Urteil des BAG vom 24.09.2014

Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay") - arbeitsvertragliche Ausschlussfrist

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 24. September 2014
Fünfter Senat
- 5 AZR 506/12 -
I. Arbeitsgericht Dortmund
Urteil vom 27. Juli 2011
- 10 Ca 2200/11 -
II. Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil vom 18. April 2012
- 3 Sa 1598/11 -
Für die Amtliche Sammlung: Nein
Entscheidungsstichworte:
Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt („equal pay“) - arbeitsvertragliche
Ausschlussfrist
Bestimmungen:
AÜG § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4; BGB § 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1
Hinweis des Senats:
Im Anschluss an BAG 25. September 2013 - 5 AZR 778/12 -
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BUNDESARBEITSGERICHT
5 AZR 506/12
3 Sa 1598/11
Landesarbeitsgericht
Hamm
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
24. September 2014
URTEIL
Radtke, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 28. Mai 2014 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsge-
richts Dr. Müller-Glöge, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl, die
Richterin am Bundesarbeitsgericht Weber sowie den ehrenamtlichen Richter
Jungbluth und die ehrenamtliche Richterin Zorn für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Hamm vom 18. April 2012 - 3 Sa
1598/11 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt
des equal pay.
Der 1968 geborene Kläger ist seit dem 23. September 2008 bei der Be-
klagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Helfer beschäftigt
und war im Streitzeitraum September 2008 bis Dezember 2009 mit Unterbre-
chungen der N GmbH überlassen.
Dem Arbeitsverhältnis lag damals ein Formulararbeitsvertrag vom
23. September 2008 (im Folgenden: Arbeitsvertrag 2008) zugrunde, in dem es
ua. heißt:
„1. Vertragsgegenstand
(2) Die Rechte und Pflichten der Parteien dieses Ar-
beitsvertrages bestimmen sich nach dem zwischen
dem Arbeitgeberverband mittelständischer Personal-
dienstleister e.V. (AMP) und der Tarifgemeinschaft
Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA
(CGZP) geschlossenen Tarifverträgen, derzeit be-
stehend aus Mantel-, Entgeltrahmen-, Entgelttarifver-
trag West, Entgelttarifvertrag Ost und Beschäfti-
gungssicherungstarifvertrag sowie etwaigen ergän-
zenden oder ersetzenden Tarifverträgen in der je-
weils gültigen Fassung. Dies gilt auch, wenn der Mit-
arbeiter nicht Mitglied einer Mitgliedsgewerkschaft
der in Satz 1 genannten CGZP ist. Die Tarifverträge
liegen zur Einsichtnahme in den Geschäftsräumen
aus.
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Soweit der Mitarbeiter nicht tarifgebunden ist, verein-
baren die Parteien, dass die Bestimmungen der vor-
genannten Tarifverträge den Abreden dieses Ar-
beitsvertrages vorgehen. Dies gilt nicht, soweit diese
Tarifverträge eine Abweichung ausdrücklich zulassen
oder sich aus den Bestimmungen dieses Arbeitsver-
trages eine für den Mitarbeiter günstigere Regelung
ergibt. Insoweit gilt § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz,
insbesondere für die Durchführung des Günstigkeits-
vergleichs gemäß Abs. 2 entsprechend.
Sollten die vorbezeichneten Tarifverträge gekündigt
oder in sonstiger Weise ihre Wirksamkeit verlieren,
ohne dass neue Tarifverträge an ihre Stelle treten,
bestimmen sich die Rechte und Pflichten der Partei-
en dieses Arbeitsvertrages jeweils nach der zuletzt
zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarten
Fassung.
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Entgelt
(5) Die Vergütung ist bis spätestens zum 15. des Fol-
gemonats auf ein von dem Mitarbeiter anzugebendes
Konto zu überweisen.
