Urteil des BAG vom 21.06.2012

Benachteiligung aufgrund eines durch § 1 AGG gebotenen Merkmals (Alter) - Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche - Ausschlussfrist zur Geltendmachung

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BUNDESARBEITSGERICHT
8 AZR 188/11
5 Sa 3/09
Landesarbeitsgericht
Hamburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
21. Juni 2012
URTEIL
Förster, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 21. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-
arbeitsgericht Hauck, die Richter am Bundesarbeitsgericht Böck und Breinlinger
sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Volz und Dr. Pauli für Recht erkannt:
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Hamburg vom 27. Oktober 2010 - 5 Sa
3/09 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Entschädigungs- und Scha-
densersatzansprüche geltend, da sie von ihr bei einer Bewerbung wegen ihres
Alters diskriminiert wurde.
Die Beklagte suchte mit einer am 15. November 2007 veröffentlichten
Stellenanzeige Mitarbeiter für das von ihr betriebene Callcenter. Die Anzeige
lautete auszugsweise:
„CALL CENTER AGENTS
Wir suchen für unser junges Team in der City motivierte
Mitarbeiter/innen.
Du telefonierst gerne?
Dann bist Du genau richtig bei uns. Wir geben Dir die
Möglichkeit sogar damit Geld zu verdienen.
Du bist zwischen 18 - 35 Jahre alt und verfügst über gute
Deutschkenntnisse und suchst eine Vollzeitaufgabe?
Wir bieten Dir gute Verdienstmöglichkeiten und ein sehr
nettes Arbeitsklima.“
Auf die Anzeige bewarb sich die damals 41-jährige, arbeitssuchende
Klägerin. Ihrer Bewerbung fügte sie einen vollständigen tabellarischen Lebens-
lauf bei. Die Beklagte stellte zwei andere Bewerberinnen der Geburtsjahrgänge
1985 und 1987 zum 19. November 2007 ein. Am gleichen Tag sagte sie der
Klägerin telefonisch ab, wobei der genaue Gesprächsinhalt streitig ist. Mit
Poststempel vom 21. November 2007 schickte sie der Klägerin ihre Bewer-
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bungsunterlagen zurück. Sie fügte eine handschriftliche Notiz bei, der zufolge
„alle Plätze belegt“ seien. Weitere, ähnliche Stellenanzeigen schaltete die
Beklagte am 22. November 2007 und am 9. April 2008.
Ohne vorherige schriftliche Geltendmachung reichte die Klägerin beim
Arbeitsgericht Hamburg am 29. Januar 2008 die vorliegende Klage ein, die der
Beklagten am 2. Februar 2008 zugestellt wurde.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei wegen ihres Alters bei
der Stellenbesetzung benachteiligt worden. Schon der Inhalt der Stellenanzeige
weise auf eine solche Diskriminierung hin. Im Telefonat vom 19. November
2007 sei ihr zudem mitgeteilt worden, sie entspreche nicht dem Bewerberprofil
der Beklagten. Neben einer Entschädigung iHv. drei Monatsgehältern sei ihr
daher die Beklagte auch zum Ersatz der materiellen Schäden verpflichtet, wozu
neben den Bewerbungskosten iHv. 1,59 Euro die Anwaltskosten
der ersten Instanz iHv. 1.139,43 Euro gehörten. Die Klägerin hat die Meinung
vertreten, die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG verstoße gegen die unions-
rechtlichen Gebote der Gleichwertigkeit und der Effektivität. Letzteres gelte
auch für § 12a ArbGG, da die erstinstanzlich zu tragenden Anwaltskosten eine
nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG begrenzte Entschädigung immer teilweise auf-
zehrten.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an sie Schadensersatz
iHv. 1,59 Euro zu zahlen nebst fünf Prozentpunkten
Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshän-
gigkeit;
2.
die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Entschädi-
gung von 5.709,00 Euro zu zahlen nebst fünf Pro-
zentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit;
3.
