Urteil des BAG vom 28.05.2013

Verfall von Versorgungsanwartschaften - Diskriminierung wegen des Alters und des Geschlechts - Lohngleichheitsgebot

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 28.5.2013, 3 AZR 210/11
Verfall von Versorgungsanwartschaften - Diskriminierung wegen des Alters und des Geschlechts
- Lohngleichheitsgebot
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 8. Oktober 2010 - 6 Sa 867/10 - wird mit der
klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung des Klägers
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 7. Mai 2010 - 5 Ca
496/10 - zurückgewiesen wird.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger eine unverfallbare Anwartschaft auf
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zusteht.
2 Der im Juli 1981 geborene Kläger stand vom 1. August 2002 bis zum 30. November 2009 in
einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Zumindest in den letzten fünf Jahren bestand
eine Zusage auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung.
3 Mit Schreiben vom 7. Dezember 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er keine
Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erworben habe, da er bei
seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis die gesetzlichen
Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt habe.
4 Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Klage gewandt und geltend gemacht, ihm stehe
eine unverfallbare Anwartschaft auf Versorgungsleistungen zu. Er hat die Auffassung
vertreten, zwar erfülle er die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nach § 1b Abs. 1, § 30f
Abs. 2 BetrAVG nicht, weil er vor der Vollendung des 30. Lebensjahres aus dem
Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden sei. Das gesetzlich festgelegte
Mindestalter von 30 Jahren verstoße gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des
Alters. Die Regelung könne daher nicht angewandt werden, soweit sie die Unverfallbarkeit
von dem Mindestalter von 30 Jahren bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
abhängig mache.
5 Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass er eine unverfallbare Anwartschaft auf Zahlung einer
betrieblichen Altersversorgung anlässlich seiner Beschäftigung bei der Beklagten in
der Zeit vom 1. August 2002 bis zum 30. November 2009 erworben hat.
6 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
7 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
des Klägers als unzulässig verworfen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen
Klageantrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Zwar hat das
Landesarbeitsgericht zu Unrecht die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche
Urteil als unzulässig verworfen. Dies führt jedoch nicht zur Aufhebung des
Berufungsurteils, da die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend ist.
Die Klage ist unbegründet. Die Revision war daher mit der klarstellenden Maßgabe
zurückzuweisen, dass die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil
zurückgewiesen wird.
9 A. Die Revision ist zulässig. Sie ist ordnungsgemäß iSv. § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO begründet. Zwar setzt sich die Revisionsbegründung nicht
ausdrücklich mit der angefochtenen Entscheidung, mit der die Berufung des Klägers als
unzulässig verworfen wurde, auseinander. Gleichwohl genügt sie den gesetzlichen
Anforderungen, da sie auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug nimmt,
die eine auch für die Revision ausreichende Begründung enthält.
10 I. Die Revisionsbegründung muss nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO diejenigen
Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Sie muss den
angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise verdeutlichen, die
Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt. Die
Revisionsbegründung hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils
auseinanderzusetzen. Dadurch soll ua. sichergestellt werden, dass der
Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil auf das
Rechtsmittel hin überprüft und die Rechtslage genau durchdenkt. Die
Revisionsbegründung soll durch ihre Kritik an dem angefochtenen Urteil außerdem zur
richtigen Rechtsfindung des Revisionsgerichts beitragen (st. Rspr., vgl. BAG 13. Oktober
2009 - 9 AZR 876/08 - Rn. 12; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 16, BAGE 130, 119;
27. Oktober 2005 - 6 AZR 408/05 - Rn. 9). Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten
ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt nicht den
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung (BAG 28. Januar 2009 -
4 AZR 912/07 - Rn. 11).
11 II. Danach ist die Revision zulässig. Zwar befasst sich die Revisionsbegründung selbst
nicht mit der tragenden Begründung des angefochtenen Urteils, die Berufung sei mangels
ausreichender Begründung unzulässig. Gleichwohl ist die Revision zulässig, weil in der
Revisionsbegründung auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug
genommen wird und diese eine auch für die Revision ausreichende Auseinandersetzung
mit dem Berufungsurteil enthält.
