Urteil des BAG vom 18.09.2012

Betriebliche Altersversorgung - Direktversicherung - Insolvenz - Aussonderung der Direktversicherung - Schadensersatz

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BUNDESARBEITSGERICHT
3 AZR 176/10
2 Sa 127/09
Landesarbeitsgericht
Hamburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
18. September 2012
URTEIL
Schiege, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Berufungskläger, Berufungsbeklagter und Revisionskläger,
pp.
Beklagter, Berufungsbeklagter, Berufungskläger und Revisions-
beklagter,
hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 18. September 2012 durch die Vorsitzende Richterin am Bun-
desarbeitsgericht Gräfl, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Schlewing,
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den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Spinner sowie die ehrenamtlichen
Richter Schmalz und Brunke für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Hamburg vom 29. September 2009 - 2 Sa
127/09 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Übertragung einer Lebensversi-
cherung, hilfsweise die Zahlung von Schadensersatz.
Der Kläger war vom 1. Dezember 1998 bis zum 31. Dezember 2005 für
die D gGmbH und deren Rechtsvorgänger, zuletzt
als Personalleiter, tätig.
Am 30. August 1999 vereinbarten die Schuldnerin und der Kläger zum
Zwecke der betrieblichen Altersversorgung - wie bereits zuvor im Anstellungs-
vertrag vom 29. April 1999 - den Abschluss einer Direktversicherung bei der
N Lebensversicherung AG. Ausweislich des Versicherungsscheins war Versi-
cherungsnehmer die Schuldnerin und versicherte Person der Kläger. Als Versi-
cherungsbeginn war der 1. März 1999 vorgesehen. § 14 Abs. 1 der Allgemei-
nen Bedingungen (Nr. 201158) für die Lebensversicherung mit spezieller
Kapitalanlage (N Konzept-Tarif N2068) lautet auszugsweise:
„Die Leistung aus dem Versicherungsvertrag erbringen wir
an Sie als unseren Versicherungsnehmer oder an Ihre
Erben, falls Sie uns keine andere Person benannt haben,
die bei Eintritt des Versicherungsfalles die Ansprüche aus
dem Versicherungsvertrag erwerben soll (Bezugsberech-
tigter). Bis zum Eintritt des Versicherungsfalles können Sie
das Bezugsrecht jederzeit widerrufen.“
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Die zusätzliche Vereinbarung (Nr. 531) zur Direktversicherung
- Unwiderruflichkeitsklausel - bestimmt:
„Nach Ablauf der Fristen für die Unverfallbarkeit betriebli-
cher Versorgungsleistungen gemäß § 1 Abs. 2 des Geset-
zes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung
vom 19.12.1974 wird der Leistungsanspruch unwiderruf-
lich.“
Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg - Insolvenzgericht - vom
16. September 2005 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenz-
verfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit
Schreiben vom 28. September 2005 kündigte der Beklagte das mit dem Kläger
bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2005. Die hiergegen gerichte-
te Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig abgewiesen.
Im Zuge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor der Beendi-
gung
des
Arbeitsverhältnisses
hatte
der
Beklagte
gegenüber
der
N Lebensversicherung AG das Bezugsrecht des Klägers aus der Direktversi-
cherung widerrufen und anschließend bis zur Beendigung des Arbeitsverhält-
nisses die bisher für die Direktversicherung geleisteten Beiträge als Gehalt an
den Kläger ausbezahlt.
Mit seiner Klage hat der Kläger ua. die Übertragung der Direktversiche-
rung begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, der Widerruf des Bezugsrechts
gegenüber der N Lebensversicherung AG sei unwirksam; jedenfalls stehe ihm
aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein Anspruch auf Aussonderung der
Direktversicherung zu. Der Beklagte habe zahlreichen anderen Mitarbeitern die
Direktversicherung übertragen, ihm und zwei weiteren Mitarbeitern jedoch nicht.
