Urteil des BAG vom 16.04.2014

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 16.04.2014, 5 AZR 739/11.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 16. April 2014
Fünfter Senat
- 5 AZR 734/11 -
I. Arbeitsgericht Bielefeld
Urteil vom 9. April 2010
- 4 Ca 1884/09 -
II. Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil vom 12. April 2011
- 19 Sa 1960/10 -
Für die Amtliche Sammlung: Nein
Entscheidungsstichwort:
Unzumutbarkeit der tatsächlichen Beschäftigung
Bestimmungen:
BGB §§ 242, 615 Satz 1
Hinweis des Senats:
Parallelentscheidung zu führender Sache - 5 AZR 739/11 -
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BUNDESARBEITSGERICHT
5 AZR 734/11
19 Sa 1960/10
Landesarbeitsgericht
Hamm
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
16. April 2014
URTEIL
Radtke, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Revisionsbeklagter,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
16. April 2014 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts
Dr. Müller-Glöge, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl, die Richterin
am Bundesarbeitsgericht Weber sowie die ehrenamtlichen Richter Buschmann
und Pollert für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Hamm vom 12. April 2011 - 19 Sa
1960/10 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Nutzungsausfallentschädigung wegen des
Entzugs eines auch zur privaten Nutzung überlassenen Pkw.
Der am 31. Januar 1950 geborene, ledige Kläger war seit 1977 als
kaufmännischer Angestellter bei der ursprünglichen Beklagten beschäftigt, über
deren Vermögen am 1. Februar 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Die Schuldnerin stellte Transportgeräte her. Bei ihr waren etwa 55 Arbeitneh-
mer beschäftigt. Der Kläger war zuletzt als Leiter Buchhaltung/Finanzen/
Personal tätig. Ihm wurde am 24. Juli 1981 Prokura erteilt, die bis zum 7. Juni
2006 bestand. Das Bruttogrundgehalt des Klägers betrug zuletzt 5.749,75 Euro
monatlich. Dem Kläger wurde ein Pkw des Typs DB 200 auch zur privaten Nut-
zung überlassen. Steuerlich wurde der Wert der Nutzung mit 437,38 Euro mo-
natlich bewertet.
Im Jahr 2003 stellte die Schuldnerin fest, dass der Kläger durch mehre-
re Handlungen einen Betrag iHv. mindestens 280.568,95 Euro brutto aus ihrem
Vermögen an sich gebracht hatte. Der Kläger gestand die Taten ein und gab
diesbezüglich am 4. März 2003 ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Er er-
mächtigte die Schuldnerin, den jeweils pfändbaren Teil seines Arbeitseinkom-
mens einzubehalten und auf ihre Schadensersatzforderung zu verrechnen. Der
Kläger wurde in der Folgezeit weiterbeschäftigt. Die Kontovollmacht blieb be-
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stehen. Doch ließ sich die Schuldnerin einen Großteil der vom Kläger erteilten
Anweisungen vorlegen.
Am 5. April 2007 wurde der Schuldnerin ein Pfändungs- und Überwei-
sungsbeschluss über 48.900,00 Euro zugestellt, mit dem das Arbeitseinkom-
men des Klägers wegen einer Forderung der Sparkasse Herford gepfändet
wurde. Daraufhin strebte die Schuldnerin den Abschluss eines Aufhebungsver-
trags an. Nachdem der Kläger ein entsprechendes Angebot abgelehnt hatte,
stellte die Schuldnerin den Kläger von der Arbeit frei. Nachforschungen bei
Kreditinstituten ergaben, dass der Kläger nach Abgabe des notariellen Schuld-
anerkenntnisses weitere Beträge auf sein eigenes Konto überwiesen hatte. Mit
Schreiben vom 10. Mai 2007 kündigte die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis des
Klägers außerordentlich fristlos sowie vorsorglich fristgerecht. Gegen diese
Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, die unter Hinweis auf eine
fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats erfolgreich war
.
Nach Ausspruch der Kündigung im Mai 2007 stellte die Schuldnerin
weitere unberechtigte Überweisungen auf ein Konto des Klägers fest. Sie kün-
digte mit Schreiben vom 15. August 2007 erneut fristlos. Auch diese Kündigung
wurde zweitinstanzlich durch das Landesarbeitsgericht Hamm mit Urteil vom
30. Oktober 2008
wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebs-
rats für unwirksam erklärt. Der in diesem Verfahren geltend gemachte Anspruch
auf vorläufige Weiterbeschäftigung wurde in beiden Instanzen abgewiesen, weil
der Schuldnerin aufgrund der erheblichen Straftaten des Klägers eine tatsächli-
che Beschäftigung nicht zuzumuten sei.