12 1. Wird einer Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben, so wird das
Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Die form- und fristgerechte
Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gilt kraft Gesetzes als Einlegung der Revision.
Mit der Zustellung der stattgebenden Entscheidung beginnt in diesem Fall die
Revisionsbegründungsfrist, § 72a Abs. 6 ArbGG.
13 Für den Fall eines vorausgehenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens modifiziert
§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO die allgemeinen Vorschriften über die
Begründung der Revision (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 ZPO) in der Weise, dass auf die
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden kann. Eine
gesonderte Revisionsbegründung ist damit auch nach einem vorangegangen
Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren stets erforderlich; mindestens muss sie in Form
einer Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgen (BAG
8. Mai 2008 - 1 ABR 56/06 - Rn. 6, BAGE 126, 339; BGH 20. Dezember 2007 - III ZR
27/06 - Rn. 4 ff.; BFH 20. Juni 2008 - VII R 46/07 - Rn. 2). Soll eine solche Bezugnahme
zur Zulässigkeit der Revision führen, muss zum einen die Begründung der
Nichtzulassungsbeschwerde den inhaltlichen Anforderungen an eine
Revisionsbegründung entsprechen, zum anderen muss diese Bezugnahme innerhalb der
Zweimonatsfrist des § 72a Abs. 6 Satz 3 iVm. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bei Gericht
eingehen (BAG 8. Mai 2008 - 1 ABR 56/06 - aaO).
14 2. Die innerhalb dieser Frist eingegangene Revisionsbegründung enthält eine
ausdrückliche Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und
macht diese zum Gegenstand der Revisionsbegründung. In der
Nichtzulassungsbeschwerdebegründung hatte der Kläger sich ausführlich mit der
Begründung des Landesarbeitsgerichts zur Unzulässigkeit der Berufung
auseinandergesetzt und die von ihm angenommene Rechtsfehlerhaftigkeit aufgezeigt.
Dies genügt zur Begründung der Revision.
15 B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers
gegen das erstinstanzliche Urteil zwar zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die
angefochtene Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als im Ergebnis
zutreffend.
16 I. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung einer Rechtsnorm (§ 561 ZPO).
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war die Berufung des Klägers gegen
das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zulässig. Die Berufungsbegründung
genügt den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat sich mit dem Urteil des
Arbeitsgerichts ausreichend iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO auseinandergesetzt.
17 1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände
bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und
deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Dies erfordert eine
hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der
angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die Regelung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2
ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine
Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird.
Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu
überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen er das
angefochtene Urteil für unrichtig hält. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den
Streitfall zugeschnitten sein. Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt
werden. Jedoch muss sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder
tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese
bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der
angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche
Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich
auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG
19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 14; 15. März 2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 11 mwN).
18 Hat das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung auf mehrere, voneinander
unabhängige, das Urteil selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die
Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen. Denn die
Berufungsbegründung muss geeignet sein, das angefochtene Urteil insgesamt in Frage zu
stellen. Es ist deshalb für jede der mehreren, rechtlich selbständig tragenden Erwägungen
darzulegen, warum sie nach Auffassung des Berufungsführers die Entscheidung nicht
rechtfertigt. Andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (vgl. BAG 19. Oktober
2010 - 6 AZR 118/10 - Rn. 8; 8. Mai 2008 - 6 AZR 517/07 - Rn. 28).
19 2. Danach lag eine ausreichende Begründung der Berufung vor. Die
Berufungsbegründung setzt sich mit den die Klageabweisung tragenden Begründungen
des Arbeitsgerichts hinreichend auseinander.
20 a) Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe die
in § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG bestimmten Unverfallbarkeitsvoraussetzungen
nicht erfüllt, weil er bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten das
30. Lebensjahr nicht vollendet hatte und die Mindestaltersgrenze von 30 Jahren nicht
gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstoße. Das AGG sei nach § 2
Abs. 2 Satz 2 AGG nicht anzuwenden und ein Verstoß von § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2
BetrAVG gegen die Richtlinie 2000/78/EG, insbesondere gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 6
Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG, liege nicht vor. Die Regelung des
Betriebsrentengesetzes über die Mindestaltersgrenze sei iSv. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie
2000/78/EG gerechtfertigt und im Übrigen nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG
generell zulässig.