die Beklagte zu verurteilen, an sie entstandene
Kosten für die anwaltliche Vertretung im Verfahren
erster Instanz iHv. 1.139,43 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat behauptet, die Bewerbung der Klägerin sei am
19. November 2007 bei ihr eingegangen, als die beiden offenen Stellen schon
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besetzt gewesen seien. Dies habe man der Klägerin im Telefongespräch vom
19. November 2007 mitgeteilt. Sie beschäftige auch ältere Arbeitnehmer.
Jedenfalls habe die Klägerin die wirksame Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG
nicht eingehalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom
3. Juni 2009 hat das Landesarbeitsgericht dem Gerichtshof der Europäischen
Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Verstößt eine nationale Gesetzgebung, nach der (außer-
halb von kollektivrechtlichen Regelungen) zur schriftlichen
Geltendmachung eines Schadens- und/oder Entschädi-
gungsanspruches wegen Diskriminierung bei der Einstel-
lung eine Frist von zwei Monaten nach Empfang der
Ablehnung - oder im Wege der Auslegung: nach Kenntnis
der Diskriminierung - gilt, gegen Primärrecht der EG
(Gewährleistung
eines
effektiven
Rechtsschutzes)
und/oder das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Alters-
diskriminierung, Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November
2000, wenn für gleichwertige Ansprüche nach nationalem
Recht dreijährige Verjährungsfristen gelten und/oder das
Verschlechterungsverbot
gemäß
Art. 8
der
Richtli-
nie 2000/78/EG, wenn eine frühere nationale Vorschrift bei
der Diskriminierung wegen des Geschlechts eine längere
Ausschlussfrist vorsah?“
Mit Urteil vom 8. Juli 2010
hat der Gerichtshof der
Europäischen Union für Recht erkannt:
„1. Das Primärrecht der Union und Art. 9 der Richtlinie
2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die
Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäfti-
gung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie
einer nationalen Verfahrensvorschrift nicht ent-
gegenstehen, wonach derjenige, der bei der Einstel-
lung wegen des Alters diskriminiert worden ist, seine
Ansprüche auf Ersatz des Vermögens- und Nicht-
vermögensschadens gegenüber demjenigen, von
dem diese Diskriminierung ausgeht, innerhalb von
zwei Monaten geltend machen muss, sofern
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zum einen diese Frist nicht weniger günstig ist
als
die
für
vergleichbare
innerstaatliche
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Rechtsbehelfe im Bereich des Arbeitsrechts,
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zum anderen die Festlegung des Zeitpunkts,
mit dem der Lauf dieser Frist beginnt, die
Ausübung der von der Richtlinie verliehenen
Rechte nicht unmöglich macht oder übermäßig
erschwert.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob
diese beiden Bedingungen erfüllt sind.
2.
Art. 8 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen,
dass er einer zur Umsetzung dieser Richtlinie erlas-
senen nationalen Verfahrensvorschrift nicht ent-
gegensteht, in deren Folge eine frühere Regelung
geändert worden ist, die eine Frist für die Geltend-
machung
eines
Entschädigungsanspruchs
bei
geschlechtsbezogener Diskriminierung vorsah.“
Sodann hat das Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 27. Oktober
2010 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelasse-
nen Revision verfolgt die Klägerin ihre Entschädigungs- und Schadensersatz-
ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Ein ihr möglicherweise zu-
stehender Entschädigungsanspruch ist wie ein etwa bestehender Schadens-
ersatzanspruch verfallen.
A.
Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet: Zwar habe die Klägerin mit der von der Beklagten verfassten,
gegen § 11 AGG verstoßenden Stellenanzeige ein Indiz iSd. § 22 AGG vorge-
tragen. Auch seien die Bewerbungsverfahren nicht abgeschlossen gewesen, da
am 22. November 2007 die nächste diskriminierende Stellenausschreibung
erschienen sei. Jedoch habe die Klägerin die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4
AGG nicht gewahrt. Um dem Effektivitätsgebot zu genügen, müsse § 15 Abs. 4
Satz 2 AGG europarechtskonform dahin ausgelegt werden, dass die Frist erst
mit Kenntniserlangung von der Diskriminierung beginne. In Anbetracht des
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diskriminierenden Inhalts der Stellenanzeige habe eine solche Kenntnis der
Klägerin schon mit der Absage am 19. oder 21. November 2007 bestanden. Die
Klageeinreichung am 29. Januar 2008 wahre daher die Zweimonatsfrist des
§ 15 Abs. 4 AGG nicht. Die Frist sei auch nicht weniger günstig als vergleichba-
re innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich des Arbeitsrechts. Der deutsche
Gesetzgeber habe selbst für das bestehende Arbeitsverhältnis eine Reihe von
deutlich unter zwei Monaten liegenden Fristen normiert, die die Arbeitnehmer
einzuhalten hätten, um ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber nicht zu verlie-
ren.
