Urteil des BAG vom 15.01.2014

Jahressonderzahlung nach Anlage 14 der AVR.DW.EKD - negatives betriebliches Ergebnis - "Dritter Weg"

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 15.1.2014, 10 AZR 403/13
Jahressonderzahlung nach Anlage 14 der AVR.DW.EKD - negatives betriebliches Ergebnis -
"Dritter Weg"
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 24. Januar 2013 -
15 Sa 419/12 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu
tragen.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt Zahlung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung für das Jahr
2010. In diesem Zusammenhang streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte von der in
Anlage 14 der AVR.DW.EKD (jetzt: AVR.DD) vorgesehenen Kürzungsmöglichkeit
Gebrauch machen durfte; Voraussetzung hierfür ist, dass die Beklagte ein negatives
betriebliches Ergebnis nachweist und die AVR.DW.EKD oder gleichwertige
Arbeitsvertragsgrundlagen auf alle Arbeitsverhältnisse anwendet.
2 Die Beklagte betreibt mit rund 290 Mitarbeitern ein Krankenhaus, in dem jährlich etwa
5.000 Patienten behandelt werden. Sie ist ein Unternehmen des Johanniter-Verbundes
und Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelisch-lutherischen Landeskirche
Hannovers e. V. (DW.H). Die Mitglieder des DW.H sind nach § 8 Abs. 2 der Satzung des
DW.H (Fassung vom 6. Mai 2009) verpflichtet, die Arbeitsvertragsrichtlinien der
Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen für Einrichtungen, die sich dem
ARRGD angeschlossen haben (AVR-K) oder ein anderes kirchliches Arbeitsvertragsrecht
in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden. Dazu gehören auch die AVR.DW.EKD.
3 Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1982 als Kinderkrankenschwester beschäftigt. Sie
ist Vorsitzende der im Hause der Beklagten gebildeten Mitarbeitervertretung. In ihrem
Dienstvertrag ist mit einer hier nicht interessierenden Ausnahme die Anwendung der
Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks - Innere Mission und Hilfswerk - der
Evangelischen Kirche in Deutschland (im Folgenden: AVR.DW.EKD) in der jeweils
gültigen Fassung vereinbart. Nach Anlage 14 der AVR.DW.EKD leistet der Dienstgeber
eine Jahressonderzahlung, die je zur Hälfte im November des laufenden und im Juni des
folgenden Jahres fällig wird.
4 Auf dieser Grundlage zahlte die Beklagte im November 2010 ihren Mitarbeitern 50 % der
Jahressonderzahlung aus, im Falle der Klägerin 1.175,98 Euro. Im Juni 2011 leistete die
Beklagte unter Berufung auf ein negatives betriebliches Ergebnis im Jahr 2010 keine
Zahlung.
5 Die die Jahressonderzahlung regelnde Anlage 14 der AVR.DW.EKD lautet, soweit von
Interesse, wie folgt:
„Jahressonderzahlung
(1) Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter, die oder der
sich am 1. November eines Jahres in einem
Beschäftigungsverhältnis befindet, das mindestens bis
zum 31. Dezember des Jahres besteht, erhält eine
Jahressonderzahlung.
(2) Die Höhe der Jahressonderzahlung errechnet sich
aus der Summe der Bezüge gemäß Unterabsatz 3 der
Monate Januar bis einschließlich Oktober des Jahres,
dividiert durch zehn. …
(3) Die Jahressonderzahlung wird zur Hälfte im
November des laufenden Jahres, die zweite Hälfte im
Juni des Folgejahres gezahlt. Die Höhe der Zahlung im
Juni ist vom betrieblichen Ergebnis der Einrichtung
abhängig. Dies gilt auch für die wirtschaftlich
selbständig arbeitenden Teile der Einrichtung, wenn die
zuständige Mitarbeitervertretung in einer
Dienstvereinbarung der Anwendung einer von der
Dienstgeberin bzw. dem Dienstgeber vorgelegten Liste
von wirtschaftlich selbständig arbeitenden Teilen der
Einrichtung zugestimmt hat.