21 b) Selbst wenn mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen sein sollte, dass die
Berufung sich mit der Begründung des Arbeitsgerichts zur fehlenden Anwendbarkeit des
AGG auf die Vorschriften des Betriebsrentengesetzes nicht hinreichend auseinandersetzt,
wäre die Berufung nicht schon deshalb unzulässig, denn diese Begründung des
Arbeitsgerichts trägt sein Urteil nicht selbständig. Die Berufung des Klägers hätte auch
dann Erfolg, wenn er mit seiner Begründung durchdringen würde, § 1b Abs. 1 iVm. § 30f
Abs. 2 BetrAVG sei nicht mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 6 der Richtlinie
2000/78/EG vereinbar. Insoweit hat der Kläger auf S. 3 der Berufungsbegründung gegen
die Begründung des Arbeitsgerichts vorgebracht, die durch § 1b iVm. § 30f Abs. 2
BetrAVG bewirkte Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nicht nach Art. 6 Abs. 1 der
Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Die gesetzliche Regelung überschreite den dem
nationalen Gesetzgeber eingeräumten Ermessens- und Gestaltungsspielraum. Art. 6
Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG lasse eine Altersgrenze von 30 Jahren für den Erwerb
einer unverfallbaren Anwartschaft ebenfalls nicht zu. Der geringeren Schutzbedürftigkeit
von Arbeitnehmern in jüngerem Lebensalter sei bereits durch die Mindestzusagedauer
von fünf Jahren ausreichend Rechnung getragen. Diese - zwar sehr knapp gefasste -
Begründung ist geeignet, das erstinstanzliche Urteil insgesamt in Frage zu stellen und
genügt deshalb (noch) den gesetzlichen Anforderungen.
22 II. Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgericht führt jedoch nicht zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils, da sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen im Ergebnis als
richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Klage ist unbegründet. Dies kann der Senat auf der
Grundlage des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts gemäß § 563 Abs. 3
ZPO entscheiden. Der Kläger erfüllt die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen
nach § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG nicht, da er bei der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten am 30. November 2009 das 30. Lebensjahr noch
nicht vollendet hatte. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Unverfallbarkeit verstoßen
weder gegen Unions- noch gegen Verfassungsrecht.
23 1. Die Voraussetzungen des § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG sind nicht erfüllt.
24 a) Nach § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG bleibt einem Arbeitnehmer, dem Leistungen aus der
betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden sind, die Anwartschaft erhalten, wenn
das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des
25. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf
Jahre bestanden hat. Abweichend hiervon bestimmt § 30f Abs. 2 BetrAVG für Leistungen
der betrieblichen Altersversorgung, die vor dem 1. Januar 2009 und nach dem
31. Dezember 2000 zugesagt worden sind, dass § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG mit der
Maßgabe anzuwenden ist, dass die Anwartschaft erhalten bleibt, wenn das
Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des
30. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre
bestanden hat; in diesen Fällen bleibt die Anwartschaft auch erhalten, wenn die Zusage
ab dem 1. Januar 2009 fünf Jahre bestanden hat und bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses das 25. Lebensjahr vollendet ist.
25 b) Danach hat der Kläger keine unverfallbare Anwartschaft auf Leistungen der
betrieblichen Altersversorgung erworben. Die Versorgungszusage wurde ihm vor dem
1. Januar 2009 und nach dem 1. Januar 2001 erteilt. Damit richtet sich die Unverfallbarkeit
seiner Anwartschaft nach § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG. Die Voraussetzungen
dieser Vorschriften erfüllt der Kläger nicht. Die Versorgungszusage hat zwar bis zum
Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30. November 2009 insgesamt länger als fünf
Jahre bestanden. Der im Juli 1981 geborene Kläger hatte beim Ausscheiden aus dem
Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. November 2009 jedoch erst das 28. Lebensjahr, nicht