B.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtli-
chen Überprüfung stand.
I.
Ein etwaiger Entschädigungsanspruch der Klägerin nach § 15 Abs. 2
AGG ist wegen verspäteter Geltendmachung verfallen .
1.
Der von der Klägerin gestellte bezifferte Zahlungsantrag ist hinreichend
iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt. Die Klägerin hat die von ihr nach § 15
Abs. 2 AGG begehrte angemessene Entschädigung beziffert und Tatsachen
benannt, die den geltend gemachten Entschädigungsbetrag rechtfertigen
sollen.
2.
Das am 18. August 2006 in Kraft getretene AGG findet auf den Streitfall
Anwendung.
a)
Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin
ist als Bewerberin „Beschäftigte“ iSd. AGG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG
gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäfti-
gungsverhältnis. Dabei kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Bewer-
bung der Klägerin sei bei ihr erst nach der Besetzungsentscheidung über zwei
Stellen eingegangen. Jedenfalls hat die Beklagte noch weitere Bewerber
gesucht, wie sich ihrer Anzeige vom 22. November 2007 entnehmen lässt.
b)
Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passivlegitimiert. Nach § 6 Abs. 2
Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach
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Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist also derjenige, der um
Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet
.
3.
Die Klägerin hat die nach § 15 Abs. 4 AGG für die Geltendmachung von
Ansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG einzuhaltende Frist von zwei Monaten nicht
gewahrt. Bei dieser Frist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Aus-
schlussfrist
, deren Einhaltung - wie bei tarifvertraglichen Ausschlussfristen -
von Amts wegen zu beachten ist
.
a)
Die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG verstößt nicht gegen Europa-
recht.
aa)
Ausdrücklich lassen Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates
vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die
Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, Art. 7 Abs. 3
der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethni-
schen Herkunft und Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsat-
zes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in
Arbeits- und Beschäftigungsfragen einzelstaatliche Regelungen über Fristen für
die Rechtsverfolgung betreffend den Gleichbehandlungsgrundsatz unberührt.
bb)
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union ist es mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung Sache der
innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen
Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger
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aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, zu bestim-
men. Dabei dürfen diese Verfahren nicht weniger günstig gestaltet sein als bei
entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen
, und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verlie-
henen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren
.
cc)
§ 15 Abs. 4 AGG verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gleichwertig-
keit . Nach deutschem Recht besteht keine, einer Klage auf Ent-
schädigung nach § 15 Abs. 2 AGG vergleichbare, nach ihren Verfahrensmodali-
täten günstigere Klageart. Dies hat der Senat bereits mit seinen Urteilen vom
15. März 2012
mit ausführlicher Begründung entschieden, auf die zur
Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
dd)
Ebenso wenig verstößt § 15 Abs. 4 AGG gegen den Effektivitätsgrund-
satz, wie der Senat gleichfalls mit seinen Urteilen vom 15. März 2012 erkannt
hat
. Allerdings ist § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG im Falle einer Bewerbung oder
eines angestrebten beruflichen Aufstiegs unionsrechtskonform dahingehend
auszulegen, dass die Frist nicht vor dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Be-
schäftigte Kenntnis von der Benachteiligung erlangt. Hierüber gibt die bloße
Ablehnung der Bewerbung durch den Arbeitgeber nicht in jedem Fall zwingend
Auskunft .
