Urteil des BAG vom 11.12.2012

Mitbestimmung - Verwaltungsakt - Videoüberwachung

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 11.12.2012, 1 ABR
78/11
Mitbestimmung - Verwaltungsakt - Videoüberwachung
Leitsätze
Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG wird durch einen Verwaltungsakt
eingeschränkt, soweit dieser den Arbeitgeber verpflichtet, eine bestimmte Maßnahme
vorzunehmen oder zu unterlassen.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. September 2011 -
6 TaBV 851/11 - wird zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.
2 Die Arbeitgeberin betreibt in Berlin eine öffentliche Spielbank. § 9 der ihr unter dem 1. Juli
2005 durch die Senatsverwaltung für Finanzen erteilten Betriebserlaubnis (BE) lautet:
„§ 9 Videoüberwachung und -aufzeichnung
(1) Der Spielbankunternehmer hat den Spielverlauf und die hiermit
verbundenen Kassen- und Zählvorgänge durch Videokameras zu
überwachen (Videoüberwachung) und auf geeigneten Datenträgern
aufzuzeichnen (Videoaufzeichnung). Die Maßnahme dient der Vermeidung
von Manipulationen und der korrekten Erfassung des Bruttospielertrages.
(2) Die Videoüberwachung umfasst
(3) …
Die Videoaufzeichnungen sind auf Ersuchen der Steueraufsicht
heranzuziehen und zur Klärung von Kulanzzahlungen, Streitsätzen,
Jetondiebstahl und ähnlich gelagerten Fällen. Zu diesem Zweck können die
aufsichtführenden Überwachungskräfte die Videoaufzeichnungen einsehen
und auswerten.
...“
3 Am 25. September 2010 beschloss eine Einigungsstelle durch Spruch eine
„Betriebsvereinbarung über die Anwendung, Änderung und Erweiterung der Systeme der
Videoüberwachung“ (BV Video). Darin heißt es:
„§ 7 Videoüberwachungssystem
(3)
Aufzeichnungen können ausschließlich aus folgenden Anlässen ohne
vorherige Informationen des Betriebsrats angesehen werden:
-
die Zuordnung von Spieleinsätzen an Spieltischen und
Spielautomaten zu einem bestimmten Gast,
-
die Überprüfung von Auszahlungen und Wechslungen, sofern es
sich um die Reklamation eines Gastes handelt,
-
Feststellung der Identität eines Gastes.
Aufzeichnungen können darüber hinaus bei dringendem Verdacht einer
strafbaren Handlung nach vorheriger schriftlicher Information des
Betriebsrats angesehen werden.
Die Information an den Betriebsrat hat stichwortartig die Gründe für die
gewünschte Anzeige zu benennen. Der Betriebsrat ist über das Ergebnis
unverzüglich schriftlich zu informieren, soweit Arbeitnehmer betroffen sind.
§ 79 BetrVG ist zu beachten.
(4)
Eine Live-Betrachtung kann bei dringendem Verdacht einer strafbaren
Handlung nach vorheriger schriftlicher Information des Betriebsrats
durchgeführt werden.
Die Information an den Betriebsrat hat stichwortartig die Gründe für die
gewünschte Live-Betrachtung zu benennen. Es muss dem Betriebsrat
Gelegenheit gegeben werden, zur Live-Betrachtung ein Mitglied des
Betriebsrats zu entsenden. Der Betriebsrat ist über das Ergebnis
unverzüglich schriftlich zu informieren, soweit Arbeitnehmer betroffen sind.
…“
4 Der Einigungsstellenvorsitzende übermittelte am 27. September 2010 den nicht
unterzeichneten Spruch per Telefax an die Arbeitgeberin. Mit E-Mail vom selben Tage
kündigte er die nachfolgende Übersendung des Einigungsstellenspruchs an. Den mit
seiner Unterschrift versehenen Spruch versandte er am 12. Oktober 2010 auf dem
Postweg.