15. Ausschlussfristen
(1) Ansprüche der Vertragsparteien aus dem Arbeitsver-
hältnis sind ausgeschlossen, wenn sie nicht inner-
halb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der
anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht
worden sind. Satz 1 gilt nicht, wenn der in Ziff. 1
Abs. 2 genannte Manteltarifvertrag eine abweichen-
de Regelung enthält; ggf. gilt diese tarifvertragliche
Regelung. Satz 1 gilt nicht für Ansprüche, die auf
eine unerlaubte Handlung gestützt werden. Satz 1
gilt ferner nicht, wenn der Anspruchsberechtigte trotz
Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zu-
zumutenden Sorgfalt verhindert war, die dort ge-
nannte Frist einzuhalten.
(2) Lehnt die andere Vertragspartei die Erfüllung des
Anspruchs schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht
innerhalb von einem Monat nach der Geltendma-
chung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er
nicht innerhalb von einem Monat nach Ablehnung
oder Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird;
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dies gilt nicht, wenn der in Ziff. 1 Abs. 2 genannte
Manteltarifvertrag eine abweichende Regelung ent-
hält; gg
f. gilt die tarifvertragliche Regelung.“
Der in Bezug genommene Manteltarifvertrag zwischen der Tarifge-
meinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) und dem
Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP) vom
29. November 2004 enthielt in Nr. 19.2 bis 19.4 eine Ausschlussfristenregelung,
die eine zweimonatige Frist zur schriftlichen Geltendmachung vorsah und im
Übrigen inhaltlich der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung entsprach.
Durch Änderungstarifvertrag vom 9. Juli 2008 wurde die Frist zur schriftlichen
Geltendmachung auf drei Monate verlängert.
Am 25. Januar 2010 schlossen die Parteien einen von der Beklagten
vorformulierten Aufhebungsvertrag, der auszugsweise lautet:
„1. Aufhebung
Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen
ihnen bestehende Arbeitsverhältnis auf Basis des Arbeits-
vertrages vom 23.09.2008 einschließlich aller Neben-
und/oder Zusatzvereinbarungen zum Arbeitsvertrag vom
23.09.2008 mit Wirkung zum 31. Dezember 2009 enden
wird.
2. Weiterbeschäftigung
Die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeits-
verhältnis ergeben sich mit Wirkung vom 1. Januar 2010
an ausschließlich aus den Regelungen des am 21.01.
2010 unterzeichneten Arbeitsvertrages.
Ungeachtet dessen wird die Betriebszugehörigkeit vom
ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an ab dem
23.09.2008 gerechnet.“
Unter dem 21. Januar 2010 hatten die Parteien einen Formulararbeits-
vertrag
(im Folgenden: Arbeitsvertrag 2010) geschlossen, in dem es ua. heißt:
„1. Vertragsgegenstand
(2) Auf das Arbeitsverhältnis finden im Sinne einer dyna-
mischen Verweisung folgende von der Tarifgemeinschaft
des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit dem
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Bundesverband Zeitarbeit, Personal-Dienstleistungen e.V.
(BZA) geltenden Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen
Fassung Anwendung:
-
Manteltarifvertrag (MTV) vom 22.07.2003
-
Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV) vom 22.07.2003
-
Entgelttarifvertrag vom 22.07.2003
-
Protokollerklärung Zeitarbeit zur Beschäftigungssi-
cherung vom 22.07.2003
Dies gilt auch, wenn der Mitarbeiter nicht Mitglied einer
Mitgliedsgewerkschaft der in Satz 1 genannten Gewerk-
schaft des DGB ist. Die jeweils maßgeblichen Tarifverträ-
ge liegen in den einzelnen Geschäftsräumen der F
aus.
8. Vergütung
(5) Die Vergütung des Monatsentgeltes erfolgt auf der Ba-
sis der vereinbarten individuellen regelmäßigen Arbeitszeit
und wird spätestens bis zum 15. Banktag des Folgemo-
nats unbar ausgezahlt (§ 13.1 MTV).
