Urteil des BAG vom 11.12.2013

Wechselschichtzulage im feuerwehrtechnischen Dienst

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 11.12.2013, 10 AZR 480/13
Wechselschichtzulage im feuerwehrtechnischen Dienst
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Januar
2013 - 16 Sa 1428/12 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Zahlung einer Wechselschichtzulage.
2 Der Kläger ist für das beklagte Land als feuerwehrtechnischer Angestellter tätig. Auf das
Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin
an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vom 14. Oktober 2010
(Angleichungs-TV Berlin) und danach grundsätzlich der TV-L Anwendung. Nach § 15
Angleichungs-TV Berlin (Maßgaben zu § 47 TV-L) gelten Sonderregelungen für
Beschäftigte ua. im feuerwehrtechnischen Dienst. Nach § 47 Nr. 2 Abs. 1 TV-L finden die
§§ 6 bis 9 und § 19 TV-L auf Beschäftigte im feuerwehrtechnischen Dienst keine
Anwendung, sondern gelten die Bestimmungen für die entsprechenden Beamten.
3 Die Erschwerniszulagenverordnung, im Streitzeitraum idF vom 5. Februar 2009 (BGBl. I
S. 160, im Folgenden: EZulV), hatte in § 20 Folgendes geregelt:
§ 20 Zulagen für Wechselschichtdienst und für Schichtdienst
(1) Beamte und Soldaten erhalten eine Wechselschichtzulage von 102,26 Euro
monatlich, wenn sie ständig nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt sind,
der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten
(wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht,
werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird) vorsieht, und sie dabei in je fünf
Wochen durchschnittlich mindestens 40 Dienststunden in der dienstplanmäßigen
oder betriebsüblichen Nachtschicht leisten. Zeiten eines Bereitschaftsdienstes
gelten nicht als Arbeitszeit im Sinne dieser Vorschrift.
…“
4 Eine gleichlautende Regelung enthält die Erschwerniszulagenverordnung des Landes
Berlin vom 21. Juni 2011, gültig ab 1. Juli 2011 (GVBl. I S. 266, im Folgenden: BEZulV).
5 Der Kläger arbeitet als Rettungsassistent im Retterpool Nord in der Feuerwache F. Nach
dem Dienstplan wird dort im Zweischichtmodell in der Frühschicht von 07:00 Uhr bis
19:00 Uhr und in der Nachtschicht von 19:00 Uhr bis 07:00 Uhr des Folgetags gearbeitet.
Nach der Geschäftsanweisung GS-Nr. 15/2007 „Dienstablauf im Einsatzdienst der
Berufsfeuerwehr“ ist für alle feuerwehrtechnischen Beamten und Angestellten in den
Frühstücks- und Mittagspausen sowie von 20:00 Uhr bis 20:45 Uhr und von 22:00 Uhr bis
06:15 Uhr Bereitschaftsdienst angeordnet. Der Kläger wird im Zeitraum von jeweils fünf
Wochen durchschnittlich mehr als dreimal in der Nachtschicht eingesetzt.
6 Nach einer vom beklagten Land erstellten Belastungsanalyse leisteten die Mitarbeiter in
der Feuerwache F in der Zeit vom 1. Januar bis 28. Februar 2010 innerhalb von
24 Stunden durchschnittlich zu 67,79 % und vom 1. Juni bis 31. August 2010
durchschnittlich zu 70,92 % Vollarbeit. In der Zeit vom 13. März bis 17. April 2012 betrug
die tatsächliche Einsatzzeit des Klägers während beider Schichten zwischen 57,78 % und
98,19 %.
7 Das beklagte Land zahlte bis einschließlich Mai 2011 eine monatliche
Wechselschichtzulage in Höhe von 51,13 Euro brutto, stellte die Zahlung danach ein und
verrechnete nach einer Ankündigung vom 8. April 2011 die Leistungen rückwirkend ab
März 2011.
8 Der Kläger begehrt mit dem Klageantrag zu 1. Zahlung einer Wechselschichtzulage in
Höhe von 51,13 Euro für die Monate März bis Mai 2011 und in Höhe von 102,26 Euro von
Juni bis November 2011 sowie mit dem Antrag zu 2. die Feststellung der
Zahlungsverpflichtung.