(4) Weist die Dienstgeberin bzw. der Dienstgeber nach,
dass bei voller Juni-Zahlung der anteiligen
Bruttopersonalkosten der Jahressonderzahlung für alle
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein negatives
betriebliches Ergebnis im Vorjahr (Wirtschaftsjahr der
geleisteten Novemberzahlung) vorliegen würde, entfällt
der Anspruch auch teilweise in dem Maße, in dem die
Reduzierung in Summe zu einem ausgeglichenen
Ergebnis führt. Der Nachweis gilt als erbracht, wenn die
Dienststellenleitung der Mitarbeitervertretung ein Testat
eines vereidigten Wirtschaftsprüfers oder einer
Treuhandstelle vorlegt, aus dem sich der Umfang des
negativen betrieblichen Ergebnisses und die Summe
der regulären betrieblichen Juni-Zahlung ergibt.
Bestandteil der vorzulegenden Unterlagen ist die
Zuordnung der Kosten der zentralen Dienste zu den
wirtschaftlich selbständig arbeitenden Teilen der
Einrichtung.
(5) Ein negatives betriebliches Ergebnis liegt vor, wenn
der Jahresüberschuss, der sich aus § 243 HGB ableitet
- ohne betriebsfremde Aufwendungen und
Erträge
- ohne außerordentliche Aufwendungen und
Erträge im Sinne von § 277 Abs. 4 HGB
- ohne aperiodische Aufwendungen und
Erträge
- ohne Ergebnisauswirkungen aus
Bilanzierungs- und Bewertungsänderungen
- mit Pflichtrückstellungen für Altersteilzeit,
Jubiläumszuwendungen und bereits
beauftragten Instandhaltungsmaßnahmen,
die im ersten Quartal des Folgejahres
abgeschlossen werden
- ohne Erträge aus der Auflösung bzw. ohne
Aufwendungen aus der Bildung von
Aufwandsrückstellungen gemäß § 249
Abs. 2 HGB
- bei Einrichtungen, die zur Finanzierung
laufender Kosten regelmäßig und
betriebsüblich Spenden einsetzen, mit
Spenden in der entsprechenden Höhe
- mit außerordentlichen Erträgen aus
Pflegesatzstreitigkeiten
negativ ist.“
6 Zu der danach gegebenen Kürzungsmöglichkeit trifft § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD folgende
Regelung:
„(5) Von den Abweichungsmöglichkeiten in § 17 und
den Anlagen 14 und 17 der AVR können Einrichtungen
nur Gebrauch machen, wenn
a) auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung
und der mit ihr verbundenen Einrichtungen,
die Mitglied in einem Diakonischen Werk
sind, die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)
oder eine gleichwertige
Arbeitsvertragsgrundlage angewandt
werden,
...“
7 In der Anmerkung zu § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD heißt es:
„Gleichwertig ist eine Arbeitsvertragsgrundlage, die
nach Maßgabe der jeweils anzuwendenden kirchlichen
Arbeitsrechtsregelung zustande gekommen ist, sowie
die für den öffentlichen Dienst geltenden
tarifvertraglichen Regelungen.“
8 Seit dem Oktober 2010 vereinbarte die Beklagte mit insgesamt 22 neu eingestellten
Arbeitnehmern die Geltung der Arbeitsvertragsrichtlinien der Johanniter (AVR-J). Die
AVR-J sind am 8. Oktober 2009 durch Beschluss der für den Johanniter-Verbund auf der
Grundlage des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes für die Evangelische Kirche Berlin-
Brandenburg-schlesische Oberlausitz (ARRG.EKBO) gebildeten Arbeitsrechtlichen
Kommission (nachfolgend: AK Johanniter) geschaffen worden.
