Urteil des BAG vom 30.04.2014

Schwerbehindertenvertretung bei kirchlichem Arbeitgeber

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 30.4.2014, 7 ABR
30/12
Schwerbehindertenvertretung bei kirchlichem Arbeitgeber
Leitsätze
Parallele Zuständigkeiten der kirchlichen und der staatlichen Gerichtsbarkeit können sich
ergeben, wenn die Schwerbehindertenvertretung ein Rechtsschutzziel sowohl auf eine
kirchliche als auch auf eine staatliche Rechtsgrundlage stützt.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung
gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München
vom 11. April 2012 - 11 TaBV 18/12 - wird zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über Beteiligungsrechte der bei einer kirchlichen Arbeitgeberin
gebildeten Schwerbehindertenvertretung im Zusammenhang mit der Abmahnung einer
schwerbehinderten Mitarbeiterin. Die Arbeitgeberin stellt bereits die Zuständigkeit der von
der Schwerbehindertenvertretung angerufenen staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit in
Abrede.
2 Die Arbeitgeberin betreibt das Krankenhaus B in München. Bei ihr gilt die
Mitarbeitervertretungsordnung für die Erzdiözese München und Freising vom 1. Juli 2004
in der Fassung vom 1. Dezember 2011 (MAVO). In § 2 Nr. 2 der ebenfalls anwendbaren
Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung (KAGO) heißt es:
„Die kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen sind ferner zuständig für
Rechtsstreitigkeiten aus dem Mitarbeitervertretungsrecht …“
3 Die MAVO regelt in § 28a zu „Aufgaben und Beteiligung der Mitarbeitervertretung zum
Schutz schwerbehinderter Menschen“ ua.:
„(1) Die Mitarbeitervertretung fördert die Eingliederung schwerbehinderter
Menschen. Sie achtet darauf, dass die dem Dienstgeber nach §§ 71, 72, 81,
83 und 84 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt werden und wirkt auf
die Wahl einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter hin.
(2) Der Dienstgeber trifft mit der Vertrauensperson der schwerbehinderten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Mitarbeitervertretung in
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Mitarbeitervertretung in
Zusammenarbeit mit dem Beauftragten des Dienstgebers gemäß § 98 SGB
IX eine verbindliche Integrationsvereinbarung.
(3) Treten ernsthafte Schwierigkeiten in einem Beschäftigungsverhältnis einer
schwerbehinderten Mitarbeiterin oder eines schwerbehinderten Mitarbeiters
auf, die dieses Beschäftigungsverhältnis gefährden können, sind zunächst
unter möglichst frühzeitiger Einschaltung des Beauftragten des Dienstgebers
nach § 98 SGB IX, der Vertrauensperson der schwerbehinderten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Mitarbeitervertretung sowie des
Integrationsamtes alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden
Hilfen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können
und das Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden
kann.“
4 § 52 MAVO enthält zur „Mitwirkung der Vertrauensperson der schwerbehinderten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ ua. folgende Regelungen:
„(2) Der Dienstgeber hat die Vertrauensperson der schwerbehinderten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Angelegenheiten, die einen
einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren,
unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung
anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.
Ist dies bei einem Beschluss der Mitarbeitervertretung nicht geschehen oder
erachtet die Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter einen Beschluss der Mitarbeitervertretung als eine erhebliche
Beeinträchtigung wichtiger Interessen schwerbehinderter Menschen, wird
auf ihren Antrag der Beschluss für die Dauer von einer Woche vom
Zeitpunkt der Beschlussfassung ausgesetzt. Durch die Aussetzung wird
eine Frist nicht verlängert.