aber das 30. Lebensjahr vollendet. Die Versorgungszusage hat auch nicht ab dem
1. Januar 2009 fünf Jahre bestanden.
26 2. Die in § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG für die Unverfallbarkeit bestimmte
Altersgrenze von 30 Jahren verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
27 a) Die gesetzlichen Unverfallbarkeitsregelungen sind nicht am Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz (AGG), sondern unmittelbar an den verfassungs- und
unionsrechtlichen Vorgaben zu messen. Es geht nicht um die Vereinbarkeit einer
Versorgungszusage, sondern der gesetzlichen Unverfallbarkeitsbestimmungen des
Betriebsrentengesetzes mit höherrangigem Recht. Das AGG ist kein gegenüber dem
Betriebsrentengesetz höherrangiges Recht. Deshalb kommt nur eine Überprüfung der
gesetzlichen Unverfallbarkeitsregelungen anhand des Verfassungs- und Unionsrechts in
Betracht. Da das AGG nicht anzuwenden ist, kommt es auf die Vereinbarkeit von § 2
Abs. 2 Satz 2 AGG mit Unionsrecht nicht an.
28 b) Das in § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG für den Erwerb unverfallbarer
Versorgungsanwartschaften festgelegte Mindestalter von 30 Jahren bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ist mit Unionsrecht vereinbar. Die Altersgrenze verstößt weder gegen
das durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung
eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in
Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16; im Folgenden:
Richtlinie 2000/78/EG) konkretisierte primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen
des Alters noch gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts.
29 aa) Die Regelung in § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG fällt in den Geltungsbereich
des Unionsrechts. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
konkretisiert die Richtlinie 2000/78/EG den primärrechtlichen Grundsatz des Verbots der
Diskriminierung wegen des Alters (EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci]
Rn. 20, Slg. 2010, I-365). Die betriebliche Altersversorgung ist ein Bestandteil des
Arbeitsentgelts nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78/EG. Unter
„Arbeitsentgelt“ im Sinne dieser Regelung sind nach Art. 119 EG-Vertrag, Art. 141 EGV
und Art. 157 Abs. 2 AEUV ua. Gehälter und alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die
der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder
mittelbar in bar oder in Sachleistungen gewährt. Dazu können auch Leistungen zählen,
die erst nach dem Ende der aktiven Dienstzeit gewährt werden (EuGH 23. Oktober 2003 -
C-4/02 - und - C-5/02 - [Schönheit und Becker] Rn. 56 ff., Slg. 2003, I-12575; BAG
11. Dezember 2012 - 3 AZR 684/10 - Rn. 15 für die Hinterbliebenenversorgung).
30 bb) § 1b Abs. 1 Satz 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG bewirkt eine unmittelbare
Ungleichbehandlung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie
2000/78/EG. Die gesetzlichen Bestimmungen können dazu führen, dass Arbeitnehmer,
deren nach dem 1. Januar 2001 und vor dem 1. Januar 2009 erteilte Versorgungszusage
bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mindestens fünf Jahre bestanden hat und die
vor Vollendung des 30. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, ungünstiger
behandelt werden als Arbeitnehmer, die nach der Vollendung des 30. Lebensjahres mit
derselben Zusagedauer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Diese
Ungleichbehandlung ist nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt.
31 (1) Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG betrifft die „gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen
des Alters“. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG können die
Mitgliedstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG vorsehen, dass
Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie
objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes
Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik,
Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel
zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Für den Bereich der
betrieblichen Altersversorgung enthält Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG eine
Spezialregelung. Danach können die Mitgliedstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 der
Richtlinie 2000/78/EG vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen
Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft
oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität keine Diskriminierung
wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des
Geschlechts führt. Danach sind die Mitgliedstaaten, soweit es um die betrieblichen
Systeme der sozialen Sicherheit geht, bei der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in
nationales Recht nicht verpflichtet, die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie
2000/78/EG einzuhalten. Die Festsetzung von Altersgrenzen in den betrieblichen
Systemen der sozialen Sicherheit ist somit unionsrechtlich in der Regel zulässig. Damit
werden Hindernisse, die der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung
entgegenstehen können, beseitigt (BAG 12. Februar 2013 - 3 AZR 100/11 - Rn. 28;
11. August 2009 - 3 AZR 23/08 - Rn. 40, BAGE 131, 298; vgl. auch Schlussanträge der
Generalanwältin Kokott vom 7. Februar 2013 in der Sache - C-476/11 -
[Kristensen/Experian] Rn. 49).