5 Mit ihrem am 8. Oktober 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat die
Arbeitgeberin die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs geltend gemacht und
gemeint, dieser sei bereits wegen nicht formgerechter Zuleitung unwirksam. Er verstoße
gegen höherrangiges Recht; die Regelung in § 7 BV Video berücksichtige ihre Interessen
nur ungenügend.
6 Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, dass der Einigungsstellenspruch vom 25. September 2010
rechtsunwirksam ist.
7 Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
8 Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Das
Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde der Arbeitgeberin entsprochen. Mit der
Rechtsbeschwerde beantragt der Betriebsrat die Wiederherstellung der
arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
9 B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat
dem Feststellungsantrag der Arbeitgeberin zu Recht stattgegeben. Der
Einigungsstellenspruch vom 25. September 2010 ist unwirksam.
10 I. Der Einigungsstellenspruch entspricht allerdings den formalen Anforderungen des § 76
Abs. 3 Satz 4 BetrVG.
11 1. Nach dieser Vorschrift sind die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich
niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat
zuzuleiten.
12 Die Einhaltung dieses betriebsverfassungsrechtlichen Formerfordernisses ist
Wirksamkeitsvoraussetzung für einen Einigungsstellenspruch. Es dient in erster Linie der
Rechtssicherheit. Die Unterschrift des Vorsitzenden beurkundet und dokumentiert den
Willen der Einigungsstellenmitglieder. Für die Betriebsparteien und für die im Betrieb
beschäftigten Arbeitnehmer wird damit rechtssicher bestätigt, dass das vom Vorsitzenden
unterzeichnete Schriftstück das von der Einigungsstelle beschlossene Regelwerk enthält.
Die Beurkundung und Dokumentation ist erforderlich, weil der Einigungsstellenspruch die
fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt und ihm erst dann die
gleiche normative Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) zukommt wie einer von den
Betriebsparteien geschlossenen Betriebsvereinbarung (BAG 13. März 2012 -
1 ABR 78/10 - Rn. 18, AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 18 = EzA SGB IX § 84 Nr. 10). Die
Unterzeichnung des Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden kann weder durch
die elektronische Form (§ 126a BGB) noch durch die Textform (§ 126b BGB) ersetzt
werden. Maßgeblich für die Beurteilung der Formwirksamkeit ist der Zeitpunkt, in dem der
Einigungsstellenvorsitzende den Betriebsparteien den Spruch mit der Absicht der
Zuleitung iSd. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG übermittelt hat (BAG 5. Oktober 2010 - 1 ABR
31/09 - Rn. 19, BAGE 135, 377).
13 2. Der Einigungsstellenspruch vom 25. September 2010 ist formwirksam.
14 Die am 27. September 2010 erfolgte Übermittlung des nicht unterzeichneten Spruchs per
Telefax steht seiner wirksamen Zuleitung nicht entgegen. Der Einigungsstellenvorsitzende
hat der Arbeitgeberin die beabsichtigte Übersendung des unterzeichneten Spruchs durch
eine E-Mail vom gleichen Tag angekündigt. Hiernach sollte erst diese und nicht bereits
das Fax vom 27. September 2010 die Zuleitung des Einigungsstellenspruchs bewirken.
Diese Umstände lassen nicht den Schluss zu, der Einigungsstellenvorsitzende habe
bereits mit der vorherigen Übermittlung per Fax eine Zuleitung iSd. § 76 Abs. 3 Satz 4
BetrVG vornehmen wollen. Anderweitige Feststellungen hat auch das
Landesarbeitsgericht nicht getroffen.
15 II. Der Einigungsstellenspruch vom 25. September 2010 ist unwirksam, weil die
Einigungsstelle bei der Ausgestaltung der Videoüberwachung ihre Regelungsmacht
überschritten hat.
16 1. Der Betriebsrat hat bei der Videoüberwachung der Betriebsräume der Arbeitgeberin
nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitzubestimmen.
