Urteil des BAG vom 10.07.2014

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 10.7.2014, 10 AZN
307/14
Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechts-frage
Leitsätze
Die Beantwortung einer die Auslegung einer Tarifnorm betreffenden Rechtsfrage hat nicht schon
deshalb grundsätzliche Bedeutung iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, weil eine rechtskräftige
Entscheidung im Ausgangsverfahren die Bindungswirkung nach § 9 TVG auslöst.
Tenor
1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 20. Februar 2014 - 15 Sa 1103/13 - wird als
unzulässig verworfen.
2. Die Kosten der Beschwerde hat der Beklagte zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde ist unzulässig.
2 I. Die Parteien haben in einem Verfahren nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG über die Auslegung
einer Regelung im Manteltarifvertrag für das Metallbauerhandwerk,
Feinwerkmechanikerhandwerk, Metall- und Glockengießerhandwerk Nordrhein-Westfalen
(im Folgenden: MTV 2011) gestritten. Die klagende Gewerkschaft hat die Auffassung
vertreten, die Regelung in § 4 Ziff. 3 Buchst. d MTV 2011, nach der beim Zusammentreffen
mehrerer Zuschläge nur der jeweils höchste zu zahlen ist, finde keine Anwendung beim
Zusammentreffen von Zuschlägen für Mehr- und Nachtarbeit nach § 4 Ziff. 1 und Ziff. 2
MTV 2011. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr
entsprochen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte
mit der auf grundsätzliche Bedeutung gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.
3 II. Die Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht in der nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG
gebotenen Form begründet worden ist.
4 1. Nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt
werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Beschwerde ist begründet, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der
aufgeworfenen Rechtsfrage abhängt, diese Rechtsfrage durch das Revisionsgericht
klärungsfähig und klärungsbedürftig ist und diese Klärung entweder von allgemeiner
Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die
Interessen der Allgemeinheit oder jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit eng
berührt (BAG 15. Oktober 2012 - 5 AZN 1958/12 - Rn. 13 mwN). Der Beschwerdeführer hat
die nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG von ihm zu benennende
entscheidungserhebliche Rechtsfrage regelmäßig so konkret zu formulieren, dass sie mit
„Ja“ oder mit „Nein“ beantwortet werden kann (BAG 8. Dezember 2011 - 6 AZN 1371/11 -
Rn. 5 mwN, BAGE 140, 76).
5 2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
6 a) Der Beklagte hat auf Seite 6 der Beschwerdebegründung keine
entscheidungserhebliche Rechtsfrage iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG dargelegt. Die sich
nach dem Vorbringen des Beklagten stellende Frage,
„inwieweit es bei der Auslegung des Regelungsgegenstandes einer
tarifvertraglichen Klausel auf den tatsächlichen Willen der Parteien ankommt und
wie konkret dieser erforscht werden muss“,
kann nicht mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden, sondern kennzeichnet ein vielfältiger
Erörterung zugängliches Problembündel und ermöglicht zahlreiche Antworten, die je nach
Tatsachenlage unterschiedliche Entscheidungen zulassen. Der Sache nach rügt der
Beklagte eine angeblich unzutreffende Rechtsanwendung durch das
Landesarbeitsgericht. Eine solche erfüllt jedoch für sich genommen nicht die
Voraussetzungen eines der im Gesetz abschließend aufgeführten Zulassungsgründe.
7 b) Auch wenn man zugunsten des Beklagten annimmt, er habe auf Seite 7 der
Beschwerdebegründung eine hinreichend konkrete Rechtsfrage mit dem Inhalt des
klägerischen Feststellungsantrags formuliert, ist die Beschwerde zu verwerfen.
8 aa) Der Beklagte hat nicht dargetan, dass diese Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Hiervon
ist auszugehen, wenn sie höchstrichterlich noch nicht entschieden und ihre Beantwortung
nicht offenkundig ist (BAG 27. März 2012 - 3 AZN 1389/11 - Rn. 19 mwN). Der Beklagte
hat nicht konkret aufgezeigt, welche Umstände im Einzelnen gegen das - nach Auffassung
des Landesarbeitsgerichts zweifelsfreie - Verständnis der umstrittenen tariflichen
Regelung in § 4 Ziff. 3 Buchst. d MTV 2011 sprechen.