b)
Mit der Ablehnung im Telefongespräch vom 19. November 2007 hatte
die Klägerin Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen. Durch das
Telefonat wusste sie, dass ihre Bewerbung keine Berücksichtigung für das
Auswahlverfahren gefunden hat oder finden wird. Ein Nachteil im Sinne einer
unmittelbaren Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt im Falle einer
Auswahlentscheidung bereits dann vor, wenn die Beschäftigte nicht in die
Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung
liegt in der Versagung einer Chance
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. Da im Zeitpunkt der Absage die
Klägerin Kenntnis vom Inhalt der Stellenanzeige hatte, die die Beklagte am
15. November 2007 veröffentlichen ließ und die gegen § 11 AGG verstieß, war
sie seit dem 19. November 2007 in der Lage, Entschädigungsansprüche gegen-
über der Beklagten geltend zu machen. Nach dem eigenen, von der Beklagten
jedoch bestrittenen Vortrag, ist die Klägerin zudem in dem Telefongespräch
direkt auf die unmittelbare Benachteiligung aufgrund des Diskriminierungs-
merkmals „Alter“ verwiesen worden, da sie „dem Bewerberprofil nicht entspre-
che“.
Mit ihrer Ausschreibung suchte die Beklagte Bewerber im Alter „zwi-
schen 18 - 35 Jahre“ und differenzierte damit nach dem verpönten Merkmal des
Alters. Die Ausschreibung verstieß gegen § 7 Abs. 1 AGG, was nach der
Rechtsprechung des Senats die Vermutung begründet, die Benachteiligung sei
wegen des in der Ausschreibung bezeichneten Merkmals erfolgt
.
c)
Die Zweimonatsfrist begann danach am 20. November 2007
und endete am 21. Januar 2008 ,
nachdem der 19. Januar 2008 auf einen Sonnabend fiel. Zwar wird die von § 15
Abs. 4 Satz 1 AGG geforderte Schriftform auch durch eine gerichtliche Klage
gewahrt
, allerdings setzt dies voraus, dass die Klage
rechtzeitig zugestellt wird; § 167 ZPO findet keine Anwendung
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. Die am 29. Januar 2008 bei Gericht einge-
reichte und der Beklagten am 2. Februar 2008 zugestellte Klage wahrte die am
21. Januar 2008 abgelaufene Frist nicht.
II.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Ersatz
des Nichtvermögensschadens wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlich-
keitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
1.
Voraussetzung eines Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2
Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ist, dass der Arbeitgeber das allgemeine Persönlich-
keitsrecht schwerwiegend verletzt hat oder dem Arbeitgeber ein schwerwiegen-
der Verschuldensvorwurf zu machen ist; geringfügige Eingriffe lösen keine
Entschädigungsansprüche aus
. Weitere
Voraussetzung ist, dass die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedi-
gend ausgeglichen werden kann
. Ob eine schwerwiegende Verletzung vorliegt, hängt von Art,
Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handeln-
den sowie dem Grad seines Verschuldens ab, wobei zu berücksichtigen ist, in
welche geschützten Bereiche eingegriffen wurde
. Eine Haftung kommt insbesondere nur bei einem
Verschulden in Betracht.
Nach den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln hat der Ge-
schädigte sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und ggf.
zu beweisen. § 22 AGG bietet für die Geltendmachung eines Anspruchs aus
§ 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
keine Erleichterungen
.
2.
Weder aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch aus den
Behauptungen der Klägerin ergibt sich eine schwerwiegende Verletzung ihres
Persönlichkeitsrechts oder ein schwerwiegender Verschuldensvorwurf, der der
Beklagten zu machen wäre. Auch wenn diese unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1,
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§ 11 AGG Arbeitsplätze altersdiskriminierend ausgeschrieben hat, genügt das
nicht, um eine Entschädigungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1,
Art. 1 Abs. 1 GG auszulösen, wie es bei einer „Herabwürdigung“
gegebenenfalls anzunehmen wäre. Eine „Herab-
würdigung“ ergibt sich nicht aus Form und Inhalt der Ablehnungen, und zwar
weder aus dem Inhalt des Telefonats vom 19. November 2007, selbst wenn
man dessen Inhalt mit der Darstellung der Klägerin unterstellt, noch aus der
handschriftlichen Ablehnungsnotiz vom 21. November 2007.
III.
