. Mai 2002 - 1 ABR 40/01 - zu B II 2 a der Gründe).
17 bb) Die Betriebsparteien haben bei der inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Regelungen zur
Schichtarbeit ein Wahlrecht. Sie können entweder für jeden Schichtplan die
mitbestimmungsrechtlich relevanten Voraussetzungen im Einzelnen selbst regeln.
Zulässig ist es auch, konkrete Grundregeln festzulegen, die der Arbeitgeber bei der
Aufstellung von Schichtplänen einzuhalten hat. Diese müssen aber den Anforderungen an
die ordnungsgemäße Ausübung der in Betracht kommenden Beteiligungsrechte des
Betriebsrats genügen. Dies erfordert regelmäßig abstrakte und verbindliche
Bestimmungen über die Ausgestaltung der unterschiedlichen Schichten und die
Zuordnung von Arbeitnehmern zu den einzelnen Schichten. Vereinbaren die
Betriebsparteien solche Regularien, kann die Aufstellung der einzelnen Schichtpläne dem
Arbeitgeber überlassen werden. Dieser hat dann die zuvor festgelegten Vorgaben, durch
die sein Direktionsrecht begrenzt wird, im Schichtplan zu vollziehen. Die von den
Betriebsparteien getroffenen inhaltlichen Vorgaben können sich auch auf
Verfahrensregelungen beschränken, die für die Vorlage des Schichtplans gelten, dem der
Betriebsrat zustimmen muss. Bei diesen bleibt die Aufstellung des Schichtplans Sache
des Arbeitgebers. Gegenstand der betrieblichen Regelung ist dann ausschließlich das
Verfahren über die Schichtplanaufstellung und die sich anschließende Beteiligung des
Betriebsrats (vgl. BAG 28. Oktober 1986 - 1 ABR 11/85 - zu B 2 der Gründe).
18 c) Wird durch eine Schichtplanregelung auch die betriebsübliche Arbeitszeit
vorübergehend verkürzt oder verlängert, hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
mitzubestimmen. Eine vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit
liegt vor, wenn es sich um eine Abweichung von dem allgemein geltenden Zeitvolumen
mit anschließender Rückkehr zur betriebsüblichen Arbeitszeit handelt; die Verlängerung
darf nur für einen überschaubaren Zeitraum und nicht auf Dauer erfolgen. Ob eine
Verlängerung der Arbeitszeit nur vorübergehend oder dauerhaft erfolgt, hängt davon ab,
ob sie die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit in ihrer Regelhaftigkeit und als die
„normale“ betriebliche Arbeitszeit der betreffenden Arbeitnehmer unverändert lässt oder
gerade diese Norm ändert und zu einer neuen regelmäßigen betrieblichen Arbeitszeit
führt. Maßgeblich ist damit, ob die bisherige betriebsübliche Arbeitszeit die „übliche“ bleibt
und die Arbeitszeitverteilung bezüglich der einzelnen Arbeitnehmer weiterhin prägt (BAG
3. Juni 2003 - 1 AZR 349/02 - Rn. 45, BAGE 106, 204).
19 d) Kommt eine Einigung der Betriebsparteien über die Ausgestaltung von Schichtarbeit
nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle. Deren Spruch ersetzt nach § 87 Abs. 2
BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Vor einer solchen
Entscheidung der Einigungsstelle darf der Arbeitgeber den Schichtplan nicht durchführen.
Der Einhaltung des in dieser Vorschrift vorgesehenen Verfahrens bedarf es auch bei
einem kurzfristig und unerwartet auftretenden Regelungsbedarf. Das Mitbestimmungsrecht
des Betriebsrats besteht auch in Eilfällen. Die Betriebsparteien - und im Konfliktfall die
Einigungsstelle - müssen daher regelmäßig Regelungen treffen, wie bei der Abweichung
von einem beschlossenen Schichtplan verfahren werden soll (BAG 17. November 1998 -
1 ABR 12/98 - zu B II 1 b der Gründe, BAGE 90, 194).
20 2. Die Einigungsstelle hat ihre Regelungskompetenz schon bei der Festlegung des
Dienstendes überschritten. Die in § 5 Nr. 1 BV 2010 vorgesehene Verlängerung der
Dienste ist nicht vom Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gedeckt. Sie
ermöglicht nicht nur eine vorübergehende, sondern eine dauerhafte Verlängerung der
betriebsüblichen Arbeitszeit.