9 Zwischen den Parteien besteht Streit über die Frage, ob die AVR-J als „AVR“ oder als mit
den AVR.DW.EKD „gleichwertige“ Arbeitsvertragsgrundlagen anzusehen sind.
Hintergrund dieses Streits sind kirchengerichtliche Auseinandersetzungen insbesondere
darüber, ob die AVR-J auf kirchenrechtlich zulässigem Wege zustande gekommen sind.
10 Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen entschied die Schiedsstelle der Konföderation
evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig,
Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe mit Beschluss vom 3. September 2010 (-
3 VR MVG 24/10 -), die Beklagte sei nicht berechtigt, die AVR-J anzuwenden. Der
Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland hat die hiergegen eingelegte
Beschwerde der Beklagten mit Beschluss vom 8. September 2011 (- KGH.EKD I-
0124/S67-10 -) zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Gerichtshof ausgeführt, die AVR-
J seien zwar formell im Dritten Weg zustande gekommen. Sie dürften jedoch wegen des
Territorialitätsprinzips nicht von der Beklagten angewendet werden. Im Wesentlichen
ebenso entschied der Kirchengerichtshof der EKD mit Beschluss vom 10. Dezember 2012
(- KGH.EKD II-0124/U20-12 -) in einem vergleichbaren Fall.
11 In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 bot die Beklagte den seit 2010 zu den Bedingungen
der AVR-J neu eingestellten Mitarbeitern an, die AVR-J durch die AVR.DW.EKD
rückwirkend zu ersetzen. Das Angebot wurde teils angenommen, teils abgelehnt.
12 Nachdem die Klägerin im Mai 2011 die vorliegende Klage erhoben hatte, legte die
Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Februar 2012 eine unter dem 12. August 2011 gefertigte
„Bescheinigung gemäß Anlage 14 AVR.DW.EKD“ vor. Darin bescheinigte die B
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Prüfung in entsprechender Anwendung der
§§ 317 ff. HGB unter Beachtung der vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V.
festgestellten deutschen Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung habe
stattgefunden.
13 In der Bescheinigung heißt es zum Ergebnis der Prüfung:
„Aufgrund der bei der Prüfung gewonnenen
Erkenntnisse bestätigen wir, dass das in der beigefügten
Anlage aufgeführte negative betriebliche Ergebnis
gemäß Anlage 14 AVR.DW.EKD für das Geschäftsjahr
2010 in Höhe von TEUR -1.663 entsprechend den
Vorgaben der Anlage 14 AVR.DW.EKD aus den Zahlen
des Geschäftsjahres 2010 der Johanniter-Krankenhaus
G GmbH hergeleitet wurde. Die Höhe der zweiten Hälfte
der Sonderzahlung 2010 (ohne etwaige Kürzung gemäß
Anlage 14 AVR.DW.EKD) wurde auf Basis der
Auszahlung der ersten Hälfte von der Personalabteilung
plausibel geschätzt.“
14 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für eine Kürzung der
Jahressonderzahlung nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD seien für das Jahr 2010 nicht erfüllt
gewesen. Die Beklagte habe nicht auf alle Dienstverhältnisse die
Arbeitsvertragsrichtlinien oder gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlagen angewendet.
Insbesondere seien die AVR-J keine gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage. Eine solche
müsste nach Maßgabe der jeweils anzuwendenden kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen
zustande gekommen sein. Dies treffe auf die AVR-J nicht zu. Außerdem habe ein
negatives betriebliches Ergebnis für 2010 bei Auszahlung der zweiten Hälfte der
Jahressonderzahlung nicht vorgelegen. Die Beklagte habe der Mitarbeitervertretung den
Jahresabschluss für das Kalenderjahr 2010 nicht, jedenfalls aber nicht rechtzeitig,
vorgelegt. Die Nichtvorlage des Testats bis zum Eintritt der Fälligkeit der zweiten Hälfte
der Jahressonderzahlung am 30. Juni lasse das Kürzungsrecht des Dienstgebers
endgültig entfallen. Ein im Verlaufe des Rechtsstreits mit einem Arbeitnehmer vorgelegtes
Testat könne daran nichts ändern.