Für den Fall, dass ein Anspruch auf Übertragung der Direktversicherung nicht
bestehe, sei der Beklagte verpflichtet, ihm im Wege des Schadensersatzes die
seit Abschluss der Versicherung eingezahlten Beiträge iHv. insgesamt
11.029,07 Euro zu erstatten, zumindest aber den Rückkaufswert der Versiche-
rung iHv. 7.593,43 Euro zu zahlen.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den
Beklagten
zu
verurteilen,
die
bei
der
N Lebensversicherung AG bestehende Direktversicherung
mit der Versicherungsnummer auf ihn zu übertragen,
hilfsweise
an ihn 11.029,07 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpun-
kten über dem Basiszinssatz seit dem 16. September
2005 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertre-
ten, dem Kläger stehe kein Aussonderungsrecht an der Versicherung zu. Ihm
sei kein unwiderrufliches Bezugsrecht aus dem Versicherungsvertrag einge-
räumt worden. Das Gleichbehandlungsgebot sei nicht verletzt. Er habe nur die
Bezugsrechte des Klägers sowie zweier weiterer Arbeitnehmer der Schuldnerin
widerrufen können, da lediglich deren Bezugsrechte widerruflich gewesen
seien. Da er das Bezugsrecht des Klägers wirksam widerrufen habe, stehe dem
Kläger auch kein Schadensersatzanspruch zu.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der
Kläger seine zuletzt gestellten Klageanträge weiter. Der Beklagte begehrt die
Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung des Klägers gegen die die Klage abweisende Entscheidung
des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist im Haupt- wie im
Hilfsantrag unbegründet. Dem Kläger steht kein Aussonderungsrecht nach § 47
InsO an der Direktversicherung zu. Der Beklagte konnte das Bezugsrecht des
Klägers aus der Direktversicherung aufgrund der versicherungsvertraglichen
Regelungen wirksam widerrufen. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht
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auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Der Beklagte
ist nicht verpflichtet, dem Kläger im Wege des Schadensersatzes die seit
Abschluss der Direktversicherung zu dieser entrichteten Beiträge oder den
Rückkaufswert der Versicherung zu zahlen.
I.
Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Direktversicherung zu
übertragen. Dem Kläger steht kein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO an der
Direktversicherung zu. Der Beklagte hat das Bezugsrecht des Klägers nach den
versicherungsvertraglichen Regelungen wirksam widerrufen. Dem Kläger war
lediglich ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt, das zum Zeitpunkt des
Widerrufs im Zuge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht unwider-
ruflich geworden war. Auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
kann der Kläger sein Begehren auf Übertragung der Direktversicherung nicht
mit Erfolg stützen.
1.
Die Frage, ob die Rechte aus einer vom Arbeitgeber zugunsten des
Arbeitnehmers abgeschlossenen Direktversicherung in der Insolvenz des
Arbeitgebers der Masse zustehen oder ob der Arbeitnehmer ein Aussonde-
rungsrecht nach § 47 InsO hat, ist allein nach der versicherungsrechtlichen
Lage zu beantworten. Für das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der
Versicherung kommt es grundsätzlich nicht darauf an, welche Befugnisse dem
Arbeitgeber - und im Falle seiner Insolvenz dem Verwalter - im Versorgungs-
verhältnis zum Arbeitnehmer zustehen. Dies kann dazu führen, dass der
Arbeitgeber - und in der Insolvenz des Arbeitgebers der Verwalter - aus dem
Versicherungsvertrag abgeleitete Rechte versicherungsrechtlich ausüben kann,
obwohl er dies arbeitsrechtlich im Verhältnis zum Arbeitnehmer nicht darf.
Versicherungsrechtlich ist in diesem Fall die Ausübung wirksam. Im Versor-
gungsverhältnis können jedoch Ansprüche des Arbeitnehmers, insbesondere
Schadensersatzansprüche entstehen
. Somit richtet es sich
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allein nach der versicherungsrechtlichen Lage, ob die Rechte an der Versiche-
rung zum Vermögen des Arbeitgebers gehören, in dessen Rechtsposition der
Insolvenzverwalter nach § 80 Abs. 1 InsO bei Insolvenzeröffnung eintritt
a)
Hat der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer dem Arbeitnehmer als
Versichertem lediglich ein widerrufliches Bezugsrecht im Versicherungsfall
eingeräumt - was nach § 159 VVG der gesetzliche Normal-
fall ist -, kann er die bezugsberechtigte Person jederzeit ersetzen. Der Versi-
cherte hat vorher lediglich eine Hoffnung auf die später fällig werdende Leistung
In der Insolvenz fallen
die Rechte aus der Lebensversicherung deshalb in das Vermögen des Arbeit-
gebers und gehören zur Insolvenzmasse
.