21 a) Betriebsübliche Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist die im Betrieb regelmäßig
geleistete Arbeitszeit. Sie wird bestimmt durch den vertraglich geschuldeten regelmäßigen
zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung und dessen Verteilung auf einzelne Zeitabschnitte
(BAG 26. Oktober 2004 - 1 ABR 31/03 [A] - zu B III 2 a der Gründe, BAGE 112, 227). Bei
den in Dienstplänen bestimmten Arbeitszeiten handelt es sich um die Verteilung der
regelmäßigen Arbeitszeit auf die Wochentage. Wird die in einem Dienstplan festgelegte
tägliche Dienstzeit überschritten, wird damit auch die betriebsübliche Arbeitszeit
verlängert. Diese Maßnahme unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG der Mitbestimmung
des Betriebsrats, wenn es sich um eine vorübergehende Veränderung der
betriebsüblichen Arbeitszeit handelt. Dies setzt voraus, dass nach der Verlängerung des
für einen bestimmten Wochentag regulär festgelegten Zeitvolumens eine Rückkehr zur
betriebsüblichen Dauer der Arbeitszeit erfolgen soll (BAG 3. Mai 2006 - 1 ABR 14/05 -
Rn. 18).
22 b) Nach § 5 Nr. 1 BV 2010 ist das im Dienstplan ausgewiesene Dienstende variabel und
kann ohne Zustimmung des Betriebsrats „je nach Auslastungssituation“ in Abhängigkeit
von der Dienstlänge um bis zu 30 bzw. 45 Minuten verlängert werden. In dieser von keiner
feststehenden Tatbestandsvoraussetzung abhängigen Ermächtigung des Arbeitgebers
liegt keine nur vorübergehende Verlängerung der im Dienstplan festgelegten Arbeitszeit.
Vielmehr wird es dem Arbeitgeber durch den Einigungsstellenspruch dauerhaft ermöglicht,
das betriebsübliche Ende der Arbeitszeit um die in § 5 Nr. 1 BV 2010 festgelegten Zeiten
hinauszuschieben. Eine Beschränkung auf nur vorübergehend auftretende und abstrakt
beschriebene Anlassfälle oder eine zahlenmäßige Begrenzung der verlängerten Dienste
hat die Einigungsstelle nicht vorgenommen.
23 c) Da § 5 Nr. 1 BV 2010 bereits wegen fehlender Regelungskompetenz der
Einigungsstelle unwirksam ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Regelung die
tariflichen Vorgaben über die dienstplanmäßig festgesetzte Arbeitszeit wahrt oder auch
gegen den Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG verstößt. § 9 Nr. 5
Buchst. b MTV bestimmt, dass kurzfristige Änderungen der konkreten täglichen Arbeitszeit
einzelner Arbeitnehmer nur bei Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse
vorgenommen werden können. Soweit der Arbeitnehmer über das im Dienstplan
ausgewiesene Dienstende zur Arbeitsleistung herangezogen wird, handelt es sich zudem
nach § 11 Nr. 2 MTV um Überstunden, die nur unter den in § 11 Nr. 1 und Nr. 3 MTV
genannten Voraussetzungen (Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse) und durch
einen besonderen Personenkreis (Geschäftsführer oder eine besonders bevollmächtigte
Person) schriftlich angeordnet werden dürfen.
24 3. Auch die von der Einigungsstelle in § 4 Nr. 2 bis Nr. 4, § 5 Nr. 5 BV 2010
beschlossenen Regelungen sind unwirksam.
25 a) Die Regelungen in §§ 9 ff. MTV schließen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
für die Aufstellung von Dienstplänen nicht aus. Der MTV enthält keine abschließende
Regelung iSd. § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG für die Dienstplangestaltung, sondern
überlässt diese betrieblichen Regelungen (so ausdrücklich § 9 Nr. 4, Nr. 5 Buchst. a und
Nr. 6, § 10 Nr. 3 MTV).
26 b) Die Einigungsstelle hat sich auf die Ausgestaltung von Verfahrensregelungen
beschränkt, die von der Arbeitgeberin bei der Aufstellung von Dienstplanentwürfen zu
beachten sind. In der BV 2010 wird das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG nicht abschließend ausgeübt. Es werden keine abstrakten und verbindlichen
Regelungen aufgestellt, die von der Arbeitgeberin bei der Aufstellung der monatlichen
Dienstpläne und der Heranziehung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Diensten zu
beachten sind. Die Regelungen über die Dienste zu ungünstigen Zeiten (§ 3 Nr. 5
BV 2010) und den freiwilligen Schichttausch (§ 5 Nr. 2 BV 2010) stellen keine dem
Mitbestimmungsrecht genügende Ausgestaltung der Dienstplangestaltung dar. Für die
Arbeitnehmer wird aus der BV 2010 nicht im Voraus erkennbar, in welchem Umfang und
zu welchen Zeiten sie von der Arbeitgeberin eingesetzt werden. Es fehlt an einer
Festlegung von Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit sowie deren Verteilung auf
die einzelnen Wochentage während des maßgeblichen Monatszeitraums. Ebenso enthält
die BV 2010 keine abstrakte Regelung über die Zuweisung der Arbeitnehmer zu den
einzelnen Diensten.