15 Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.175,98 Euro brutto
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 1. Juli 2011 zu zahlen.
16 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie
habe sich regeltreu im Sinne des § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD verhalten. Die AVR-J seien
kirchenrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenes Arbeitsvertragsrecht. Sie seien
durch eine paritätische Kommission beschlossen worden und entsprächen damit den
Maßgaben der anzuwendenden kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen. Was das negative
betriebliche Ergebnis 2010 und seinen Nachweis betreffe, so sei die Mitarbeitervertretung
schon am 17. Januar 2011 durch den Geschäftsführer Herrn S über das betriebliche
Ergebnis informiert worden; zudem sei die Mitarbeitervertretung durch Übersendung des
Testats des Wirtschaftsprüfers an ihre Vorsitzende - die Klägerin - im Laufe des Prozesses
rechtzeitig unterrichtet worden.
17 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr
entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die
Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
18 Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis richtig
entschieden. Der Klägerin steht der eingeklagte Betrag zu.
19 I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 1.175,98 Euro brutto.
20 1. Grundlage des Anspruchs ist Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Anlage 14 der
AVR.DW.EKD. Dass die dort genannten Voraussetzungen gegeben sind, steht nicht im
Streit.
21 2. Allerdings ist der Beklagten die Berufung auf ein negatives betriebliches Ergebnis nach
Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD nicht deshalb verwehrt, weil sie der
Mitarbeitervertretung bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit der zweiten Hälfte der
Jahressonderzahlung nach Abs. 3 Satz 1 Anlage 14 der AVR.DW.EKD kein Testat iSd.
Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD vorgelegt hat. Der Nachweis eines negativen
Betriebsergebnisses im Vorjahr als Voraussetzung für den teilweisen oder vollständigen
Wegfall der Verpflichtung zur Leistung der zweiten Hälfte einer Jahressonderzahlung kann
entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nach dem in Abs. 3 Satz 1
Anlage 14 der AVR.DW.EKD genannten Zeitpunkt gegenüber dem klagenden
Arbeitnehmer geführt werden (ebenso: LAG Berlin-Brandenburg 24. Februar 2012 - 6 Sa
1943/11 - Rn. 23).
22 a) Bereits der Wortlaut der Regelung, von dem bei der Auslegung von
Arbeitsvertragsrichtlinien wie bei der Tarifauslegung zunächst auszugehen ist (zu den
Grundsätzen der Auslegung von AVR: BAG 21. Oktober 2009 - 10 AZR 786/08 - Rn. 28;
17. Juli 2008 - 6 AZR 635/07 - Rn. 9), spricht für dieses Verständnis der maßgeblichen
Regelung. Nach Abs. 3 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD ist die Höhe des zweiten
Teils der Sonderzahlung abhängig vom Betriebsergebnis. Nach der diese Maßgabe näher
ausgestaltenden Regelung in Abs. 4 Anlage 14 der AVR.DW.EKD entfällt der Anspruch,
soweit der Dienstgeber nachweist, dass bei voller Juni-Zahlung der anteiligen
Bruttopersonalkosten der Jahressonderzahlung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
ein negatives betriebliches Ergebnis im Vorjahr (Wirtschaftsjahr der geleisteten
Novemberzahlung) vorläge. In Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD ist ausgeführt, welche
Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, damit ein negatives betriebliches
Ergebnis angenommen werden kann. Der Nachweis eines solchen gilt nach Abs. 4 Satz 2
Anlage 14 der AVR.DW.EKD als erbracht, wenn die Dienststellenleitung der
Mitarbeitervertretung ein Testat eines vereidigten Wirtschaftsprüfers oder einer
Treuhandstelle vorlegt, aus dem sich der Umfang des negativen betrieblichen
Ergebnisses und die Summe der regulären betrieblichen Juni-Zahlung ergeben (vgl. BAG