(5) Für die Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter gelten die §§ 15 bis 20 entsprechend. Weitergehende
persönliche Rechte und Pflichten, die sich aus den Bestimmungen des SGB
IX ergeben, bleiben hiervon unberührt.“
5 In § 17 Abs. 1 MAVO heißt es:
„Der Dienstgeber trägt die durch die Tätigkeit der Mitarbeitervertretung
entstehenden und für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Kosten
einschließlich der Reisekosten im Rahmen der für den Dienstgeber bestehenden
Bestimmungen. …“
6 Am 24. August 2011 richtete die Arbeitgeberin unter dem Betreff „Anhörung zu
Beschwerden gemäß § 6 Abs. 3 AT zu den AVR“ ein Schreiben an die medizinisch-
technische Radiologie-Assistentin S, die mit einem GdB von 50 schwerbehindert ist. Darin
hielt sie der Mitarbeiterin vor, ihren Dienst am 18. August 2011 42 Minuten zu spät
aufgenommen zu haben. Gleichzeitig übermittelte die Arbeitgeberin der
Schwerbehindertenvertretung eine Kopie dieses Schreibens und gab ihr - wie auch der
abzumahnenden Mitarbeiterin - Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 1. September
2011.
7 Mit Schreiben vom 26. August 2011 rügte die Schwerbehindertenvertretung, die
Unterrichtung sei unter Verstoß gegen § 52 Abs. 2 Satz 1 MAVO und § 84 Abs. 1 SGB IX
erfolgt. Wörtlich führte die Vertrauensperson der Schwerbehinderten aus:
„Daher setze ich hiermit das (Anhörungs-)Verfahren zur beabsichtigten Abmahnung
von Frau S
nach § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aus
und bitte um entsprechende Bestätigung bis zum
29.08.2011/ 12:00 Uhr
zu meinen Händen.“
8 Nachdem die Arbeitgeberin unter dem 29. August 2011 mitgeteilt hatte, dass aus ihrer
Sicht kein Aussetzungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bestehe, verfolgte die
Schwerbehindertenvertretung ihr Begehren, das Anhörungsverfahren zur beabsichtigten
Abmahnung auszusetzen, im einstweiligen Verfügungsverfahren. Erstinstanzlich hatte ihr
Antrag keinen Erfolg. Nach Ausspruch der Abmahnung wurde dieses Verfahren in der
Beschwerdeinstanz für erledigt erklärt.
9 Im vorliegenden Verfahren hat die Schwerbehindertenvertretung weiterhin die Auffassung
vertreten, die Arbeitgeberin habe ihre Rechte aus § 95 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 SGB IX und
§ 52 Abs. 2 Satz 1 MAVO verletzt und sei außerdem zur Übernahme der anfallenden
Kosten verpflichtet. Für die Entscheidung seien die staatlichen Gerichte für Arbeitssachen
zuständig.
10 Die Schwerbehindertenvertretung hat zuletzt beantragt:
1. Die Abmahnung der schwerbehinderten Mitarbeiterin Frau S, medizinisch-
technische-radiologische Assistentin (MTRA) im Krankenhaus B vom
9. September 2011 wird mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung der
Vertrauensperson und Durchführung des Klärungsverfahrens nach § 84
Abs. 1 SGB IX ausgesetzt;
2. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin (Beklagte) gegen § 95 Abs. 2
Satz 1 SGB IX, § 52 Abs. 2 Satz 1 MAVO verstoßen hat, indem sie der
Antragsgegnerin nicht unverzüglich ihre Entscheidung, die sie nach der
stattgefundenen mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht München,
Az.: 19 Ga 181/11 am 8. September 2011 getroffen hat, die Abmahnung von
Frau S am/vom 9. September 2011 auszusprechen, mitgeteilt hat;
3. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin (Beklagte) gegen § 95 Abs. 2
Satz 2 SGB IX verstoßen hat, indem sie das Anhörungsverfahren zur
beabsichtigten Abmahnung von Frau S, medizinisch-technische-radiologische
Assistentin (MTRA) im Krankenhaus B trotz Aussetzung durch die
Antragstellerin mit Schreiben vom 26. August 2011 fortgeführt hat und die
Abmahnung vom 9. September 2011 ausgesprochen hat;
4. festzustellen, dass die Kosten der Beauftragung des Unterzeichners in diesem
Verfahren erforderlich sind.