27 c) Die in der BV 2010 aufgestellten Verfahrensregelungen für die Vorlage eines
Dienstplans sowie das weitere Verfahren bei fehlender Zustimmung des Betriebsrats und
bei Eilfällen sind mit § 87 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 sowie § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG
unvereinbar.
28 aa) Das in § 4 Nr. 2 bis Nr. 4 BV 2010 vorgesehene Verfahren über die Zustimmung des
Betriebsrats und die vorläufige Durchführung des Dienstplans steht nicht in Einklang mit
§ 87 Abs. 2 BetrVG.
29 (1) Die Zustimmung des Betriebsrats zu dem von der Arbeitgeberin vorgelegten
Dienstplan gilt nach § 4 Nr. 2 BV 2010 als erteilt, wenn sich dieser nicht innerhalb einer
Woche zu dem Entwurf der Arbeitgeberin äußert. Der Widerspruch des Betriebsrats muss
den in § 4 Nr. 3 BV 2010 bestimmten Anforderungen genügen. § 4 Nr. 4 BV 2010 enthält
die Verpflichtung zur Einschaltung der Einigungsstelle. Wird diese innerhalb der Frist des
§ 4 Nr. 4 Unterabs. 2 BV 2010 angerufen, ist die Arbeitgeberin bis zu einer Entscheidung
der Einigungsstelle zur Durchführung ihres Dienstplanentwurfs berechtigt.
30 (2) Die an § 99 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4, § 100 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG angelehnte
Regelung in § 4 Nr. 2 bis Nr. 4 BV 2010 widerspricht dem in § 87 Abs. 2 BetrVG
vorgesehenen Verfahren zur Auflösung von Konflikten der Betriebsparteien. Die in dieser
Vorschrift enthaltenen Vorgaben sind zwingend und daher bei einem
Einigungsstellenspruch zu beachten. Die Äußerung des Betriebsrats gegenüber einem
Ersuchen des Arbeitgebers in den Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG bedarf keiner
bestimmten Form und muss auch nicht binnen einer bestimmten Frist erfolgen. Eine für
personelle Angelegenheiten vergleichbare Zustimmungsfiktion (§ 99 Abs. 3 BetrVG) ist in
§ 87 Abs. 2 BetrVG ebenso wenig vorgesehen wie die Angabe von Gründen, auf denen
das fehlende Einverständnis des Betriebsrats beruht. Ebenso darf eine Maßnahme, die
der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegt, erst nach dessen
Zustimmung oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle durchgeführt werden. Eine
einseitige Regelungsbefugnis des Arbeitsgebers oder dessen Möglichkeit, eine von § 87
Abs. 1 BetrVG erfasste Maßnahme vorläufig durchzuführen, sieht das Gesetz im Bereich
der sozialen Angelegenheiten nicht vor.
31 bb) Die in § 4 Nr. 4 BV 2010 enthaltene Regelung über das Einigungsstellenverfahren
verstößt gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG und ist unwirksam.
32 (1) Die Bildung einer Einigungsstelle richtet sich nach § 76 Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3
BetrVG, § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Nach § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG haben sich zunächst
die Betriebsparteien über die Person des Einigungsstellenvorsitzenden zu verständigen.
Nur im Fall einer Nichteinigung bestimmt das Arbeitsgericht den
Einigungsstellenvorsitzenden. Diese Regelungen sind zwingend. Die Betriebsparteien
können sich zwar nach § 76 Abs. 1 Satz 2 BetrVG durch freiwillige Betriebsvereinbarung
auf die Errichtung einer ständigen Einigungsstelle verständigen. In einem
Einigungsstellenspruch kann die Besetzung einer Einigungsstelle hingegen nicht
festgelegt werden (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 45, BAGE 127, 276).
33 (2) Die Verfahrensregelung bei der Nichteinigung über den Dienstplan in § 4 Nr. 4
Unterabs. 1 und Unterabs. 2 BV 2010 genügt diesen Anforderungen nicht. Danach
entscheidet im Konfliktfall eine Einigungsstelle mit je einem innerbetrieblichen Beisitzer.
Als Vorsitzender ist ein Berufsrichter der niedersächsischen Arbeitsgerichtsbarkeit zu
benennen, wobei das Benennungsrecht den Betriebsparteien abwechselnd zusteht. Diese
Regelung lässt unberücksichtigt, dass es zunächst Sache der Betriebsparteien ist, sich
über die Person des unparteiischen Vorsitzenden sowie die Anzahl der Beisitzer zu
verständigen.