19. Januar 2011- 10 AZR 863/09 - Rn. 13).
23 aa) Dass der Anspruch ohne Weiteres in voller Höhe gerechtfertigt wäre, wenn der
Mitarbeitervertretung ein Testat vor dem 30. Juni nicht vorgelegt wurde, ist damit an keiner
Stelle ausgesagt. Einen Zeitpunkt, bis zu dem der Nachweis zu führen wäre, bestimmt die
Vorschrift nicht. In Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD ist vielmehr lediglich als
Erleichterung für den Dienstgeber angeordnet, dass der Nachweis als erbracht anzusehen
ist, wenn ein Testat vorgelegt wird. Weder heißt es, der Nachweis gelte „nur“ als erbracht,
noch wird für ihn ein bestimmter Zeitpunkt vorgesehen.
24 bb) Mit dem Fehlen jeglicher zeitlicher Begrenzung im Wortlaut der Regelung lässt sich
eine so weitgehende Rechtsfolge wie die vom Landesarbeitsgericht angenommene nicht
vereinbaren. Immerhin soll danach der Schuldner mit einer Einwendung endgültig
ausgeschlossen sein, wenn er ihre tatsächlichen Voraussetzungen bis zur Fälligkeit nicht
in bestimmter Weise bewiesen hat. Das widerspricht den allgemeinen Grundsätzen, nach
denen Anspruchsvoraussetzungen ebenso wie die Voraussetzungen erheblicher
Einwendungen im - regelmäßig nach Fälligkeit der Forderung geführten - Rechtsstreit um
die Berechtigung der Forderung vorgetragen und ggf. nachgewiesen werden können,
ohne dass andere zeitliche Grenzen zum Tragen kämen als die allgemeinen
Verspätungsvorschriften des Prozessrechts.
25 b) Dass die Beklagte sich auf die Kürzungsmöglichkeiten nicht mehr berufen dürfte, wenn
sie der Mitarbeitervertretung bis zum 30. Juni - Zeitpunkt der Fälligkeit - ein Testat nicht
vorgelegt hat, lässt sich auch nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift entnehmen.
26 aa) Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD verlangt keinen testierten Nachweis
gegenüber dem Mitarbeiter, sondern gegenüber der Mitarbeitervertretung. Es handelt sich
nicht um eine - bestimmte Einwendungen ausschließende - Beweisregelung für den Fall,
dass ein Arbeitnehmer die Beklagte in Anspruch nimmt. Der Sinn ist ein anderer. Die
Vorschrift will der Mitarbeitervertretung die Möglichkeit geben, den von der Beklagten zu
erbringenden Nachweis zu prüfen. Die Regelung soll verhindern, dass es nach der
externen Begutachtung und der Prüfung durch die Mitarbeitervertretung noch zu
individuellen Streitigkeiten kommt. Sie sieht deshalb eine verobjektivierte Feststellung
gegenüber der Mitarbeitervertretung als ausreichend an (BAG 19. Januar 2011 - 10 AZR
863/09 - Rn. 16). Im Rechtsstreit des Arbeitnehmers gelten dagegen die allgemeinen
Regeln zur Darlegung und zum Bestreiten der Anspruchsvoraussetzungen, zur
Beweisbedürftigkeit und zum Beweis.
27 bb) Dieser Zweck der Regelung, nämlich für den Arbeitgeber eine Beweiserleichterung zu
schaffen, wird verfehlt, wenn der Nachweis gegenüber der Mitarbeitervertretung nicht oder
erst nach Fälligkeit des Anspruchs geführt wird. Die Arbeitnehmer sind dann im Unklaren
darüber, ob ihr - bereits fällig gewordener - Zahlungsanspruch besteht oder nicht. Sie
werden sich eher veranlasst sehen, Zahlungsklage zu erheben. Rechtsstreitigkeiten
werden auf diese Weise nicht verhindert.