Die Schuldnerin erstattete am 29. Juni 2007 Strafanzeige gegen den
Kläger. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld erhob unter dem 21. Mai 2008 Anklage
vor dem Amtsgericht Bielefeld. Darin wurden dem Kläger 74 Taten zum Nach-
teil der Schuldnerin zur Last gelegt. Mit Beschluss vom 18. November 2008 ließ
das Amtsgericht Bielefeld die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptver-
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handlung zu und eröffnete das Hauptverfahren gegen den Kläger. Mit Schrei-
ben vom 25. November 2008 kündigte die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis
erneut außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der gegen diese Kündi-
gung gerichteten Klage wurde vom Landesarbeitsgericht Hamm
mit der Begründung stattgegeben, die Zwei-Wochen-Frist des § 626
Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten worden und der Kläger sei ordentlich unkünd-
bar.
Am 6. Februar 2008 verurteilte das Arbeitsgericht den Kläger auf Antrag
der Schuldnerin, den Pkw DB 200 an die Schuldnerin herauszugeben. Die
Wegnahme des Fahrzeugs erfolgte im Wege der Zwangsvollstreckung am
14. Juli 2008. Zweitinstanzlich wurde die Herausgabeklage rechtskräftig abge-
wiesen. In einem weiteren Rechtsstreit verurteilte das Arbeitsgericht die
Schuldnerin am 22. April 2009, den Pkw wiederum an den Kläger herauszuge-
ben, weil dem Kläger nach dem seinerzeitigen Stand der Kündigungsschutzver-
fahren ein Recht zum Besitz am Pkw zustehe. Zugleich wurde die Schuldnerin
verurteilt, dem Kläger für die Monate November 2008 bis Januar 2009 Scha-
densersatz wegen des Entzugs der privaten Nutzung iHv. 1.312,14 Euro zu
zahlen. Am 18. August 2009 wurde der Herausgabetitel vollstreckt und der Klä-
ger nahm den Pkw wieder in Besitz.
Am 24. August 2009 wurde der Kläger wegen Untreue zum Nachteil der
Schuldnerin in 67 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf
Monaten verurteilt. Daraufhin kündigte die Schuldnerin mit Schreiben vom
22. September 2009 das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut fristlos. Das
Strafurteil wurde vom Landgericht Bielefeld dahingehend abgeändert, dass die
Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gegen die Kündi-
gung vom 22. September 2009 gerichtete Kündigungsschutzklage wurde durch
Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm abgewiesen
. Die dagegen vom Kläger eingelegte Revision wurde vom Bundesar-
beitsgericht am 22. November 2012 zurückgewiesen
.
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Der Kläger hat geltend gemacht, aufgrund des Fortbestands des
Arbeitsverhältnisses und des unberechtigten Entzugs des Pkw stehe ihm für
den Zeitraum 1. Februar bis 17. August 2009 Nutzungsausfallentschädigung zu.
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
die Schuldnerin zu verurteilen, an ihn für den Zeitraum
Februar bis Juli 2009 jeweils 437,38 Euro monatlich und
für August 2009 239,85 Euro jeweils nebst Zinsen zu zah-
len, hilfsweise das Bestehen entsprechender Schadenser-
satzansprüche festzustellen.
Die Schuldnerin hat Klageabweisung beantragt. Im Streitzeitraum habe
sie keine Vergütung und damit auch keine Überlassung des Pkw geschuldet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision hat der Kläger
zunächst seine zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens hat der Kläger die streitgegenständlichen Schadensersatz-
ansprüche zur Tabelle angemeldet. Der Insolvenzverwalter hat diese bestritten.
Mit dem gegen den Insolvenzverwalter aufgenommenen Rechtsstreit begehrt
der Kläger die Feststellung seiner Forderungen zur Tabelle. Der Revisionsbe-
klagte wendet doppelte Rechtshängigkeit ein. Der Kläger habe mit seiner am
9. Mai 2013 beim Arbeitsgericht Bielefeld eingereichten Klage die im vorliegen-
den Verfahren streitigen Ansprüche erneut rechtshängig gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger stehen die erhobenen Scha-
densersatzansprüche wegen Nutzungsausfalls nicht zu. Die Schuldnerin war im
Zeitraum 1. Februar bis 17. August 2009 nicht verpflichtet, dem Kläger den Pkw
DB 200 auch zur privaten Nutzung zu überlassen. Insbesondere schuldete sie
diese Naturalvergütung nicht wegen Annahmeverzugs. Einen Anspruch auf
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Nutzungsüberlassung unabhängig von einem Vergütungsanspruch hat der Klä-
ger nicht dargelegt.
I.
Die gestellten Anträge sind zulässig.
1.
Der Klage steht nicht die Rechtskraft eines früheren Urteils entgegen.
Die im Vorprozess vom Arbeitsgericht Bielefeld - 4 Ca 3239/08 - mit Urteil vom
22. April 2009 ausgesprochene Verurteilung der Schuldnerin zum Schadenser-
satz wegen des Entzugs der Nutzung des Fahrzeugs betraf die Monate No-
vember 2008 bis Januar 2009 und entfaltet keine Rechtskraft hinsichtlich der
Folgemonate.
2.
Es mag zwar sein, dass durch die vom Kläger beim Arbeitsgericht unter
dem 9. Mai 2013 eingereichte Feststellungsklage doppelte Rechtshängigkeit
eingetreten ist, doch betrifft diese die Zulässigkeit des zweiten beim Arbeitsge-
richt anhängigen Rechtsstreits.