32 Daher ist es grundsätzlich zulässig, die Unverfallbarkeit von Anwartschaften auf
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an das Erreichen eines bestimmten
Mindestalters zu knüpfen (vgl. etwa Rolfs in Blomeyer/ Rolfs/Otto BetrAVG 5. Aufl. § 1b
Rn. 71b; Cisch/Böhm BB 2007, 602, 608; Rolfs NZA 2008, 553, 555). Darin liegt eine
Altersgrenze für die Mitgliedschaft in den Systemen der betrieblichen Altersversorgung.
33 (2) Die in § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG festgelegte Altersgrenze von 30 Jahren
als Voraussetzung für das Entstehen einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen der
betrieblichen Altersversorgung führt nicht zu einer Diskriminierung wegen des
Geschlechts. Eine allenfalls denkbare mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor.
34 (a) Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der
Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und
Beschäftigungsfragen (ABl. L 204 vom 26. Juli 2006 S. 23; im Folgenden: Richtlinie
2006/54/EG) ist eine „mittelbare Diskriminierung“ eine Situation, in der dem Anschein nach
neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in
besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können,
es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein
rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels
angemessen und erforderlich. Diese Definition der mittelbaren Diskriminierung gilt im
Unionsrecht seit jeher und lag damit auch der Anwendung von Art. 119 EG-Vertrag und
Art. 141 EGV sowie der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des
Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen zugrunde (vgl. EuGH
15. Dezember 1994 - C-399/92 ua. - [Helmig ua.] Rn. 20, Slg. 1994, I-5727; 9. Februar
1999 - C-167/97 - [Seymour-Smith und Perez] Rn. 69, Slg. 1999, I-623 zu Art. 119 EG-
Vertrag und der Richtlinie 75/117/EWG). Diese Definition findet sich - wenn auch mit einer
geringfügig abweichenden Formulierung - auch in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 97/80/EG
des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des
Geschlechts (ABl. L 14 vom 20. Januar 1998 S. 6; im Folgenden: Richtlinie 97/80/EG).
Danach liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale
Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen
eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien
oder Verfahren sind angemessen und notwendig und durch nicht auf das Geschlecht
bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG
findet diese Richtlinie und damit auch die Definition der mittelbaren Diskriminierung auf
die Situationen Anwendung, die ua. von Art. 119 EG-Vertrag und den Richtlinien
75/117/EWG und 76/207/EWG erfasst werden. Von dieser Definition ist auch für den
Begriff der Diskriminierung wegen des Geschlechts in Art. 6 Abs. 2 der im Jahr 2000
geschaffenen Richtlinie 2000/78/EG auszugehen. Der Tatbestand der mittelbaren
Diskriminierung liegt daher nicht vor, wenn die benachteiligenden Vorschriften, Kriterien
oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur
Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
35 (b) Danach führt die Festlegung des Mindestalters von 30 Jahren bei der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses für die Unverfallbarkeit von Anwartschaften auf Leistungen der
betrieblichen Altersversorgung in § 1b Abs. 1 Satz 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG
tatbestandlich nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts. Es kann
dahinstehen, ob von dem Verfall von Versorgungsanwartschaften nach § 1b Abs. 1 Satz 1
iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG mehr Frauen betroffen sind als Männer. Selbst wenn dies der
Fall sein sollte, läge darin keine unzulässige mittelbare Diskriminierung wegen des
Geschlechts. Die Regelung ist durch das rechtmäßige Ziel der Förderung der
betrieblichen Altersversorgung und damit durch nicht auf das Geschlecht bezogene
sachliche Gründe gerechtfertigt und das Mittel der Mindestaltersgrenze von 30 Jahren ist
zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
36 (aa) Die gesetzlichen Unverfallbarkeitsregelungen in § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2
BetrAVG einschließlich des Mindestalters von 30 Jahren dienen der Förderung der
betrieblichen Altersversorgung und damit einem legitimen sozialpolitischen Ziel. Durch die
Festlegung einer Mindestzusagedauer und eines Mindestalters des Arbeitnehmers bei der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses soll verhindert werden, dass Anwartschaften auf
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die nur zu einem geringen
Rentenanspruch führen, vom Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hinweg verwaltet
werden müssen. Ein solcher Verwaltungsaufwand könnte Arbeitgeber veranlassen, von
der Erteilung von Versorgungszusagen insgesamt abzusehen. Die gesetzlichen
Unverfallbarkeitsvoraussetzungen tragen daher dazu bei, Hindernisse bei der Verbreitung
der betrieblichen Altersversorgung zu beseitigen.