28 cc) Dies rechtfertigt jedoch nicht die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung,
nach der der Beklagten der Nachweis eines negativen betrieblichen Ergebnisses auch im
Prozess mit den Mitarbeitern schlechthin verwehrt ist, wenn sie ihn nicht bis zum 30. Juni
eines Jahres durch Testat gegenüber der Mitarbeitervertretung geführt hat. Die Regelung
in Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD behält nach wie vor ihren Sinn, indem sie
der Beklagten einen Weg zur Vermeidung individueller rechtlicher Angriffe weist. Die
Beklagte ist aber nicht gezwungen, diesen - leichteren - Weg zu gehen. Die Vorlage des
Testats gegenüber der Mitarbeitervertretung ist hinreichende, nicht aber notwendige
Bedingung für den Nachweis eines negativen betrieblichen Ergebnisses. Der Beweis,
sofern er nach dem beiderseitigen Prozessvortrag überhaupt geführt werden muss, kann
mit jedem prozessrechtlich zulässigen Beweismittel und zu jedem prozessrechtlich
zulässigen Zeitpunkt geführt werden.
29 c) Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Kürzung nach Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der
AVR.DW.EKD dürften vorliegen. Das Arbeitsgericht hat es als erwiesen angesehen, dass
die in Abs. 4 Anlage 14 der AVR.DW.EKD genannten Voraussetzungen gegeben sind. Es
hat eine zwar knappe, aber ausreichende Beweiswürdigung vorgenommen. Die Beklagte
hat zum Beweis das Testat der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 12. August 2011
vorgelegt. Es ist, wie sich aus dem Testat selbst ergibt, auf der Grundlage der Vorgaben
der Anlage 14 der AVR.DW.EKD erstellt worden. Es weist für 2010 ein negatives
betriebliches Ergebnis in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro aus, das bei Zahlung des
zweiten Teils der Sonderzahlung an die Mitarbeiter um etwas mehr als 300.000,00 Euro
anstiege. Die im Berufungsverfahren vorgebrachte Rüge der Klägerin, es sei nicht
ausgeschlossen, dass das Testat zu Unrecht ergebniswirksame Rückstellungen für
Altersteilzeitverträge außer Acht gelassen habe, ist ohne jede greifbare
Tatsachengrundlage erfolgt. Wenn die Klägerin geltend macht, es sei „keineswegs
ausgeschlossen“, dass Bewertungs- und Bilanzierungsänderungen zu einer
Ergebnisveränderung in relevantem Umfang führten, so erschöpft sich dies angesichts der
Aussage des Testats in bloßer Mutmaßung. Letztlich kommt es aber für die Entscheidung
des Rechtsstreits auf die wirtschaftliche Lage der Beklagten nicht an.
30 3. Der Beklagten ist es nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD verwehrt, von der
Kürzungsmöglichkeit nach Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD Gebrauch zu
machen. Die Beklagte hat im Jahr 2010 nicht auf alle Dienstverhältnisse ihrer Einrichtung
„die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)“ oder eine „gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage“
angewandt.
31 a) Nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD sollen nur solche Dienstgeber die Kürzungsregelung
nutzen dürfen, die im Übrigen das in den AVR.DW.EKD oder gleichwertigen
Regelungswerken niedergelegte Verhältnis von Leistungen und Gegenleistungen
gewährleisten. Der Dienstgeber soll nicht die Möglichkeit haben, sich einerseits die
Kürzungsrechte bei den Jahressonderzahlungen und andere Sonderrechte zu sichern, im
Übrigen aber das System der Rechtsgewinnung nach den jeweils anwendbaren
kirchenrechtlichen Vorschriften des Dritten Weges zu verlassen, es sei denn, er wendet
Tarifverträge des öffentlichen Dienstes an (sog. „Tariftreueklausel“). Auf einen materiellen
Günstigkeitsvergleich kommt es nicht an.