17 Die Betriebsparteien und damit auch die Einigungsstelle sind grundsätzlich befugt,
Regelungen über die Einführung und Ausgestaltung einer Videoüberwachung zu treffen.
Dies folgt aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Eine Videoüberwachungsanlage ist eine
technische Einrichtung, die dazu bestimmt ist, das Verhalten und die Leistung der
Arbeitnehmer zu überwachen (vgl. BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 13,
BAGE 127, 276). Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
18 2. Nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG hat der Betriebsrat nur mitzubestimmen,
soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht.
19 a) Der Eingangshalbsatz in § 87 Abs. 1 BetrVG beruht auf der Erwägung, dass für die
Erreichung des Mitbestimmungszwecks kein Raum mehr verbleibt, wenn eine den
Arbeitgeber bindende und abschließende gesetzliche oder tarifliche Vorschrift vorliegt.
Wird der Mitbestimmungsgegenstand durch diese inhaltlich und abschließend geregelt,
fehlt es an einer Ausgestaltungsmöglichkeit durch die Betriebsparteien. Verbleibt dem
Arbeitgeber trotz der bestehenden normativen Regelung ein Gestaltungsspielraum, ist ein
darauf bezogenes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eröffnet (BAG 7. Februar 2012 -
1 ABR 63/10 - Rn. 22, AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 42 = EzA
BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 6).
20 b) Nach der Senatsrechtsprechung kann sich eine die Mitbestimmung einschränkende
Bindung der Betriebsparteien auch aufgrund eines Verwaltungsaktes ergeben, wenn
dieser den Arbeitgeber verpflichtet, eine bestimmte Maßnahme vorzunehmen bzw. zu
unterlassen. Verbleibt dem Arbeitgeber kein Gestaltungsspielraum, kann der Betriebsrat
nicht unter Berufung auf sein Mitbestimmungsrecht eine vom Verwaltungsakt
abweichende Regelung verlangen (BAG 9. Juli 1991 - 1 ABR 57/90 - zu B II 1 b der
Gründe, BAGE 68, 127; 26. Mai 1988 - 1 ABR 9/87 - zu B II 3 der Gründe, BAGE 58, 297).
Insoweit steht eine den Arbeitgeber bindende behördliche Entscheidung in ihren
Auswirkungen auf das Mitbestimmungsrecht den in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG
genannten normativen Regelungen gleich. Wo für den Arbeitgeber nichts zu entscheiden
ist, gibt es für den Betriebsrat nichts mitzubestimmen (BAG 23. Juni 2009 - 1 ABR 30/08 -
Rn. 23, AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 59).
21 3. Vorliegend ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
bei der Ausgestaltung der Videoüberwachung nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG in
mehrfacher Hinsicht eingeschränkt.
22 a) In der für die Arbeitgeberin einschlägigen Unfallverhütungsvorschrift Spielhallen,
Spielcasinos und Automatensäle von Spielbanken vom 1. April 1997 (BGV C 3) wird die
Einrichtung und der Betrieb einer Videoüberwachung für die Betriebsräume verbindlich
festgelegt. Die BGV C 3 ist aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 15 Abs. 1
SGB VII als autonomes Satzungsrecht der Unfallversicherungsträger erlassen worden.
Danach muss jedes Spielcasino und jeder Automatensaal von Spielbanken mit einer
optischen Raumüberwachungsanlage ausgerüstet sein (§ 6 Abs. 1 BGV C 3). Der
Unternehmer hat bei Verwendung von Videoanlagen zur optischen Raumüberwachung
dafür zu sorgen, dass diese während der gesamten Arbeitszeit in Betrieb sind (§ 19 Abs. 1
BGV C 3).