11 Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, zur
Entscheidung sei ausschließlich die kirchliche Arbeitsgerichtsbarkeit berufen.
12 Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die
Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung zurückgewiesen. Mit der
Rechtsbeschwerde verfolgt diese ihre Anträge weiter. Die Arbeitgeberin beantragt die
Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
13 B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Anträge der
Schwerbehindertenvertretung sind unzulässig. Die angerufene staatliche
Arbeitsgerichtsbarkeit ist zwar entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zur
Entscheidung über die Anträge berufen, soweit die Schwerbehindertenvertretung ihre
Ansprüche auf staatliche Rechtsnormen stützt. Die Anträge erweisen sich jedoch insoweit
aus anderen Gründen als unzulässig. Soweit die Schwerbehindertenvertretung ihre
Ansprüche auf die MAVO stützt, fehlt es bereits am Rechtsschutzbedürfnis für die
Anrufung der staatlichen Gerichte.
14 I. Der Senat hat die rechtliche Existenz der Schwerbehindertenvertretung für die
Rechtsmittel- und Antragsbefugnis in vorliegendem Verfahren als qualifizierte
Sachentscheidungsvoraussetzung zu unterstellen. Er muss deshalb nicht der Frage
nachgehen, welche materiell-rechtlichen Folgen sich daraus ergeben, dass das SGB IX -
jedenfalls ausdrücklich - eine Schwerbehindertenvertretung für Einrichtungen kirchlicher
Arbeitgeber nicht vorsieht, § 52 Abs. 1 MAVO aber von einer „entsprechend den
Vorschriften des SGB IX“ gewählten Vertrauensperson ausgeht.
15 II. Der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten ist im vorliegenden Fall eröffnet, soweit die
Beteiligten um die Anwendung staatlichen Rechts streiten. Soweit dagegen Ansprüche auf
die MAVO gestützt werden, ist die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen
nach § 2 Nr. 2 KAGO gegeben; insoweit sind die Anträge wegen fehlenden
Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
16 1. Einer Rechtswegprüfung durch den Senat stehen § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17a Abs. 5
GVG nicht entgegen. § 17a Abs. 5 GVG bestimmt nur das Verhältnis der verschiedenen
staatlichen Gerichtsbarkeiten untereinander. Das Verhältnis der staatlichen
Gerichtsbarkeit zu den von einer Kirche im Rahmen ihrer Selbstbestimmung errichteten
Kirchengerichten regelt die Vorschrift nicht (vgl. BAG 12. Oktober 2010 - 9 AZR 554/09 -
Rn. 22; BVerwG 28. April 1994 - 2 C 23.92 - zu 2 der Gründe, BVerwGE 95, 379).
17 2. Die Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit folgt nicht bereits aus § 2a
Abs. 1 Nr. 3a ArbGG. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen zwar ausschließlich
zuständig für Angelegenheiten aus den §§ 94, 95, 139 SGB IX. Die Vorschrift regelt aber
ebenfalls nur den Rechtsweg innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit, nicht dagegen die
Zuständigkeit der staatlichen im Verhältnis zur kirchlichen Gerichtsbarkeit.
18 3. Soweit die Schwerbehindertenvertretung ihre Ansprüche auf staatliches Recht stützt,
sind die staatlichen Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung berufen.
19 a) Die staatlichen Gerichte sind für die Entscheidung über sämtliche Ansprüche aus
staatlichem Recht zuständig, während die kirchliche Arbeitsgerichtsbarkeit über
Ansprüche zu entscheiden hat, die sich ausschließlich nach kirchlichem Recht richten.