32 b) Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
33 aa) Die AVR-J sind keine „AVR“ im Sinne von § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD. Zu Recht weist
das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD durch die
Verwendung des bestimmten Artikels („die“ AVR) nicht auf alle als AVR zu bezeichnenden
Regelwerke verweist, sondern allein auf dasjenige, zu dem § 1 Abs. 5 selbst gehört, also
die AVR.DW.EKD. Dies schließt es aus, auch irgendwelche anderen
Arbeitsvertragsrichtlinien als „AVR“ iSd. § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD einzubeziehen. Es ist
zwar richtig, dass mehrere auf dem Dritten Weg zustande gekommene Regelwerke
bestehen, für die als Sammelbegriff „AVR“ passen mag. Indes würde es nicht nur dem
Wortlaut, sondern auch dem erkennbaren Sinn der Vorschrift widersprechen, die
Anwendung aller als „AVR“ zu bezeichnenden Regelwerke zu ermöglichen. Nur derjenige
Arbeitgeber soll von der Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen dürfen, der auch die ihm
von den AVR.DW.EKD auferlegten Lasten gegenüber allen Arbeitnehmern trägt. Die mit
der Kürzungsmöglichkeit verbundene Entlastung setzt ein bestimmtes Maß an
Belastungen voraus, das grundsätzlich allein durch das Regelwerk bestimmt sein kann,
das die wechselseitigen Rechte und Pflichten festsetzt.
34 bb) Die AVR-J sind keine „gleichwertigen Arbeitsvertragsgrundlagen“. Sie dürfen von der
Beklagten nicht angewandt werden. Es handelt sich nicht um kirchengesetzlich
legitimierte Arbeitsvertragsgrundlagen.
35 (1) Gleichwertig sind nach der Anmerkung zu § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD solche
Arbeitsvertragsgrundlagen, die nach Maßgabe der „jeweils anzuwendenden“ kirchlichen
Arbeitsrechtsregelung zustande gekommen sind. Entscheidend ist daher, ob die gerade
für den betroffenen Dienstgeber zutreffende kirchliche Arbeitsrechtsregelung die
Anwendung der AVR-J erlaubt. Nicht ausreichend ist, wenn die Arbeitsvertragsregelung,
die als gleichwertig angesehen werden soll, irgendeiner anderen kirchlichen
Arbeitsrechtsregelung entspricht. Bei einem anderen Verständnis wären sämtliche AVR
ohne Weiteres „gleichwertig“. Die in der Anmerkung zu § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD
getroffene Regelung, nach der eben dies nicht der Fall ist, würde in ihr Gegenteil verkehrt.
36 (2) Wie bereits der Kirchengerichtshof festgehalten hat, sind die AVR-J nicht nach den für
die Beklagte maßgeblichen Arbeitsrechtsregelungen zustande gekommen. Die
Einrichtung der Arbeitsrechtlichen Kommission, durch die die AVR-J geschaffen wurden,
erfolgte nicht nach Maßgabe des für das DW.H geltenden
Arbeitsrechtsregelungsgesetzes. Es geschah vielmehr auf der Grundlage von § 6 Abs. 4
ARRG.EKBO sowie der Arbeitsrechtsregelungsordnung des DWBO (ARRO.DWBO) vom
1. Juli 2005. Die Rechtsetzungsmacht einer Gliedkirche - hier der EKBO - oder die von ihr
auf ihr Diakonisches Werk delegierte Rechtsetzungsbefugnis beinhaltet jedoch keine
Legitimation für die Geltung dieser Gesetze oder sonstiger rechtlich verbindlicher
Regelungen für einen rechtlich selbständigen Rechtsträger, der - wie die Beklagte - nur im
Gebiet einer anderen Gliedkirche oder deren Diakonischen Werks ansässig ist und nur
eben diesem Diakonischen Werk angehört. Dies folgt aus dem grundsätzlich zu
beachtenden Territorialprinzip. Es beansprucht Geltung nicht nur unter den Gliedkirchen
und Landeskirchen, sondern auch unter deren Diakonischen Werken (st. Rspr. des
Kirchengerichtshofs, vgl. KGH 10. Dezember 2012 - KGH.EKD II-0124/U20-12 -;