37 Die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich. Der
Gesetzgeber musste sich nicht auf die Festlegung einer Mindestzusagedauer oder einer
Mindestbetriebszugehörigkeit beschränken. Dadurch wird zwar die Entstehung
unverfallbarer Klein- und Kleinstanwartschaften vermieden. Um zu verhindern, dass relativ
geringe Versorgungsanwartschaften nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem
Arbeitsverhältnis bis zum Eintritt des Versorgungsfalls über Jahrzehnte hinweg vom
Arbeitgeber verwaltet werden müssen, ist eine zusätzliche Mindestaltersgrenze bei der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein geeignetes und angemessenes Mittel. Je jünger
der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist, desto länger muss der
Arbeitgeber die Anwartschaften fortführen. Durch den Verfall von
Versorgungsanwartschaften bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor der
Vollendung des 30. Lebensjahres werden die Belange der betroffenen Arbeitnehmer nicht
unverhältnismäßig beeinträchtigt. Sie haben die Möglichkeit, den durch den Verfall
eintretenden Verlust von Versorgungsanwartschaften im weiteren in der Regel noch
Jahrzehnte dauernden Erwerbsleben und durch Eigenvorsorge auszugleichen.
38 Die Festlegung des Mindestalters auf 30 Jahre in der Übergangsregelung des § 1b Abs. 1
iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung ist - auch unter
Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben - von dem Gestaltungsspielraum des
Gesetzgebers gedeckt. Er war nicht gehalten, ein jüngeres Lebensalter als
Mindestaltersgrenze zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten haben bei der Wahl der Mittel, die
sie zur Verwirklichung ihrer sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele ergreifen, einen
weiten Entscheidungsspielraum (EuGH 14. Dezember 1995 - C-317/93 - [Nolte] Rn. 33,
Slg. 1995, I-4625; 9. Februar 1999 - C-167/97 - [Seymour-Smith und Perez] Rn. 74,
Slg. 1999, I-623). Im Hinblick auf diese Gestaltungsfreiheit stellt die Festlegung eines
Mindestalters von 30 Jahren ein geeignetes und angemessenes Mittel dar, die betriebliche
Altersversorgung zu fördern und die Arbeitgeber nicht durch eine uneingeschränkte
Unverfallbarkeit von der Gewährung derartiger Leistungen abzuhalten. Der Gesetzgeber
hat die Unverfallbarkeit von persönlichen und sachlichen, geschlechtsneutralen
Merkmalen abhängig gemacht, die das Interesse der Arbeitgeber an langer Betriebstreue,
wirtschaftlicher Gestaltungsfreiheit und begrenzter finanzieller sowie bürokratischer
Belastung berücksichtigen. Diese Intention rechtfertigt jedenfalls zum Zeitpunkt des
Ausscheidens des Klägers auch eine - hier unterstellte - stärkere Betroffenheit von Frauen
von dem Verfall von Versorgungsanwartschaften aufgrund der in § 1b Abs. 1 Satz 1 iVm.