9 Der Kläger hat beantragt,
1. das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 766,95 Euro brutto nebst Zinsen nach
bestimmter Staffelung zu zahlen;
2. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ab dem 1. Dezember
2011 an ihn eine Wechselschichtzulage nach § 20 Abs. 1 EZulV zu zahlen.
10 Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
11 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision ist unbegründet.
13 I. Die Klage ist mit dem Antrag zu 1. unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Zahlung einer Wechselschichtzulage.
14 1. Nach § 47 Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 TV-L iVm. § 15 Abs. 1 Angleichungs-TV Berlin gelten für
Beschäftigte im feuerwehrtechnischen Dienst hinsichtlich der Arbeitszeit und des Entgelts
die Bestimmungen für die entsprechenden Beamten. Nach § 20 Abs. 1 EZulV/BEZulV
erhalten Beamte eine Wechselschichtzulage von 102,26 Euro monatlich, wenn sie ständig
nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt sind, der einen regelmäßigen Wechsel
der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten (wechselnde Arbeitsschichten, in denen
ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird)
vorsieht, und sie dabei in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Dienststunden
entweder dienstplanmäßige oder betriebsübliche Nachtschicht leisten. Nach § 20 Abs. 1
Satz 2 EZulV/BEZulV gelten Zeiten eines Bereitschaftsdienstes nicht als Arbeitszeit im
Sinne der Vorschrift.
15 2. Der Kläger hat keine Wechselschichtarbeit geleistet.
16 a) Nach dem tariflichen Verständnis von Wechselschichtarbeit (§ 7 Abs. 1 Satz 2 TV-L)
fehlt es an dem Merkmal der ununterbrochenen Arbeit von 24 Stunden, wenn
beispielsweise an Sonn- und Feiertagen keine Schichtarbeit anfällt oder die tägliche
Arbeit, sei es auch in geringfügiger Form, unterbrochen wird. Eine Unterbrechung der
Arbeit liegt dabei nicht nur bei völliger Arbeitsruhe, sondern auch dann vor, wenn
Bereitschaftsdienst für alle Beschäftigten des Arbeitsbereichs, in dem der Arbeitnehmer
tätig ist, angeordnet ist (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 255/10 - Rn. 13, 14 [zu § 7 Abs. 1 und
§ 8 Abs. 5 Satz 1 TVöD]; 20. Januar 2010 - 10 AZR 990/08 - Rn. 17 ff. [zu § 7 Abs. 1 TV
Charité]).
17 b) § 20 Abs. 1 EZulV/BEZulV folgt diesem tariflichen Verständnis von
Wechselschichtarbeit; nach § 20 Abs. 1 Satz 2 EZulV/BEZulV gelten Zeiten eines
Bereitschaftsdienstes nicht als Arbeitszeit im Sinne der Vorschrift. Die Verordnungsgeber
haben klargestellt, dass die Wechselschichtzulage Beamten, deren nach Dienstplan zu
leistende Dienstzeit auch Bereitschaftsdienste und Ruhezeiten enthält, nicht zusteht, da
die Belastung geringer ist als in den Fällen, in denen bei wechselndem Beginn der
Dienstschichten ununterbrochen gearbeitet werden muss (vgl. Beschluss des Bundesrates
vom 8. Mai 1998, BR-Drucks. 187/98 S. 5).
18 c) Die Geschäftsanweisung GS-Nr. 15/2007 weist für alle Beschäftigten im Einsatzdienst
der Berufsfeuerwehr einheitlich von 08:30 Uhr bis 09:15 Uhr, von 12:00 Uhr bis 15:00 Uhr,
von 20:00 Uhr bis 20:45 Uhr sowie von 22:00 Uhr bis 06:15 Uhr Bereitschaftsdienst aus.