19. Ausschlussfristen
(1) Ansprüche der Vertragsparteien aus dem Arbeitsver-
hältnis sind ausgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von
drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Ver-
tragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind.
(2) Lehnt die andere Vertragspartei die Erfüllung des An-
spruchs schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb
von einem Monat nach der Geltendmachung des An-
spruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von
einem Monat nach Ablehnung oder Fristablauf gerichtlich
geltend gemacht wird.“
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung im Januar und
April 2011 hat der Kläger mit der am 23. Mai 2011 eingereichten Klage für
Überlassungen an die N GmbH im Zeitraum September 2008 bis De-
zember 2009 unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der
von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Ent-
leiherin im Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben
soll, verlangt und geltend gemacht, die arbeitsvertragliche Ausschlussfristenre-
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gelung sei intransparent, jedenfalls hätten Ausschlussfristen erst mit der Ent-
scheidung des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP
zu laufen begon-
nen. Zur Höhe des Anspruchs hat der Kläger - zuletzt unter Berufung auf eine
einem anderen Leiharbeitnehmer erteilte Auskunft nach § 13 AÜG - vorgetra-
gen, bei der Entleiherin fänden die Tarifverträge der Eisen-, Metall-, Elektro-
und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen Anwendung. Bis zur Einfüh-
rung von ERA am 1. Januar 2011 habe die Entleiherin das Lohnrahmenab-
kommen (LRA) angewendet; danach wäre der Kläger in Lohngruppe 3 einzu-
gruppieren gewesen. Ferner könne er nach dem LRA eine Durchschnittsleis-
tungszulage iHv. 16 % beanspruchen. Schließlich sehe der Tarifvertrag über
die tarifliche Absicherung eines Teils eines 13. Monatseinkommens vom
11. Dezember 1996 eine Sonderzahlung vor, die beim Kläger 35 % eines Mo-
natsentgelts betragen würde.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.534,82 Euro brutto
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, An-
sprüche auf gleiches Arbeitsentgelt im Streitzeitraum seien jedenfalls wegen
nicht rechtzeitiger Geltendmachung nach der vertraglichen Ausschlussfristenre-
gelung verfallen. Außerdem habe der Kläger die Höhe seiner Forderung nicht
ausreichend dargelegt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsge-
richt zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Ar-
beitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.
I.
Der Kläger hat für die Dauer der Überlassungen an die N
GmbH im Zeitraum September 2008 bis Dezember 2009 jeweils Anspruch auf
gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG. Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur
Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung
haben die Parteien nicht getroffen. Nr. 1 Abs. 2 Arbeitsvertrag 2008 verweist
auf wegen der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP unwirksame Tarifverträge
.
II.
Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist nach Nr. 15
Abs. 1 Satz 1 Arbeitsvertrag 2008 verfallen.
Zwar war der Kläger nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksa-
men Tarifverträgen der CGZP, die auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine
Geschäftsbedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden sind
,
einzuhalten. Jedoch musste er die erste Stufe
der Ausschlussfristenregelung in Nr. 15 Arbeitsvertrag 2008 beachten.
1.
Diese Klausel enthält eine eigenständige arbeitsvertragliche Aus-
schlussfristenregelung.
a)
Das folgt schon aus dem grundsätzlichen Vorrang einer ausdrücklich in
den Arbeitsvertrag aufgenommenen Klausel vor einer nur durch die pauschale
Bezugnahme auf einen Tarifvertrag anwendbaren Regelung
. Belassen es nicht tarifgebun-
dene Arbeitsvertragsparteien nicht dabei, ihr Arbeitsverhältnis pauschal einem
bestimmten Tarifregime zu unterwerfen, sondern vereinbaren zu einzelnen Ge-
genständen darüber hinaus im Arbeitsvertrag ausformulierte Regelungen, brin-
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gen sie damit typischerweise zum Ausdruck, dass unabhängig von dem in Be-
zug genommenen Tarifwerk jedenfalls auch die in den Arbeitsvertrag aufge-
nommenen Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis gelten sollen
. Darüber hinaus verdeutlichen
Nr. 15 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Halbs. 2 Arbeitsvertrag 2008 die Eigenständig-
keit der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung. Denn diese Bestim-
mungen wären überflüssig, wenn der Klausel eine lediglich „deklaratorische“,
das in Bezug genommene Tarifwerk wiederholende oder ausformulierende Be-
deutung zukäme.