II.
Die Klage ist mit den noch anhängigen Anträgen unbegründet. Dem
Kläger stehen die erhobenen Insolvenzforderungen nicht zu. Vergütungsan-
sprüche des Klägers wegen Annahmeverzugs
und damit
auch etwaige Ansprüche auf Naturalvergütung in Form der Überlassung des
Pkw DB 200 sind im Zeitraum 1. Februar bis 17. August 2009 nicht entstanden.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Schuldnerin sei in
dieser Zeit nach Treu und Glauben
die Annahme der Arbeitsleis-
tung unzumutbar gewesen.
1.
Ein Arbeitgeber kommt trotz Nichtannahme der Arbeitsleistung nicht in
Annahmeverzug, wenn sich der Arbeitnehmer so verhält, dass der Arbeitgeber
nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des
Arbeitslebens die Annahme der Leistung zu Recht ablehnt. Dies kann der Fall
sein, wenn bei Annahme der angebotenen Dienste strafrechtlich geschützte
Interessen des Arbeitgebers, seiner Angehörigen oder anderer Betriebsangehö-
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riger unmittelbar und nachhaltig so gefährdet werden, dass die Abwehr dieser
Gefährdung Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung
seines Verdienstes haben muss. Es ist auf die objektive Rechtswidrigkeit des
Verhaltens des Arbeitnehmers abzustellen; Verschulden ist nicht erforderlich.
Wann ein solcher Fall vorliegt, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen
ab. Dabei sind die Gepflogenheiten des Arbeitslebens zu berücksichtigen. Nicht
jede in der Erregung gesprochene Beleidigung des Arbeitgebers, nicht jedes
böse Wort, nicht jede Robustheit des Arbeitnehmers lässt das Leistungsange-
bot treuwidrig und seine Ablehnung durch den Arbeitgeber gerechtfertigt er-
scheinen. Ort und Zeit des Vorfalls sowie das Betriebsklima spielen für die Be-
urteilung dieser Frage eine erhebliche Rolle.
Es muss ein ungewöhnlich schwe-
rer Verstoß gegen allgemeine Verhaltenspflichten vorliegen, der den Arbeitge-
ber schlechterdings berechtigt, die Dienste abzulehnen
.
2.
Der Begriff der „Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung“ ist ein unbe-
stimmter Rechtsbegriff, sodass die Rechtsanwendung des Berufungsgerichts
revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbar ist. Eine revisionsrechtlich erheb-
liche Rechtsverletzung liegt allein dann vor, wenn der Rechtsbegriff selbst ver-
kannt worden ist oder wenn bei der Unterordnung des festgestellten Sachver-
halts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze
verletzt oder bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen
Umstände berücksichtigt worden sind oder das Ergebnis in sich widersprüchlich
ist.
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3.
Das Ergebnis des Landesarbeitsgerichts ist danach nicht zu beanstan-
den. Das Berufungsgericht hat - im Anschluss an richtige Erwägungen des Ar-
beitsgerichts - zutreffend erkannt, dass es im Fall des Klägers nicht um ein
einmaliges Delikt der Untreue zulasten der Arbeitgeberin geht, sondern der
Kläger über Jahre hinweg immer wieder mit großem Bedacht verdeckt diverse
Straftaten zum Nachteil seiner Vertragspartnerin begangen hat. Da der Kläger
nach Aufdeckung dieser Taten und Abgabe des notariellen Schuldanerkennt-
nisses sein gesetz- und vertragswidriges Verhalten nicht änderte, vielmehr wei-
terhin unter täuschendem Deckmantel Untreuehandlungen von erheblichem
wirtschaftlichen Gewicht zum Nachteil der Arbeitgeberin beging, ließ er jede
Einsicht in das für einen Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal gebotene Min-
destmaß vertragsgemäßen Verhaltens vermissen. Jeder Tag einer weiteren
Beschäftigung bedeutete die nicht unerhebliche Gefährdung des Kontostands
und damit des Vermögens der Arbeitgeberin. Gerade unter Beachtung des Ge-
bots von Treu und Glauben durfte der Kläger alles, aber nicht mehr über Ver-
mögen der Arbeitgeberin verfügen.
4.
Damit war die Schuldnerin während des streitbefangenen Zeitraums
nicht zur Zahlung der vertraglichen Vergütung verpflichtet. Folglich entfiel auch
ihre Pflicht zur Gewährung versprochener Naturalvergütungen einschließlich
der Überlassung eines Pkw zur privaten Nutzung.
5.
Einen Anspruch auf Nutzungsüberlassung unabhängig von einem Ver-
gütungsanspruch hat der Kläger nicht dargelegt. Die Entscheidung des Arbeits-
gerichts vom 22. April 2009 zum Streitgegenstand
„Herausgabe des Pkw“ be-
gründet keinen Ersatzanspruch des Klägers. Das Arbeitsgericht hat die Verur-
teilung der Schuldnerin allein damit begründet, dass dem Kläger nach dem sei-
nerzeitigen Stand der Kündigungsschutzverfahren ein Recht zum Besitz am
Pkw zustehe.
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III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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