Den Ersatz der von ihr geltend gemachten materiellen Schäden
- Bewerbungskosten und Kosten der Rechtsverfolgung - kann die Klägerin
schon deswegen nicht von der Beklagten nach § 15 Abs. 1 AGG verlangen, da
sie auch insoweit die in § 15 Abs. 4 AGG geregelte Ausschlussfrist nicht einge-
halten hat.
1.
Auch und soweit die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG materielle
Schadensersatzansprüche erfasst, verstößt sie nicht gegen den primärrechtli-
chen Grundsatz der Gleichwertigkeit. Nach nationalem Recht bestand kein dem
Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG vergleichbarer Anspruch eines
erfolglosen Stellenbewerbers bei Verletzung des Inklusionsinteresses oder in
Bezug auf andere, vergleichbare Merkmale. Es gilt insoweit grundsätzlich das
für die Gleichwertigkeit des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG
Ausgeführte.
a)
Durch die Verabschiedung des AGG hat der deutsche Gesetzgeber in
Umsetzung der Richtlinie 2000/43/EG, der Richtlinie 2000/78/EG, der Richtlinie
2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September
2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich
des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Auf-
stieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und der Richtlinie
2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu
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und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zuvor schon be-
stehende einzelne Diskriminierungsverbote erstmals zu einem umfassenden
Diskriminierungsschutz in Deutschland ausgebaut. Zur effektiven Durchsetzung
dient dabei in besonderer Weise die in § 22 AGG getroffene Beweislastvertei-
lung. Die vom Grundsatz der Privatautonomie geprägte deutsche Rechtsord-
nung unterscheidet sich grundlegend vom europäischen Antidiskriminierungs-
recht. Aufgaben, die in anderen Rechtsordnungen dem Diskriminierungsschutz
zukamen und zukommen, übernahmen in der Vergangenheit in der deutschen
Rechtsordnung für bestehende Arbeitsverhältnisse teilweise als funktionelle
Äquivalente der allgemeine Kündigungsschutz oder bei der Gewährung von
Leistungen der Gleichbehandlungsgrundsatz. An diesen ist jedoch der Arbeit-
geber bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen nicht gebunden
. Für die Nichteinstellung schuldet der Arbeitgeber nach deutschem
Recht grundsätzlich keinerlei Rechtfertigung
. Zur Richtlinienumsetzung durch das AGG
konnte der deutsche Gesetzgeber daher nicht an einen bereits im nationalen
Recht bestehenden Diskriminierungsschutz anknüpfen
.
Keinen Vergleichsmaßstab können die Diskriminierungsverbote des § 611a
BGB aF und § 81 Abs. 2 SGB IX aF bilden, da diese ihrerseits der Richtlinien-
umsetzung dienten .
Damit unterscheiden sich Ansprüche nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2,
§ 311 Abs. 2 BGB von solchen aus § 15 Abs. 1 AGG hinsichtlich ihres Rechts-
grundes und ihrer wesentlichen Merkmale, sodass der deutsche Gesetzgeber
nicht gehindert war, für Ansprüche nach § 15 Abs. 1 AGG eine besondere
Ausschlussfrist vorzusehen.
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b)
Der Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG ist auch nicht dem
Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts
nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG vergleichbar.
Beide Ansprüche unterscheiden sich bereits hinsichtlich des Gegen-
stands. § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gewährt bei
Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine Geldentschädigung. Der Ersatz
materieller Schäden ist bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts nur für vermö-
genswerte Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
anerkannt
. Aufwendun-
gen und Schäden des erfolglosen Stellenbewerbers, wie bspw. der entgangene
Gewinn, fallen demgegenüber nicht in den Schutzbereich von § 823 Abs. 1
BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG
. Demgegenüber gewährt § 15
Abs. 1 AGG Anspruch auf Ersatz des durch die Benachteiligung entstandenen
materiellen Schadens.
2.