20 aa) Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Gewährung von Rechtsschutz umfasst alle
Rechtsfragen, deren Beurteilung sich nach staatlichem Recht richtet. Die Pflicht des
Staates zur Justizgewährung hat sowohl gegen als auch zugunsten der Kirchen und
Glaubensgemeinschaften in gleicher Weise wie für und gegen alle Rechtssubjekte auf
dem Staatsgebiet zu gelten, und zwar selbst dann, wenn bei der Anwendung staatlicher
Rechtssätze glaubensgemeinschaftliche Vorfragen zu klären sind. Das
verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Bestimmungsrecht (Art. 140 GG iVm. Art. 137
Abs. 3 WRV), das den Schranken des für alle geltenden Gesetzes unterliegt, bedingt keine
Freistellung von staatlicher Justizhoheit. Die Justizgewährungspflicht hängt weder davon
ab, ob die Kirche oder Glaubensgemeinschaft die Zuständigkeit der staatlichen
Gerichtsbarkeit eigens kirchenrechtlich begründet hat, noch davon, ob der Staat mit einer
ihm ausdrücklich oder stillschweigend „angedienten“ Jurisdiktion ausdrücklich
„einverstanden“ ist. Die staatliche Gerichtsbarkeit kann einer Entscheidung auch nicht
deswegen ausweichen, weil die Rechtsfrage den kirchlich autonomen Bereich, wie etwa
den der Organisations- und Ämterhoheit, betrifft. Denn auch dieser ist nach Art. 140 GG
iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV in die staatliche Rechtsordnung eingebunden. Ob eine zum
Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gehörende Maßnahme oder
Entscheidung mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung vereinbar ist, beurteilt sich nach
staatlichem Recht, für das nur die staatlichen Gerichte zur Entscheidung berufen sind (vgl.
BGH 28. März 2003 - V ZR 261/02 - zu II 1 b der Gründe, BGHZ 154, 306). Geht es um die
Anwendung staatlichen Rechts, müssen die staatlichen Gerichte auch das
entscheidungserhebliche kirchliche Recht anwenden. In diesen Fällen sind die kirchlichen
Gerichte zu einer auch für die staatlichen Gerichte verbindlichen eigenen Auslegung nur
befugt, wenn die Kirche sich eine Vorfragenkompetenz vorbehält (vgl. BAG 11. November
2008 - 1 AZR 646/07 - Rn. 9).
21 bb) Das Rechtsschutzbedürfnis zur Anrufung staatlicher Gerichte kann dagegen fehlen,
wenn es in innerkirchlichen Angelegenheiten ausschließlich um die Anwendung
kirchlichen Rechts geht, für entsprechende Streitigkeiten durch die Anrufung
kircheneigener Gerichte oder Schlichtungsgremien ein Rechtsweg geschaffen und von
ihm ein effektiver Rechtsschutz zu erwarten ist (vgl. BGH 28. März 2003 - V ZR 261/02 -
zu II 3 a der Gründe, BGHZ 154, 306).
22 (1) Die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichtsbarkeit ist eröffnet, soweit es um die
Anwendung kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts geht. Darüber haben die staatlichen
Gerichte nicht zu entscheiden. Dies folgt aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV und
findet seinen einfachgesetzlichen Ausdruck in § 118 Abs. 2 BetrVG, § 112 BPersVG (vgl.
BAG 11. November 2008 - 1 AZR 646/07 - Rn. 9).
23 (2) Das kirchliche Selbstverwaltungsrecht umschließt die Befugnis, Möglichkeiten zu
schaffen, innerkirchliche Streitigkeiten in Einklang mit dem kirchlichen Selbstverständnis
durch die Anrufung eigener Gerichte oder Schlichtungsgremien beizulegen. Indem
Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV den Kirchen und Glaubensgemeinschaften die
selbstständige Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten in den Grenzen der
allgemeinen Gesetze gewährleistet, schränkt die Verfassung zwar nicht die
Justizgewährungspflicht ein, wohl aber den Maßstab der Justiziabilität. Ist ein solcher
Rechtsweg für kirchenrechtliche Bestimmungen geschaffen und von ihm effektiver
Rechtsschutz auch zu erwarten, dürfen staatliche Gerichte nicht - oder jedenfalls nicht vor
Ausschöpfung des kirchlichen Rechtswegs - entscheiden (vgl. BAG 25. April 1989 - 1 ABR
88/87 - zu B 2, 3 der Gründe, BAGE 61, 376; BGH 28. März 2003 - V ZR 261/02 - zu II 3 a
der Gründe, BGHZ 154, 306).