b)
Etwas anderes ergibt sich nicht aus Nr. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 Arbeitsver-
trag 2008. Unabhängig davon, dass die Kollisionsregeln in der Ausschlussfris-
tenregelung als speziellere den allgemeinen Kollisionsregeln in der Bezugnah-
meklausel vorgehen, setzen letztere die Möglichkeit einer Kollision von in Be-
zug genommener tariflicher und ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenom-
mener Regelung voraus. Das ist vorliegend nicht der Fall. Wegen der Unwirk-
samkeit der CGZP-Tarifverträge geht die Bezugnahmeklausel insgesamt ins
Leere: Die in Bezug genommenen Tarifverträge können auf arbeitsvertraglicher
Ebene keine Wirkung entfalten, damit sind die dazugehörigen Kollisionsregeln
hinfällig
.
2.
Die Kollisionsregel in Nr. 15 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsvertrag 2008 greift
nicht ein. Der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags in Bezug ge-
nommene „Manteltarifvertrag“ enthielt in der Fassung des Änderungstarifver-
trags vom 9. Juli 2008 keine abweichende Regelung zu dem Erfordernis, An-
sprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit
schriftlich geltend zu machen.
3.
Die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung hält
der AGB-Kontrolle stand.
a)
Die Klausel ist nicht überraschend iSd. § 305c Abs. 1 BGB und damit
Vertragsbestandteil geworden. Die Vereinbarung von Ausschlussfristen ent-
spricht einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben. Die Regelung findet sich
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auch nicht an einer irgendwo im Arbeitsvertrag versteckten Stelle. Sie ist viel-
mehr in einem mit „Ausschlussfristen“ betitelten eigenen Paragraphen enthal-
ten, dessen Überschrift durch Fettdruck hervorgehoben ist.
b)
Die Klausel ist nicht mangels hinreichender Transparenz unwirksam,
§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
aa)
Der Arbeitnehmer kann aus Nr. 15 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsvertrag 2008
ersehen, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis „ausgeschlossen“
sind, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist in der in der Klausel be-
zeichneten Weise geltend gemacht werden
.
Die Einschränkung der Rechtsfolge in den Fällen, in denen der Arbeit-
nehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden
Sorgfalt verhindert war, die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung einzuhal-
ten
, führt nicht zur Intransparenz der
Klausel. Sie hält den Arbeitnehmer nicht davon ab, alle erforderlichen Schritte
zur Verhinderung des Untergangs eines Anspruchs zu unternehmen, sondern
entlastet ihn, wenn er jene trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht
ergreifen konnte
.
bb)
Die Intransparenz folgt auch nicht aus dem Kontext zu Nr. 15 Abs. 1
Satz 2 Arbeitsvertrag 2008. Der Arbeitnehmer kann bei Vertragsschluss erken-
nen, was „auf ihn zukommt“: Er muss entweder die Ausschlussfrist nach Satz 1
oder eine Ausschlussfrist aus dem in der Bezugnahmeklausel genannten Man-
teltarifvertrag einhalten, um einen „Ausschluss“ des Anspruchs zu verhindern.
Ob letzterer eine „abweichende Regelung“ enthält, kann durch einen einmali-
gen, schlichten (Text-)Vergleich der Bestimmungen ermittelt werden. Auf nach
Abschluss des Arbeitsvertrags möglicherweise erfolgende Änderungen stellt die
Klausel nicht ab.