§ 30f Abs. 2 BetrAVG getroffenen Regelung (vgl. zur Altersgrenze von 35 Jahren in § 1
Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF: BAG 18. Oktober 2005 - 3 AZR 506/04 - Rn. 20, BAGE 116,
152).
39 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Sozialschutz der Arbeitnehmer
bereits durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur
Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz -
AVmG) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1310) verbessert hatte. Seit der Einführung der
gesetzlichen Unverfallbarkeit von Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen
Altersversorgung mit dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung
vom 19. Dezember 1974 wurden die Voraussetzungen für die gesetzliche Unverfallbarkeit
einschließlich des Mindestalters zugunsten der Arbeitnehmer an die sich wandelnden
gesellschaftlichen Auffassungen angepasst. Das für die Unverfallbarkeit maßgebliche
Mindestalter wurde von 35 Jahren auf 30 Jahre abgesenkt (§ 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in
der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung). Damit wurde der mit der Einführung der
gesetzlichen Unverfallbarkeit im Jahr 1974 gefundene Kompromiss zwischen der
unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers und dem Sozialschutz der Arbeitnehmer
zugunsten der Arbeitnehmer verändert. Mit dem Gesetz zur Förderung der zusätzlichen
Altersvorsorge und zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom
10. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2838) wurde in § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG das
Mindestalter für die Unverfallbarkeit von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung
schließlich auf das 25. Lebensjahr abgesenkt und zugleich die Übergangsregelung in
§ 30f BetrAVG mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 entsprechend neu gefasst. Der
Gesetzgeber ist damit dem immer stärker werdenden Bedürfnis der Arbeitnehmer, bereits
frühzeitig Vorsorge für die Versorgung im Alter zu treffen, schrittweise nachgekommen.
Dies ist im Hinblick auf den weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum nicht zu
beanstanden. Der Gesetzgeber des Jahres 2007 war nicht verpflichtet, das im Jahr 1974
bestimmte Mindestalter von 35 Jahren, das im Jahr 2001 auf 30 Jahre abgesenkt wurde,
bereits zum 1. Januar 2009 auf 25 Jahre auch für die Versorgungszusagen abzusenken
oder gar vollständig in Wegfall zu bringen, die vor dem 1. Januar 2009 aber nach dem
1. Januar 2001 erteilt wurden. Er konnte vielmehr aus Gründen des Vertrauensschutzes
die Absenkung des Mindestalters für die Unverfallbarkeit auf 25 Jahre auf
Versorgungszusagen beschränken, die ab dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung am
1. Januar 2009 erteilt wurden oder zumindest noch fünf Jahre ab diesem Zeitpunkt
fortbestanden.
40 (bb) Einer zusätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung der Altersgrenze bedarf es trotz des
Ausnahmecharakters der Regelung in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG nicht (vgl.
Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 7. Februar 2013 in der Sache - C-
476/11 - [Kristensen/Experian] Rn. 50). Selbst wenn eine solche vorzunehmen wäre,
bestünden gegen die Festlegung eines Mindestalters von 30 Jahren als Voraussetzung für
die Unverfallbarkeit keine Bedenken, zumal diese Altersgrenze auch nach Art. 6 Abs. 1
der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt wäre. Die Festlegung der Altersgrenze dient dem
sozialpolitischen Ziel der Förderung der betrieblichen Altersversorgung und ist zur
Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Insoweit gilt nichts anderes als für
den Ausschluss einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts.
41 cc) Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach
Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine Fragen der Auslegung des
Unionsrechts, die noch nicht geklärt wären.
42 (1) Die Auslegung des unionsrechtlichen Grundsatzes des Verbots der Diskriminierung
wegen des Alters einschließlich des Rückgriffs auf die Richtlinie 2000/78/EG zu dessen
Konkretisierung ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Sache „Kücükdeveci“
(EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - Slg. 2010, I-365) geklärt, so dass eine Vorlagepflicht
entfällt (vgl. EuGH 6. Oktober 1982 - C-283/81 - [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982, 3415). Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es den nationalen Gerichten vorbehalten zu prüfen,
ob ein Grund iSd. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gegeben ist, der eine
Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertigt (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age
Concern England] Rn. 47 ff., Slg. 2009, I-1569).