§ 15 Abs. 4 Satz 1 AGG bestimmt ausdrücklich, dass neben einem
Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auch der Schadensersatzan-
spruch nach § 15 Abs. 1 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich
geltend zu machen ist
. Etwas anderes soll
nur dann gelten, wenn die Tarifvertragsparteien dies vereinbart haben, § 15
Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 AGG. Hinsichtlich des Fristbeginns differenziert § 15
Abs. 4 Satz 2 AGG nicht zwischen Ansprüchen nach § 15 Abs. 1 AGG und
solchen nach § 15 Abs. 2 AGG, sondern bestimmt für beide Ansprüche, dass
die Frist im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem
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Zugang der Ablehnung und in sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem
Zeitpunkt beginnt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung
Kenntnis erlangt. Allerdings ist § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG unionsrechtskonform
dahingehend auszulegen, dass die Frist auch im Falle einer Bewerbung oder
eines beruflichen Aufstiegs erst zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Beschäf-
tigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Aus dem Wortlaut von § 15
Abs. 4 AGG ergibt sich somit, dass es für den Fristbeginn zur Geltendmachung
eines Schadensersatzanspruchs nach § 15 Abs. 1 AGG nicht auf die Entste-
hung des Schadens oder dessen Fälligkeit ankommt.
Die am 29. Januar 2008 eingereichte und der Beklagten am 2. Februar
2008 zugestellte Klage wahrte daher die Frist des § 15 Abs. 4 AGG auch
hinsichtlich eines materiellen Schadensersatzanspruchs aus § 15 Abs. 1 AGG
nicht.
IV.
Ein Anspruch auf Ersatz der materiellen Schäden ergibt sich nicht aus
§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB iVm. § 7 Abs. 3 AGG. Soweit
diese Anspruchsgrundlage allein mit einem Verstoß gegen das Benachteili-
gungsverbot begründet wird, kommt sie neben dem Anspruch aus § 15 Abs. 1
AGG nicht in Betracht.
1.
Nach § 15 Abs. 5 AGG bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die
sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, im Übrigen unberührt. Aus der
Begründung des Gesetzesentwurfs ergibt sich, dass der Gesetzgeber insbe-
sondere an Ansprüche auf Unterlassung nach § 1004 BGB oder auf Ersatz des
materiellen Schadens nach den §§ 252, 823 BGB dachte
. Eine abschließende und klare Regelung des Konkur-
renzverhältnisses zu anderen möglichen Ansprüchen auf Schadensersatz und
Entschädigung ergibt sich hieraus nicht. Insbesondere ist unklar, inwieweit der
Beschäftigte Schadensersatzansprüche bei Verstoß gegen das Benachteili-
gungsverbot auf § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB stützen kann,
nachdem § 7 Abs. 3 AGG bestimmt, dass eine Benachteiligung nach Absatz 1
durch den Arbeitgeber oder Beschäftigte eine Verletzung vertraglicher Pflichten
darstellt.
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2.
In der Rechtslehre ist die Frage umstritten. Ein Teil der Literatur geht
davon aus, dass Ansprüche aus § 280 BGB, die auf einen Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot gestützt werden, neben Ansprüchen aus § 15 AGG
bestehen, ohne dass die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG Geltung erlangt
. Weiter wird auch vertreten, § 280 BGB finde zwar
neben § 15 Abs. 1 AGG Anwendung, jedoch sei auch die Ausschlussfrist nach
§ 15 Abs. 4 AGG bei diesem Anspruch zu beachten
. Der überwiegen-
de Teil der Literatur nimmt an, dass § 15 Abs. 1 AGG als speziellere Norm
mögliche Ansprüche aus § 280 BGB verdrängt
.
3.
Der überwiegenden Auffassung der Literatur ist der Vorzug zu geben.
Für die Annahme einer spezielleren Regelung durch § 15 Abs. 1 AGG spricht
sowohl der gesetzliche Regelungszusammenhang als auch der Wortlaut von
§ 15 Abs. 1 und Abs. 5 AGG.