9 bb) Der Beklagte hat ferner nicht dargelegt, dass die Beantwortung der Rechtsfrage von
allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen
Auswirkungen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung
und Handhabung des Rechts berührt.
10 (1) Die Beschwerde hat weder aufgezeigt, dass sich die Rechtsfrage der Addition der
Zuschläge nach § 4 Ziff. 1 und Ziff. 2 MTV 2011 in den Mitgliedsbetrieben in
nennenswertem Umfang stellt und künftig stellen wird, noch hat sie ein abstraktes
Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des
Rechts begründet. Die pauschale Behauptung des Beklagten, die Auslegung der
Tarifvorschrift habe „branchenspezifische Relevanz für die Mitgliedsunternehmen“ und es
sei „die Mehrheit der Handwerksbetriebe“ betroffen, vermag nicht zu rechtfertigen, dass die
Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ist oder wegen ihrer
tatsächlichen Auswirkungen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der
einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Eine Rechtsfrage hat
nicht allein deshalb grundsätzliche Bedeutung iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, weil von ihr
mehr als 20 Arbeitsverhältnisse bei einem Arbeitgeber betroffen sein können (vgl. BAG
28. Juni 2011 - 3 AZN 146/11 - BAGE 138, 180).
11 (2) Die Beantwortung der Rechtsfrage berührt auch nicht schon wegen ihrer tatsächlichen
Auswirkungen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung
und Handhabung des Rechts, weil eine rechtskräftige Entscheidung in diesem
Rechtsstreit die Bindungswirkung nach § 9 TVG auslöst. Hiergegen spricht bereits, dass
der MTV 2011 mit Wirkung zum 1. Januar 2014 durch einen neuen Manteltarifvertrag
abgelöst wurde, auf den sich die Bindungswirkung der Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts nach § 9 TVG nicht erstreckt (vgl. nur Wiedemann/Oetker TVG
7. Aufl. § 9 Rn. 40). Soweit der Neunte Senat in der Entscheidung vom 17. Juni 1997 (-
9 AZN 251/97 - BAGE 86, 125) bei einer Rechtsstreitigkeit zwischen Tarifvertragsparteien
über die Auslegung eines Tarifvertrags die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
iSd. § 72a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG idF vom 2. Juli 1979 im Hinblick auf die Bindungswirkung
der rechtskräftigen Entscheidung für die Gerichte und Schiedsgerichte nach § 9 TVG
bejaht hat, wird daran nicht festgehalten. Einer Anrufung des Großen Senats gemäß § 45
ArbGG bedarf es hierbei nicht. Die Entscheidung des Neunten Senats ist zu der mit Ablauf
des 31. Dezember 2004 außer Kraft getretenen Fassung von § 72a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG
ergangen. Die in § 72a ArbGG aF enthaltene Beschränkung der Grundsatzbeschwerde
auf besondere Rechtsstreitigkeiten über Tarifverträge, Arbeitskampfmaßnahmen und
Betätigungsrechte ist mit Wirkung zum 1. Januar 2005 ersatzlos entfallen. Der
Gesetzgeber hat den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einheitlich für alle
Rechtsfragen geregelt und damit bei Rechtsstreitigkeiten, in denen eine
entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, einen Gleichklang
zwischen der Zulassungsrevision (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) und der
Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a Abs. 1 ArbGG) geschaffen, wie er in anderen
Verfahrensordnungen bereits vorgesehen war (vgl. die Begründung zu Art. 7 Nr. 3
Buchst. a des Entwurfs der Bundesregierung zum Anhörungsrügengesetz, BT-Drs. 663/04
vom 3. September 2004 S. 48). Anhaltspunkte für eine Privilegierung von
Verbandsstreitigkeiten enthält das Gesetz in seiner heutigen Fassung nicht.
12 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Streitwertfestsetzung beruht auf
§ 63 Abs. 2 GKG.
Linck W. Reinfelder Brune