b)
Räumt der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer dem Arbeitnehmer als
Versichertem dagegen abweichend vom gesetzlichen Normalfall ein unwiderruf-
liches Bezugsrecht ein, stehen die Rechte aus dem Versicherungsvertrag von
vornherein dem Arbeitnehmer zu
Mit der Unwiderruflichkeit erhält das Bezugsrecht
dingliche Wirkung
Insolvenzrechtlich hat dies zur Folge,
dass die Rechte aus dem Versicherungsvertrag von diesem Zeitpunkt an nicht
mehr zum Vermögen des Arbeitgebers und damit auch nicht mehr zur Insol-
venzmasse gehören. Sie stehen vielmehr dem Arbeitnehmer zu, der deshalb
ein Aussonderungsrecht hat
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c)
Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Versicherungsvertrag ein
unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt, dieses jedoch unter bestimmten
Voraussetzungen mit einem Widerrufsvorbehalt versehen - sog. eingeschränkt
unwiderrufliches Bezugsrecht -, so ist zu unterscheiden: Wenn die Vorausset-
zungen des Widerrufsvorbehalts vorliegen, bleibt das Widerrufsrecht erhalten.
Das Bezugsrecht kann dann widerrufen werden. Der Insolvenzverwalter kann
von der Widerrufsmöglichkeit Gebrauch machen mit der Folge, dass der Rück-
kaufswert der Masse zusteht
Sind die Voraussetzungen des Vorbehalts demgegen-
über nicht gegeben, kann das Bezugsrecht nicht widerrufen werden
Die Rechte aus
dem Versicherungsvertrag gehören dann zum Vermögen des Arbeitnehmers
und nicht zur Masse. Der Arbeitnehmer hat ein Aussonderungsrecht.
d)
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Direktversicherung
arbeitsrechtlich eine Entgeltumwandlung zugrunde liegt, für die die Neurege-
lung über die sofortige gesetzliche Unverfallbarkeit noch nicht anwendbar ist,
weil die Versorgungszusage vor dem 1. Januar 2001 erteilt wurde
oder wenn die Rentenanwartschaft
arbeitsvertraglich unverfallbar ist. Auch bei einer derartigen Fallgestaltung liegt
kein Treuhandverhältnis vor, aufgrund dessen die Rechte aus dem Versiche-
rungsvertrag vom sonstigen Vermögen des Arbeitgebers ausreichend getrennt
wären, um sie nicht der Masse zuzuordnen
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2.
Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Übertragung bzw. Ausson-
derung der Direktversicherung. Die Schuldnerin hatte dem Kläger lediglich ein
bis zum Ablauf der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist widerrufliches Bezugs-
recht an den Versicherungsleistungen eingeräumt. Dies ergibt eine Auslegung
der Versicherungsbedingungen nach den für Allgemeine Geschäftsbedingun-
gen geltenden Grundsätzen unter Berücksichtigung betriebsrentenrechtlicher
Wertungen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufs des Bezugsrechts im
Zuge der Insolvenzeröffnung war die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist noch
nicht abgelaufen, weshalb der Widerruf versicherungsrechtlich zulässig war. Ob
der Direktversicherung - wie der Kläger meint - eine Entgeltumwandlung zu-
grunde lag, ist unerheblich.
a)
Der Versicherungsvertrag zwischen der Schuldnerin und der
N Lebensversicherung AG ist dahin auszulegen, dass die Schuldnerin dem
Kläger ein bis zum Ablauf der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist widerrufliches
Bezugsrecht eingeräumt hat. Hierin unterscheidet sich der vorliegende Rechts-
streit von dem Sachverhalt, der dem vom Kläger angezogenen Urteil des
Bundesgerichtshofs zugrunde
lag. Im dortigen Rechtsstreit hatten die Parteien des Versicherungsvertrags ein
eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht vereinbart.
aa)
Der Versicherungsvertrag - einschließlich der zusätzlichen Vereinba-
rung (Nr. 531) zur Direktversicherung - Unwiderruflichkeitsklausel - enthält
Allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Senat als Revisionsgericht selbst
auslegen kann
.
bb)
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt
und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und
redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise
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beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglich-
keiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu
legen sind
.
Bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen einer Lebensversi-
cherung, mit denen Ansprüche von Arbeitnehmern auf betriebliche Altersver-
sorgung durchgeführt werden sollen, sind entsprechend dem Zweck dieser
Versicherung auch die Interessen der versicherten Beschäftigten zu berücksich-
tigen
. Dabei sind insbesondere betriebsrentenrechtliche Wer-
tungen zu beachten. Die Parteien eines Vertragsgefüges, das dazu dient, dem
Arbeitnehmer auf der Grundlage des Betriebsrentengesetzes Ansprüche zu
verschaffen, wollen in der Regel an das anknüpfen, was nach dem Betriebsren-
tengesetz maßgeblich ist
. Das
gilt etwa dann, wenn die maßgeblichen Vertragsbestimmungen auf die gesetzli-
che Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft nach dem Betriebsrentenge-
setz abstellen.
cc)
Danach ergibt die Auslegung der versicherungsrechtlichen Bestimmun-
gen, dass die Schuldnerin dem Kläger ein bis zum Ablauf der gesetzlichen
Unverfallbarkeitsfrist widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt hatte.
Dafür spricht bereits der Wortlaut von § 14 Abs. 1 der Allgemeinen Be-
dingungen (Nr. 201158) für die Lebensversicherung mit spezieller Kapitalanlage
(N Konzept-Tarif N2068) und der zusätzlichen Vereinbarung (Nr. 531) zur
Direktversicherung - Unwiderruflichkeitsklausel. Nach § 14 Abs. 1 der Allgemei-
nen Bedingungen (Nr. 201158) für die Lebensversicherung mit spezieller
Kapitalanlage (N Konzept-Tarif N2068) war das Bezugsrecht bis zum Versiche-
rungsfall jederzeit widerruflich. Nach der zusätzlichen Vereinbarung (Nr. 531)
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zur Direktversicherung - Unwiderruflichkeitsklausel - sollte das Bezugsrecht
allerdings nach Ablauf der Fristen nach § 1 Abs. 2 BetrAVG aF unwiderruflich
werden. Die Klausel soll unter Berücksichtigung betriebsrentenrechtlicher
Wertungen dem Versicherungsnehmer die Mög-
lichkeit belassen, das Bezugsrecht aus der Direktversicherung zu widerrufen,
solange der Arbeitnehmer nach den gesetzlichen Bestimmungen des Betriebs-
rentengesetzes noch keine unverfallbare Anwartschaft erworben hat. Zugleich
will die Klausel sicherstellen, dass mit Eintritt der Unverfallbarkeit im arbeits-
rechtlichen Grundverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer
auch im versicherungsrechtlichen Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der
Versicherungsgesellschaft die versicherte Person eine gesicherte Rechtsposi-
tion, nämlich ein unwiderrufliches Bezugsrecht, erhält. Der Versicherungsver-
trag sieht damit bis zum Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist ein widerrufliches
Bezugsrecht des Arbeitgebers vor, das erst mit Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist
im arbeitsrechtlichen Grundverhältnis zum unwiderruflichen Bezugsrecht wird.
Davor bleibt das Bezugsrecht widerruflich. Die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist
für Versorgungsanwartschaften war im Zeitpunkt des Abschlusses der Direkt-
versicherung in § 1 Abs. 2 BetrAVG aF geregelt. Deshalb nimmt die zusätzliche
Vereinbarung (Nr. 531) zur Direktversicherung - Unwiderruflichkeitsklausel - auf
diese Bestimmung Bezug. Zum 1. Januar 2001 wurde § 1 Abs. 2 BetrAVG aF
durch § 1b BetrAVG ersetzt. Nach Sinn und Zweck der Regelung in der zusätz-
lichen
Vereinbarung
(Nr. 531)
zur
Direktversicherung
- Unwiderruflichkeitsklausel - kommt es auf die für das arbeitsrechtliche Grund-
verhältnis geltende gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist an.
b)
Der Kläger hatte im Zeitpunkt des Widerrufs des Bezugsrechts durch
den Beklagten im Herbst 2005 noch kein unwiderrufliches Bezugsrecht erlangt,
denn zum Zeitpunkt des Widerrufs war die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist für
die Versorgungsanwartschaft des Klägers noch nicht abgelaufen. Da die Ver-
sorgungszusage dem Kläger vor dem 1. Januar 2001 erteilt worden war, richtet
sich die Unverfallbarkeit nach § 30f BetrAVG. Danach ist für die Unverfallbarkeit
ua. erforderlich, dass die Versorgungszusage entweder mindestens zehn Jahre
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oder bei mindestens zwölfjähriger Betriebszugehörigkeit mindestens drei Jahre
oder ab dem 1. Januar 2001 mindestens fünf Jahre bestanden hat. Diese
Voraussetzungen waren im Zeitpunkt des Widerrufs des Bezugsrechts nicht
erfüllt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Direktversicherung im arbeits-
rechtlichen Grundverhältnis - wie vom Kläger behauptet - eine Entgeltumwand-
lung zugrunde lag. Nach § 30f Abs. 1 Satz 2 BetrAVG gilt § 1b Abs. 5 BetrAVG,
der bei Entgeltumwandlungen die sofortige Unverfallbarkeit vorsieht, nicht,
wenn die Versorgungszusage - wie vorliegend - vor dem 1. Januar 2001 erteilt
wurde.