Entgegen der Auffassung der Revision ist
auch das „ggf.“ nicht geeig-
net, Verwirrung zu stiften. Dieses bezieht sich - leicht erkennbar - auf das vo-
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rangehende „wenn“: Ist der „Wenn-Fall“ gegeben, soll nicht die arbeitsvertragli-
che, sondern die tarifvertragliche Ausschlussfristenregelung gelten.
c)
Die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung ist
nicht unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie lässt
dem Gläubiger eine faire Chance, seine Ansprüche durchzusetzen. Eine schrift-
liche Geltendmachung des Anspruchs aus § 10 Abs.
4 AÜG „dem Grunde
nach“ reicht nach dem Wortlaut der Klausel aus und ermöglicht es auch dem
Leiharbeitnehmer, der die Entgeltregelung für vergleichbare Stammarbeitneh-
mer noch nicht im Einzelnen kennt, innerhalb einer angemessenen Überle-
gungsfrist sich für jede Überlassung den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt
zu sichern
.
d)
Die wegen ihrer Kürze nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksame
zweite Stufe der Ausschlussfristenregelung berührt nach dem sog. blue-pencil-
Test die Wirksamkeit der ersten Stufe einer Ausschlussfristenregelung wie der
vorliegenden nicht
.
4.
Der Kläger hat die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung in Nr. 15
Abs. 1 Satz 1 Arbeitsvertrag 2008 nicht eingehalten. Er hat den Anspruch auf
gleiches Arbeitsentgelt, der mit jeder Überlassung für die jeweilige Dauer der
Überlassung entsteht und ratierlich zu dem im Arbeitsvertrag für die Vergütung
bestimmten Zeitpunkt fällig wird
, erstmals mit Schreiben vom 31. Januar 2011 dem Grunde
nach geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch aus § 10 Abs. 4
AÜG für den gesamten Streitzeitraum bereits untergegangen.
a)
Der Anspruchsverfall ist nicht nach Nr. 15 Abs. 1 Satz 4 Arbeitsver-
trag 2008 unterblieben. Danach bestehen Ansprüche fort, wenn der Anspruchs-
berechtigte trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden
Sorgfalt verhindert war, die dreimonatige Geltendmachungsfrist einzuhalten. Ein
derartiger Ausnahmefall liegt nicht vor.
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Der Kläger hat keine tatsächlichen Umstände vorgebracht, die eine
rechtzeitige Geltendmachung hätten verhindern können. Die bloße Unkenntnis
über das Bestehen eines Anspruchs oder die objektiv unzutreffende rechtliche
Würdigung der arbeitsvertraglichen Klausel, mit der der Verleiher von der nach
§ 9 Nr. 2 AÜG eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, von dem Gebot der
Gleichbehandlung abzuweichen, reicht für eine Verhinderung iSv. Nr. 15 Abs. 1
Satz 4 Arbeitsvertrag 2008 nicht aus. Vertraut der Leiharbeitnehmer auf die
Rechtswirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Gestaltung und in diesem Zu-
sammenhang auf die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition, so ist dieses
Vertrauen ebenso wenig geschützt wie das des Verleihers
.
b)
Dem Verfall steht Nr. 15 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsvertrag 2008 nicht entge-
gen. Danach gilt die Ausschlussfrist nicht für Ansprüche, die auf eine unerlaubte
Handlung gestützt werden. Ein solcher ist der Anspruch auf gleiches Arbeits-
entgelt nicht
.
5.
Die Klausel erfasst auch den auf den Monat Dezember 2009 entfallen-
den Anteil des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt, der erst im Januar 2010
fällig wurde
, denn die Vertragsänderung vom
21. Januar 2010 konnte die Ausschlussfristenregelung nicht rückwirkend än-
dern
.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Jungbluth
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