8. September 2011 - KGH.EKD I-0124/S67-10 -).
37 (3) Hinzu kommt, dass die Beklagte Mitglied des DW.H ist. Sie ist deshalb verpflichtet, die
AVR.DW.EKD anzuwenden. Tut sie es nicht, handelt sie nicht im Einklang mit den
kirchenrechtlichen Vorgaben (vgl. KGH 8. September 2011 - KGH.EKD I-0124/S67-10 -).
38 cc) Die Beklagte hat die Voraussetzungen von § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD auch nicht
deshalb gewahrt, weil sie den im Jahr 2010 zu den Bedingungen der AVR-J eingestellten
Mitarbeitern im Jahr 2011 angeboten hat, die AVR-J durch die AVR.DW.EKD zu ersetzen.
39 (1) Nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD muss die dort geforderte Anwendungstreue in dem Jahr
erbracht werden, für das die Sonderzahlung geschuldet ist. Das ergibt sich aus dem Sinn
und Zweck der Kürzungsregelung des Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD.
Danach hängt die Kürzung vom Betriebsergebnis für das jeweilige Bezugsjahr ab. Der
Regelung liegt die Vorstellung zugrunde, dass Be- und Entlastung des Arbeitgebers in
einem bestimmten Verhältnis zum Betriebsergebnis im Bezugsjahr stehen sollen. Wie
bereits ausgeführt, ist dabei das sich aus der Anwendung der AVR.DW.EKD ergebende
Maß die Grundlage. Dementsprechend muss dann auch der Maßstab für die
Anwendungstreue das Bezugsjahr sein. Der Arbeitgeber soll von den Vorteilen, die er
durch die Anwendung anderer Regelwerke erstrebt und erreicht, nicht profitieren dürfen.
40 (2) Gemessen daran hat die Beklagte sich im Jahr 2010 nicht anwendungstreu verhalten.
Sie hat vielmehr, wie unstreitig, ab Herbst 2010 zunächst durchgehend die Geltung der
AVR-J vereinbart.
41 (3) Die Beklagte hat auch nicht nachträglich durch das im Jahr 2011 unterbreitete Angebot
der Ersetzung der AVR-J durch die AVR.DW.EKD die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5
AVR.DW.EKD erfüllt. Es kann dahinstehen, ob ein Dienstgeber, der - etwa versehentlich -
in marginalem Umfang nicht gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlagen vereinbart hat, durch
die nachträgliche Verabredung rückwirkender Anwendung der „richtigen“
Arbeitsvertragsrichtlinien die geforderte Anwendungstreue wiederherstellen kann. Ein
solcher Fall ist hier nicht gegeben. Die Beklagte trägt selbst nicht vor, dass sie die
betreffenden Arbeitsverhältnisse rückwirkend ab jeweiligem Vertragsbeginn nach den
Maßgaben der AVR.DW.EKD abgerechnet und etwa sich ergebende Nachzahlungen
geleistet hätte.
42 (4) Im Übrigen spricht gegen die Möglichkeit nachträglicher Anwendungstreue, dass
andernfalls ein Anreiz für den Arbeitgeber entstünde, zunächst von Anwendungstreue
abzusehen und abzuwarten, ob sich dies wirtschaftlich lohnt oder die Rückkehr zum
„richtigen“ Regelwerk „billiger“ ist.
43 II. Die Zinsforderung ist nach § 286 Abs. 1, Abs. 2, § 288 Abs. 1 BGB begründet.
44 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Mikosch
W.
Reinfelder
Schmitz-
Scholemann
D.
Kiel
W.
Guthier