23 b) Nach § 10a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 des Gesetzes über die Zulassung öffentlicher
Spielbanken in Berlin (Spielbankengesetz - SpBG) vom 8. Februar 1999 (GVBl. S. 70) ist
die Arbeitgeberin zur Durchführung einer laufenden videotechnischen Aufzeichnung und
Speicherung der hierdurch erworbenen Daten in den in der Vorschrift genannten Räumen
verpflichtet. In § 10a Abs. 2 und Abs. 4 SpBG Berlin hat der Landesgesetzgeber den
Zugriff auf die aufgezeichneten und gespeicherten Daten sowie die Vorgaben für die
videotechnischen Aufnahmen näher ausgestaltet.
24 aa) Nach § 10a Abs. 4 SpBG Berlin darf der Zugriff auf die aufgezeichneten und
gespeicherten Daten ausschließlich erfolgen durch den Spielbankunternehmer und die
von ihm hierfür bestimmten Personen, die Aufsichtsbehörden (§ 12 SpBG Berlin) sowie
die Strafverfolgungsbehörden, soweit sie nach dem für sie maßgeblichen Recht hierzu
befugt sind. § 10a Abs. 2 SpBG Berlin verlangt, dass die Aufzeichnung und Speicherung
ausschließlich für Zwecke der Gewährleistung des ordnungsgemäßen Spielbetriebs, zur
korrekten Erfassung des Bruttospielertrags, zur Verhinderung und Aufklärung von
Straftaten sowie zur Klärung von Streitfällen mit Gästen verwendet werden darf. § 10a
Abs. 4 SpBG Berlin regelt auch das Betrachten der in Echtzeit aufgezeichneten Daten.
Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, der den Zugriff sowohl auf die aufgezeichneten
als auch auf die gespeicherten Daten erlaubt. Dies entspricht § 10a Abs. 1 Satz 1 SpBG
Berlin, der eine Verpflichtung des Erlaubnisinhabers zur laufenden videotechnischen
Aufzeichnung und Speicherung vorsieht. Der Landesgesetzgeber hat danach eine
Regelung sowohl für das Betrachten der Aufzeichnung als auch der gespeicherten
Videoaufnahmen getroffen. Diese ermöglicht den in § 10a Abs. 4 SpBG Berlin
bezeichneten Personen und Stellen eine Live-Betrachtung des Spielbetriebs zu den in
§ 10a Abs. 2 SpBG Berlin genannten Zwecken.
25 bb) Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht
danach nur, soweit das Betrachten der aufgezeichneten und gespeicherten Daten nicht
den in § 10a Abs. 2 SpBG Berlin genannten Zwecken dient. Dies gilt auch, soweit die
Tätigkeit von Arbeitnehmern von den Aufnahmen erfasst wird. Die Mitarbeiter der
Arbeitgeberin unterliegen insoweit den gleichen Einschränkungen ihres durch Art. 2
Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrechts wie andere Besucher der Spielbank. Dies
begegnet insbesondere deshalb keinen durchgreifenden Bedenken, weil die
Arbeitgeberin die Erkenntnisse, die sie aus einer Ansicht der Aufnahmen auf der
Grundlage von § 10a Abs. 2 SpBG Berlin gewinnt, nur zu den in dieser Vorschrift
ausdrücklich aufgeführten Zwecken verwenden darf. Die Leistungs- oder
Verhaltenskontrolle von Arbeitnehmern zählt nicht dazu.
26 c) Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG werden auch
durch die in der Betriebserlaubnis vom 1. Juli 2005 enthaltenen Auflagen eingeschränkt.
Nach § 9 Abs. 3 Satz 2 BE sind die Videoaufzeichnungen auf Ersuchen der Steueraufsicht
zur Klärung von Kulanzzahlungen, Streitsätzen, Jetondiebstahl und ähnlich gelagerten
Fällen heranzuziehen. Die Betriebserlaubnis ist ein Verwaltungsakt, der mit Auflagen über
Sicherheitsvorkehrungen versehen werden kann (§ 2 Abs. 1, Abs. 7 Nr. 5 SpBG Berlin).
Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ist die Bindung der Arbeitgeberin an die in der
Betriebserlaubnis enthaltenen Vorgaben über die Videoüberwachung und -aufzeichnung
(§ 9 BE) nicht entfallen. Die Einfügung von § 10a SpBG Berlin im Jahr 2010 führt nicht zur
Nichtigkeit von § 9 BE. Dies folgt aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, der gem. § 1 Abs. 1 des
Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung vom 8. Dezember 1976 (GVBl.
S. 2735) für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden Berlins gilt.
Danach hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung
eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem
Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des
Betroffenen geändert hat. Die Möglichkeit, in Bezug auf die von § 10a SpBG Berlin
erfassten Nebenbestimmungen in der Betriebserlaubnis ggf. einen auf das
Wiederaufgreifen des Verfahrens gerichteten Antrag zu stellen, schließt die Annahme der
Nichtigkeit als Folge der Änderung des SpBG Berlin aus.
27 4. Die Einigungsstelle hat bei der Ausgestaltung der Videoüberwachung in § 7 Abs. 3 und
Abs. 4 BV Video die sich aus § 10a SpBG Berlin und § 9 Abs. 3 Satz 2 BE ergebende
Einschränkung des Mitbestimmungsrechts nicht beachtet.
28 a) Der Anwendungsbereich von § 7 Abs. 3 BV Video beschränkt sich auf die von der
Arbeitgeberin gespeicherten Aufnahmen. Für das Betrachten aufgezeichneter Daten in
Echtzeit enthält § 7 Abs. 4 BV Video eine gesonderte Regelung. Nach den Festlegungen
im Einigungsstellenspruch können die gespeicherten Aufnahmen nur unter den in § 7
Abs. 3 Satz 1 BV Video bestimmten Voraussetzungen ohne vorherige Information des
Betriebsrats angesehen werden. Liegen diese nicht vor, ist eine Betrachtung nur bei
dringendem Tatverdacht einer strafbaren Handlung und einer vorherigen schriftlichen
Information des Betriebsrats unter Angabe der Gründe zulässig. Nach § 7 Abs. 4 BV Video
darf eine Live-Überwachung nur bei dringendem Verdacht einer strafbaren Handlung nach
vorheriger schriftlicher Information des Betriebsrats unter Beifügung einer stichwortartigen
Begründung durchgeführt werden. Es muss dem Betriebsrat Gelegenheit gegeben
werden, zur Live-Betrachtung ein Betriebsratsmitglied zu entsenden (§ 7 Abs. 4
Unterabs. 1 und 2 Satz 1 BV Video).
29 b) Durch § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BV Video werden die im SpBG Berlin eröffneten
Möglichkeiten für das Betrachten der aufgezeichneten und gespeicherten
Videoaufnahmen beschränkt. Die nach § 7 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 BV Video zulässigen
Tatbestände für die Ansicht der Videoaufzeichnungen bleiben hinter den gesetzlich
bestimmten Zugriffsmöglichkeiten zurück. Diese sind der Arbeitgeberin und den
Aufsichtsbehörden zu den in § 10a Abs. 2 SpBG Berlin genannten Zwecken
einschränkungslos und ohne das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts gestattet. Die
Einigungsstelle hat überdies die in § 9 Abs. 3 Satz 2 BE enthaltenen Vorgaben zugunsten
der Steueraufsicht sowie die Rechte der Strafverfolgungsbehörden (§ 10a Abs. 4 Nr. 3
SpBG Berlin) nicht berücksichtigt. Eine Trennung nach dem Zugriffszweck ist in § 7 Abs. 3
Satz 1, Abs. 4 BV Video nicht vorgesehen.
30 5. Die Unwirksamkeit von § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BV Video führt zur Unwirksamkeit des
gesamten Einigungsstellenspruchs. Für die Anwendung des verbleibenden Teils bleibt
ohne die Ausgestaltung der Voraussetzungen, unter denen ein Betrachten der
Videoaufnahmen zulässig ist, kein Raum.
Schmidt
Linck
Koch
Klosterkemper
Seyboth