3.
Der Kläger kann sein Aussonderungsverlangen auch nicht mit Erfolg
auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen.
a)
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist die privatrechtli-
che Ausprägung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Gemäß § 1b
Abs. 1 Satz 4 BetrAVG können Versorgungsverpflichtungen nicht nur auf einer
Versorgungszusage, sondern auch auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung
beruhen. Im Bereich des Betriebsrentenrechts hat der allgemeine arbeitsrechtli-
che Gleichbehandlungsgrundsatz damit kraft Gesetzes anspruchsbegründende
Wirkung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde
Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage als auch eine
sachfremde Gruppenbildung
.
b)
Der Kläger hat die Voraussetzungen für eine sachwidrige Ungleichbe-
handlung nicht dargelegt. Er hat lediglich geltend gemacht, der Beklagte habe
das Bezugsrecht des Klägers und zweier weiterer vormaliger Mitarbeiter der
Schuldnerin widerrufen, während er dies bei 19 anderen Arbeitnehmern nicht
getan habe. Der Kläger hat jedoch nicht behauptet, dass das Bezugsrecht bei
den 19 begünstigten Arbeitnehmern ebenfalls noch widerruflich war. Dies war
nach dem vom Kläger nicht in Abrede gestellten Vorbringen des Beklagten nicht
der Fall. Die 19 anderen Arbeitnehmer, deren Bezugsrechte durch Ablauf der
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Unverfallbarkeitsfristen bereits unwiderruflich waren, befanden sich damit in
keiner mit dem Kläger vergleichbaren Situation.
II.
Dem Kläger steht der mit dem Hilfsantrag verfolgte Schadensersatzan-
spruch nicht zu. Er kann vom Beklagten im Wege des Schadensersatzes weder
Ersatz der geleisteten Beiträge für die Direktversicherung noch die Zahlung des
Rückkaufswerts der Versicherung verlangen.
1.
Es kann dahinstehen, ob der Versorgungszusage - wie der Kläger
meint - eine Entgeltumwandlung zugrunde liegt. Einen Anspruch auf Zahlung
der in diesem Fall aus dem Entgelt des Klägers erbrachten Leistungen zur
Direktversicherung bestünde nur dann, wenn die zugrunde liegende Entgelt-
umwandlungsvereinbarung unwirksam wäre
. Das hat der Kläger selbst nicht be-
hauptet. Im Übrigen wären diese Ansprüche auf Zahlung von Arbeitsentgelt aus
Zeiten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gerichtet, die allenfalls als Insol-
venzforderungen geltend gemacht werden könnten.
2.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auch
nicht deshalb zu, weil der Beklagte das Bezugsrecht des Klägers aus der
Direktversicherung zwar versicherungsvertraglich wirksam widerrufen hat, er
mit dem Widerruf aber arbeitsrechtliche Pflichten gegenüber dem Kläger ver-
letzt hätte. Es mag dahinstehen, ob der Beklagte zum Widerruf des Bezugs-
rechts auch im arbeitsrechtlichen Grundverhältnis berechtigt war. Selbst wenn
dies nicht der Fall gewesen sein sollte, bestünde der dem Kläger durch den
Widerruf des Bezugsrechts entstandene Schaden nicht in den gezahlten Versi-
cherungsbeiträgen oder dem Rückkaufswert der Versicherung, sondern in dem
im Versicherungsfall eintretenden Versorgungsschaden.
Wird das Bezugsrecht aus einer Direktversicherung arbeitsvertragswid-
rig widerrufen, ist der Versorgungsberechtigte im Wege der Naturalrestitution
so zu stellen, wie er ohne den Widerruf des Bezugsrechts
stünde. Dann erhielte er im Versorgungsfall die Leistungen aus dem Versiche-
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rungsvertrag. Ein Schadensersatzanspruch ist daher auf diese entgangenen
Leistungen gerichtet. Ein derartiger Anspruch ist jedoch nicht Streitgegenstand
dieses Verfahrens.
III.
Der Kläger hat die Kosten der Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu
tragen.
Gräfl
Schlewing
Spinner
Schmalz
Brunke
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