Selbst wenn die als Bereitschaftsdienst deklarierten arbeitszeitrechtlich vorgeschriebenen
Pausen gemäß § 4 Abs. 2 der Berliner Arbeitszeitverordnung (AZVO) idF vom 16. Februar
2005 (GVBl. S. 114) das Vorliegen von Wechselschichtarbeit nicht ausschließen, so
bewirkt jedenfalls der Bereitschaftsdienst von 22:00 Uhr bis 06:15 Uhr, dass nicht
ununterbrochen Vollarbeit geleistet wird und deshalb kein Anspruch auf Zahlung der
Wechselschichtzulage besteht.
19 3. Die Anordnung von Bereitschaftsdienst im Streitzeitraum ist rechtmäßig erfolgt. Der für
die anspruchsbegründenden Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtige Kläger
hat, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, nicht dargelegt, dass
Bereitschaftsdienst angeordnet wurde, obwohl dessen Voraussetzungen nicht vorgelegen
haben.
20 a) Nach § 6 Abs. 2 AZVO liegt Bereitschaftsdienst vor, wenn sich der Beamte in seiner
Dienststelle oder an einem anderen von seiner Dienstbehörde oder seinem
Dienstvorgesetzen bestimmten Ort außerhalb seiner Häuslichkeit aufzuhalten hat, um bei
Bedarf zur Dienstleistung herangezogen werden zu können, und die Zeitdauer seiner
Inanspruchnahme erfahrungsgemäß durchschnittlich weniger als 50 vom Hundert der
Bereitschaftsdienstzeiten beträgt. Bereitschaftsdienst darf deshalb nur angeordnet werden,
wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne
Arbeitsleistung überwiegt (vgl. BAG 16. Oktober 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 22 [zu § 10
Abs. 1 Satz 2 TV-Ärzte/VKA]). Darin unterscheidet er sich seinem Wesen nach sowohl von
voller Arbeitstätigkeit, die vom Arbeitnehmer ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsleistung
verlangt, als auch von Bereitschaftszeiten, die innerhalb der regelmäßigen wöchentlichen
Arbeitszeit liegen (vgl. BAG 20. Januar 2010 - 10 AZR 990/08 - Rn. 18). Erforderlich ist
eine Prognose, dass erfahrungsgemäß Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen.
21 b) Nach der Prognose des beklagten Landes haben die Voraussetzungen für die
Anordnung von Bereitschaftsdienst vorgelegen. Hinreichenden Sachvortrag dafür, dass
demgegenüber von überwiegender Vollarbeit auszugehen war, hat der Kläger nicht
gebracht. Aus der Belastungsanalyse, die im Erhebungszeitraum innerhalb von
24 Stunden Vollarbeit zwischen 67,79 % und 70,92 % ausweist, ergibt sich nicht, dass von
überwiegender Vollarbeit während des täglichen insgesamt ca. 12-stündigen
Bereitschaftsdienstes auszugehen war. Da bereits die im Dienstplan vorgesehene
Vollarbeit zu einem Anteil von 50 % pro Arbeitstag führt, hätte allenfalls ein
Arbeitszeitanteil von insgesamt mehr als 75 % die Behauptung des Klägers stützen
können, dass während des Bereitschaftsdienstes Zeiten der Arbeitsleistung überwiegen.
Auch dann wäre aber eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen
Bereitschaftsdienstzeiten notwendig gewesen, dazu trägt der Kläger nichts vor. Macht der
Arbeitnehmer geltend, es sei in Zeiten angeordneten Bereitschaftsdienstes von
überwiegender Vollarbeit auszugehen, so muss er bezogen auf die Zeiten des
Bereitschaftsdienstes entsprechenden Sachvortrag leisten; eine undifferenzierte
Gesamtbetrachtung unter Einbezug von Zeiten angeordneter Vollarbeit ist regelmäßig
unergiebig. Erst nach entsprechendem Sachvortrag des Arbeitnehmers ist der Arbeitgeber
verpflichtet, substanziiert zu erwidern und darzulegen, aus welchen Gründen er dennoch
von einem Überwiegen der Zeit ohne Arbeitsleistungen ausgehen konnte. Dass nach
Vortrag des Klägers an einzelnen Tagen der Anteil von Vollarbeit deutlich höher war, ist
unerheblich; maßgeblich ist, ob regelmäßig zu mindestens 50 % Vollarbeit anfällt.