43 (2) Die Frage, ob die Festlegung der Altersgrenze von 30 Jahren für das Entstehen einer
unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung gegen
Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG verstößt, weil die Festlegung dieses Mindestalters
zu einer Diskriminierung wegen des Geschlechts führen könnte, löst ebenfalls keine
Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV aus. Hinsichtlich der
Geschlechtsdiskriminierung ist die Feststellung einer tatsächlichen erheblichen
Benachteiligung ebenso Sache des nationalen Gerichts (EuGH 9. Februar 1999 - C-
167/97 - [Seymour-Smith und Perez] Slg. 1999, I-623; 20. Oktober 2011 - C-123/10 -
[Brachner] Rn. 63, ABl. EU C 362 vom 10. Dezember 2011 S. 7) wie die Feststellung, ob
und inwieweit eine gesetzliche Regelung, die zwar unabhängig vom Geschlecht der
Arbeitnehmer angewandt wird, im Ergebnis Frauen jedoch stärker trifft als Männer, aus
objektiven Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun
haben, gerechtfertigt ist (EuGH 13. Mai 1986 - C-170/84 - [Bilka-Kaufhaus] Rn. 36,
Slg. 1986, 1607; 13. Juli 1989 - C-171/88 - [Rinner-Kühn] Rn. 15, Slg. 1989, 2743). Der
Senat hat daher selbst zu entscheiden, ob die gesetzliche Regelung einem legitimen Ziel
der nationalen Sozialpolitik dient und die Mittel zur Erreichung des Ziels geeignet und
erforderlich sind.
44 (3) Die vom Kläger aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit von § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG mit
Unionsrecht löst ebenfalls keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV aus. Diese
Frage ist nicht entscheidungserheblich, da der Ausgang des Rechtsstreits nicht von der
Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG abhängt.
45 c) Die Vorschrift des § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG verstößt nicht gegen
nationales Verfassungsrecht.
46 aa) § 1b Abs. 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG verletzt weder das verfassungsrechtliche
Lohngleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 3 GG noch den allgemeinen Gleichheitssatz aus
Art. 3 Abs. 1 GG. § 1b Abs. 1 Satz 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG stellt, um das
übergeordnete Ziel einer möglichst weiten Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung
zu erreichen, einen angemessenen Ausgleich zwischen der unternehmerischen Freiheit
des Arbeitgebers und dem Sozialschutz der Arbeitnehmer dar (vgl. BAG 9. Oktober 2012 -
3 AZR 477/10 - Rn. 32). Für die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern, deren
Arbeitsverhältnis vor der Vollendung des 30. Lebensjahres endet gegenüber
Arbeitnehmern, die nach Vollendung des 30. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis
ausscheiden, in Bezug auf den Erwerb einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen
der betrieblichen Altersversorgung besteht daher ein sachlicher Grund.
47 bb) Ebenso wenig verstößt § 1b Abs. 1 Satz 1 iVm. § 30f Abs. 2 BetrAVG gegen Art. 6
Abs. 1 GG. Aus dem Verfassungsauftrag zum wirksamen Familienlastenausgleich lassen
sich keine konkreten Folgerungen für das Betriebsrentengesetz ableiten. Im Übrigen
verbesserten die Neuregelungen zum 1. Januar 2001 und zum 1. Januar 2009 die
finanzielle Absicherung der Arbeitnehmer und ihrer Familien (vgl. BAG 9. Oktober 2012 -
3 AZR 477/10 - Rn. 33).
48 cc) Schließlich wird auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit und die
Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes durch die Regelung nicht verletzt. Es ist nicht
ersichtlich, dass das Mindestalter von 30 Jahren für den Erwerb einer unverfallbaren
Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung Arbeitnehmer faktisch an
der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses hindert (vgl. BAG 9. Oktober 2012 - 3 AZR
477/10 - Rn. 34).
49 C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Gräfl
Schlewing
Spinner
Schmalz
Schultz