a)
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß
gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen
Schaden zu ersetzen. § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG bestimmt weiter, dass eine
Ersatzpflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG nicht eintritt, wenn der Arbeitgeber
die „Pflichtverletzung“ nicht zu vertreten hat. Damit übernimmt § 15 Abs. 1 AGG
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das Regelungskonzept des § 280 Abs. 1 BGB, bezieht dies aber auf einen
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. § 7 Abs. 3 AGG enthält dazu die
Klarstellung, dass die vom Arbeitgeber oder Beschäftigten begangenen Be-
nachteiligungen Vertragsverletzungen darstellen. Durch die Regelung in § 15
Abs. 1 Satz 2 AGG werden gleichzeitig die §§ 276 bis 278 BGB für den An-
spruch aus § 15 Abs. 1 AGG anwendbar . § 15
Abs. 1 AGG normiert daher einen vertraglichen Schadensersatzanspruch, der
sich allein gegen den Arbeitgeber richtet und hinsichtlich seiner Voraussetzun-
gen und Rechtsfolgen besonderen Regelungen unterliegt. So hat der Beschäf-
tigte nach dem Wortlaut von § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG nur hinsichtlich eines
Anspruchs nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG eine Ausschlussfrist einzuhalten.
Auf der Rechtsfolgenseite stellt § 15 Abs. 6 AGG klar, dass ein Verstoß des
Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot keinen Anspruch auf Begrün-
dung eines Beschäftigungs- oder Berufsausbildungsverhältnisses oder einen
beruflichen Aufstieg begründet, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem
anderen Rechtsgrund. Damit wird eine Naturalrestitution ausgeschlossen.
Hieran zeigt sich, dass der Gesetzgeber den materiellen Schadensersatz, der
sich bei Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ergeben kann, innerhalb
vertraglicher Beziehungen speziell ausgestaltet hat. Dies spricht dafür, den
allgemeinen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB als verdrängt zu
betrachten, soweit dieser allein auf einen Verstoß gegen das Benachteiligungs-
verbot gestützt wird . Auf diese Weise wird sicherge-
stellt, dass die besonderen Voraussetzungen die der Gesetzgeber an einen
Anspruch nach § 15 Abs. 1 AGG knüpft , nicht durch
Gewährung eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB umgangen werden.
b)
Ebenso spricht der Wortlaut von § 15 Abs. 5 AGG für die Annahme,
§ 15 Abs. 1 AGG stelle in seinem Anwendungsbereich eine § 280 Abs. 1 BGB
verdrängende Norm dar. § 15 Abs. 5 AGG bestimmt, dass „im Übrigen“ An-
sprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften
ergeben, unberührt bleiben. Die vom Gesetzgeber verwendete Formulierung
spricht maßgeblich dafür, dass die allgemeinen Regelungen nur insoweit zur
Anwendung kommen sollen, als § 15 AGG keine eigene Regelung trifft. Hin-
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sichtlich des Anspruchs auf Ersatz materieller Schäden auf (vor-)vertraglicher
Grundlage ist dies aber in § 15 Abs. 1 AGG geschehen.
V.
Den von ihr begehrten Ersatz ihres materiellen Schadens kann die
Klägerin von der Beklagten vorliegend schließlich nicht nach § 823 Abs. 2 BGB
iVm. § 7 Abs. 1 oder § 11 AGG verlangen.
1.
Grundsätzlich werden Schadensersatzansprüche aus unerlaubter
Handlung nicht durch § 15 Abs. 1 AGG verdrängt. Insoweit regelt das AGG nur
einen (vor-)vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des
Benachteiligungsverbots, „im Übrigen“ werden aber nach § 15 Abs. 5 AGG
Ansprüche gegen den Arbeitgeber aus anderen Rechtsvorschriften nicht be-
rührt. Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass es insoweit bei der
echten Anspruchskonkurrenz zwischen Schadensersatzansprüchen wegen der
Verletzung vertraglicher Pflichten und solchen aus unerlaubter Handlung
bleiben soll .
2.
Ob § 11 AGG oder, näherliegend, § 7 Abs. 1 AGG „Schutzgesetze“ iSd.