34 cc) Auch die Eilfallregelung in § 5 Nr. 5 BV 2010 ist unwirksam. Weder enthält sie konkrete
Grundsätze für die Heranziehung von Beschäftigten zu den einzelnen Diensten noch
beachtet sie die verbindlichen Vorgaben aus § 87 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BetrVG sowie § 76
Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG.
35 (1) Nach § 5 Nr. 5 Unterabs. 2 Satz 2 und Unterabs. 4 BV 2010 gilt die Zustimmung des
Betriebsrats zur Abweichung von dem vereinbarten Dienstplan in Eilfällen bis zur Dauer
von vier Kalendertagen als erteilt. In diesem Fall darf die Arbeitgeberin die von ihr
ausgewählten Arbeitnehmer nach dem Prinzip der Gleichverteilung (§ 5 Nr. 5 Unterabs. 3
BV 2010) heranziehen. Zur Einholung der Zustimmung des Betriebsrats ist sie nur
verpflichtet, wenn der Zustand, der eine Dienstplanänderung erforderlich macht, absehbar
länger als vier Kalendertage besteht (§ 5 Nr. 5 Unterabs. 5 Satz 1 BV 2010). Widerspricht
der Betriebsrat einem solchen Antrag schriftlich, darf die Arbeitgeberin die
Dienstplanänderung dennoch weiter aufrecht erhalten, wenn sie das in § 4 Nr. 4 BV 2010
bestimmte Verfahren über die Einschaltung der Einigungsstelle durchführt (§ 5 Nr. 5
Unterabs. 6 BV 2010).
36 (2) Damit hat die Einigungsstelle schon keine inhaltlichen Grundsätze aufgestellt, nach
denen sich die Heranziehung von Beschäftigten in Eilfällen richten soll. Zwischen den
Beteiligten steht außer Streit, dass bei kurzfristigen Dienstplanänderungen nicht genügend
Arbeitnehmer zur Verfügung stehen, die freiwillig bereit und in der Lage sind, zusätzliche
Dienste zu übernehmen. Die Ausübung des Weisungsrechts nach einem inhaltlich
unbestimmten „Prinzip der Gleichverteilung“ stellt keine abschließende Ausübung des
Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG dar. Es fehlt an verbindlichen
abstrakten Vorgaben, die das Direktionsrecht der Arbeitgeberin bei der Heranziehung von
Arbeitnehmern bei kurzfristig erforderlichen Dienstplanänderungen begrenzen.
37 (3) Die Eilfallregelung in § 5 Nr. 5 BV 2010 schließt das Mitbestimmungsrecht des
Betriebsrats aus. Die Regelungsfrage, ob und ggf. in welcher Weise ein Dienstplan
geändert werden muss, wenn dieser nicht wie geplant durchgeführt werden kann, wird
vom Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG umfasst. Dieses Beteiligungsrecht wird
beseitigt, wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat über eine bis zu viertägige
Dienstplanänderung nur unterrichten muss, wie dies in § 5 Nr. 5 Unterabs. 2 Satz 2 und
Satz 3 sowie Unterabs. 4 BV 2010 vorgesehen ist, und während dieser Zeit nach
Gutdünken verfahren kann.
38 (4) Ebenso weichen die in § 5 Nr. 5 Unterabs. 6 BV 2010 enthaltenen Festlegungen über
das Schriftlichkeitserfordernis eines Widerspruchs sowie über die vorläufige
Durchführungsbefugnis der Arbeitgeberin und das Einigungsstellenverfahren von den in
§ 87 Abs. 2 BetrVG sowie § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG enthaltenen Vorgaben ab.
Daraus folgt - wie bei der in Bezug genommenen Regelung in § 4 Nr. 4 BV 2010 - ihre
Unwirksamkeit.
39 4. Die Unwirksamkeit der von der Einigungsstelle beschlossenen Verfahrensvorschriften
über die Aufstellung des Dienstplans führt nach dem der Vorschrift des § 139 BGB
zugrunde liegenden Rechtsgedanken zur Unwirksamkeit des gesamten
Einigungsstellenspruchs, weil der verbleibende Teil ohne die unwirksamen
Bestimmungen keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält (vgl. BAG
8. November 2011 - 1 ABR 42/10 - Rn. 29). Ohne die Ausgestaltung eines Verfahrens über
die Aufstellung des Dienstplans und seines Vollzugs stellt der Einigungsstellenspruch
vom 8. September 2010 keine sinnvolle Regelung des Mitbestimmungsrechts aus § 87
Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG dar.
Schmidt
Linck
Koch
Sibylle Spoo
Hann