22 4. Die weiteren Angriffe der Revision sind unbehelflich.
23 a) Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Tarifvertragsparteien nach § 15
Abs. 1 Angleichungs-TV Berlin iVm. § 47 Nr. 2 TV-L Angestellte im feuerwehrtechnischen
Dienst den Regelungen für vergleichbare Beamte unterstellt haben.
24 aa) Tarifvertragsparteien steht es grundsätzlich frei, die Voraussetzungen für die Zahlung
von Zulagen festzulegen (BAG 20. Januar 2010 - 10 AZR 990/08 - Rn. 21). Sie können
ihre Rechtssetzungsbefugnis auch im Wege einer Verweisung auf Vorschriften des
Beamtenrechts ausüben (BAG 24. Februar 2010 - 10 AZR 1038/08 - Rn. 22; 15. Dezember
2005 - 6 AZR 227/05 - Rn. 16 ff., BAGE 116, 346), diese Vorschriften gelten dann
regelmäßig als tarifliche Rechtsnormen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FeuerwehrG Berlin vom
23. September 2003 (GVBl. S. 457) gelten für Angehörige der Berufsfeuerwehr die
beamtenrechtlichen Vorschriften; es ist deshalb besonders naheliegend, die in einem
Angestelltenverhältnis tätigen Angehörigen der Berufsfeuerwehr in Bezug auf den
arbeitszeitrechtlichen Rahmen und damit zusammenhängende Zulagen ihren beamteten
Kollegen gleichzustellen.
25 bb) Der Kläger verkennt zudem, dass er auch keinen tariflichen Anspruch auf eine
Wechselschichtzulage hätte. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 TV-L liegen Wechselschichten nur
vor, wenn ununterbrochen in Schichten gearbeitet wird, bei angeordnetem
Bereitschaftsdienst besteht kein Anspruch (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 255/10 -;
20. Januar 2010 - 10 AZR 990/08 -). Soweit der Kläger die Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts vom 24. September 2008 (- 10 AZR 669/07 - BAGE 128, 29)
heranzieht, verkennt er, dass dort Bereitschaftszeiten anfielen und nicht
Bereitschaftsdienst angeordnet war.
26 b) Unionsrechtliche Vorgaben verhelfen der Klage entgegen der Auffassung des Klägers
nicht zum Erfolg.
27 aa) Die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom
18. November 2003 S. 9) gebietet nicht, Bereitschaftsdienst als zulagenbegründende
Arbeitszeit iSv. § 20 Abs. 1 EZulV bzw. § 8 Abs. 7, § 7 Abs. 1 TV-L anzusehen (BAG
24. September 2008 - 10 AZR 770/07 - Rn. 34 ff., BAGE 128, 42; vgl. auch BAG 20. Januar
2010 - 10 AZR 990/08 - Rn. 22). Tarifvertragsparteien und Gesetzgeber dürfen
Bereitschaftsdienst und Vollarbeit unterschiedlichen Vergütungsordnungen unterwerfen
und eine unterschiedliche Vergütung vorsehen. Auch nach der jüngeren Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH 25. November 2010 - C-429/09 -)
kann allenfalls im Fall der Überschreitung der nach Art. 6 Buchst. b der Richtlinie
2003/88/EG zulässigen wöchentlichen Höchstarbeitszeit ein unionsrechtlicher
Entschädigungsanspruch bestehen, sofern der Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem
Umsetzungsermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat (vgl.
BVerwG 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381).
28 bb) Der Kläger begehrt nicht den Ausgleich von im Hinblick auf die Bereitschaftsdienste
etwa geleisteter Zuvielarbeit; Streitgegenstand ist nach seiner Erklärung zu Protokoll des
Arbeitsgerichts ausschließlich die Wechselschichtzulage nach der EZulV/BEZulV.
29 II. Aus vorstehenden Erwägungen ist die Klage auch mit dem Feststellungsantrag zu 2.
abzuweisen.
30 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Mikosch
W. Reinfelder
Mestwerdt
Frese
Großmann