§ 823 Abs. 2 BGB sind, also zumindest auch Individualschutz wegen eines der
vom Gesetzgeber mit einer Norm verfolgten Anliegens gewähren wollen, ist in
der Rechtslehre umstritten, kann aber vorliegend dahinstehen. Denn wenn die
Beklagte mit ihrem Vorgehen vorliegend § 7 Abs. 1 oder § 11 AGG als „Schutz-
gesetz“ iSv. § 823 Abs. 2 BGB verletzt hätte, wäre ein daraus resultierender
Anspruch der Klägerin aufgrund der auch insoweit anzuwendenden Aus-
schlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG untergegangen.
a)
Zwar gilt als Grundregel, dass vertragliche und deliktische Ansprüche
nach ihren jeweiligen Voraussetzungen, ihrem Inhalt und ihrer Durchsetzung
selbständig zu beurteilen sind und den jeweils eigenen Regeln folgen. Ausnah-
men kommen aber dann in Betracht, wenn einer gesetzlichen Einschränkung
der Vertragshaftung zu entnehmen ist, dass die Möglichkeit des Geschädigten,
nach einem Ausschluss mit seinem vertraglichen Schadensersatzanspruch auf
den aus demselben Sachverhalt hergeleiteten deliktischen Anspruch auszuwei-
chen, jedenfalls den Zweck einer für den vertraglichen Schadensersatzan-
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spruch geltenden gesetzlichen Vorschrift vereiteln und diese gesetzliche Rege-
lung im Ergebnis aushöhlen würde
. Deshalb sind die für Ansprüche aus Vertragsverletzung geltenden
kurzen Verjährungsfristen auch auf konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter
Handlung anzuwenden, wenn das Ausweichen des Geschädigten auf einen aus
demselben Lebenssachverhalt hergeleiteten deliktischen Anspruch eine
Zweckvereitelung der kurzen Verjährungsvorschrift zur Folge hätte
.
Auch wendet das Bundesarbeitsgericht eine Ausschlussfrist, die „Ansprüche
aus dem Arbeitsverhältnis“ erfasst, nicht nur auf vertragliche Erfüllungs- und
Schadensersatzansprüche, sondern auch auf Ansprüche aus unerlaubter
Handlung an, wenn diese auf einem einheitlichen Lebensvorgang beruhen
,
da andernfalls die angestrebte Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht er-
reicht werden kann.
b)
Danach fallen deliktische Ansprüche, die auf denselben Lebenssach-
verhalt wie Ansprüche aus § 15 Abs. 1 AGG gestützt werden, unter die Aus-
schlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG.
3.
Zwar hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG bestimmt, dass
ein Anspruch „nach Absatz 1 oder 2“ innerhalb einer Frist von zwei Monaten
schriftlich geltend gemacht werden muss, es sei denn, die Tarifvertragsparteien
hätten etwas anderes vereinbart. Der Zweck des § 15 Abs. 4 AGG besteht
jedoch darin, angesichts der für das AGG durch § 22 geregelten Beweislastver-
teilung die Arbeitgeber nicht zu zwingen, Argumentationen über Einstellungs-
verfahren bis zum Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren
aufbewahren zu müssen . Für Ansprüche aus dem
AGG soll binnen kürzerer Frist Rechtssicherheit und Rechtsklarheit eintreten.
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Dem Sinn und Zweck der Regelung entspricht es, die Ausschlussfrist auch auf
konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung anzuwenden, die auf
denselben Sachverhalt gestützt werden, also auf eine Benachteiligung wegen
eines in § 1 AGG genannten Grundes. Da der Anspruch nach § 15 Abs. 1 AGG
verschuldensabhängig ausgestaltet ist, tritt bei einer Verwirklichung des Haf-
tungstatbestandes nach § 15 Abs. 1 AGG regelmäßig auch eine Verwirklichung
des Tatbestandes des § 823 Abs. 2 BGB ein, sofern einzelnen Bestimmungen
des AGG, etwa § 7 Abs. 1 AGG, Schutzgesetzcharakter zuzusprechen wäre.
Der Zweck des § 15 Abs. 4 AGG, innerhalb einer kurzen Frist Rechtssicherheit
und Rechtsklarheit in Bezug auf solche Ansprüche herbeizuführen, würde
jedoch vereitelt, wollte man § 15 Abs. 4 AGG nicht auf alle Ansprüche erstre-
cken, die auf den besonderen gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung gegrün-
det werden.
C.
Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen
Revision zu tragen.
Hauck
Böck
Breinlinger
Volz
Pauli
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