24 cc) Parallele Zuständigkeiten der kirchlichen und der staatlichen Gerichtsbarkeit können
sich ergeben, wenn der Antragsteller ein bestimmtes Rechtsschutzziel sowohl auf eine
kirchliche als auch auf eine staatliche Rechtsgrundlage stützt. Etwas anderes folgt nicht
aus § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG
entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in
Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. In entsprechender Geltung des § 17
Abs. 2 Satz 1 GVG kommt damit den Gerichten für Arbeitssachen ggf. eine
verfahrensüberschreitende Sachentscheidungskompetenz zu, wenn Gegenstand des
Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen
Anspruchs ist (BAG 4. Dezember 2013 - 7 ABR 7/12 - Rn. 47; BGH 27. November 2013 -
III ZB 59/13 - Rn. 14 mwN, BGHZ 199, 159). Die Bestimmungen des § 48 Abs. 1 ArbGG
iVm. §§ 17 bis 17b GVG regeln aber nur das Verhältnis der verschiedenen staatlichen
(fachgerichtlichen) Rechtswege untereinander, nicht dagegen das Verhältnis der
staatlichen Gerichtsbarkeit zu den von einer Kirche im Rahmen ihrer Selbstbestimmung
(Art. 140 GG, Art. 137 WRV) errichteten Kirchengerichten (vgl. zu § 17a Abs. 5 GVG: BAG
12. Oktober 2010 - 9 AZR 554/09 - Rn. 22; BVerwG 28. April 1994 - 2 C 23.92 - zu 2 der
Gründe, BVerwGE 95, 379).
25 b) Hiernach hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidungsbefugnis der staatlichen
Gerichte zu Unrecht verneint, soweit die Schwerbehindertenvertretung ihre Ansprüche auf
staatliches Recht stützt; das betrifft die Anträge zu 1. und 3. sowie teilweise den Antrag
zu 2. Soweit die Schwerbehindertenvertretung ihre Ansprüche auf die MAVO stützt, fehlt
es am Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme der staatlichen
Arbeitsgerichtsbarkeit; das betrifft den Antrag zu 4. sowie teilweise den Antrag zu 2.
26 aa) Den Antrag zu 1., mit dem die Abmahnung der Frau S „mangels ordnungsgemäßer
Unterrichtung der Vertrauensperson und Durchführung des Klärungsverfahrens nach § 84
Abs. 1 SGB IX ausgesetzt“ werden soll, stützt die Schwerbehindertenvertretung auf § 95
Abs. 2 Satz 2 SGB IX. In der kirchlichen MAVO ist auch nicht etwa das gesamte staatliche
Recht der Schwerbehindertenvertretung uneingeschränkt inkorporiert. Die MAVO regelt
das Schwerbehindertenvertretungsrecht in den §§ 28a, 52 MAVO eigenständig und nimmt
dabei staatliches Recht nur punktuell in Bezug. Dieses Regelungskonzept wird durch § 52
Abs. 1 Satz 1 MAVO deutlich. Danach wird die Vertrauensperson „entsprechend“ den
Vorschriften des SGB IX gewählt. Zudem verweist § 52 Abs. 5 Satz 2 MAVO ergänzend
auf die Bestimmungen des SGB IX zu den persönlichen Rechten und Pflichten der
Vertrauensperson. Darin liegt keine generelle, sondern nur eine punktuelle Übernahme
des staatlichen Schwerbehindertenrechts. Mit § 52 Abs. 2 Satz 2 MAVO hat der kirchliche
Gesetzgeber zudem eine gegenüber dem staatlichen Recht in § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX
eigenständige Regelung getroffen. § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX regelt die Möglichkeit, die
Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung nach Satz 1 getroffenen
Entscheidung, die einen schwerbehinderten Menschen betrifft, auszusetzen und die
Beteiligung binnen sieben Tagen nachzuholen. Damit geht die staatliche Regelung, auf
die sich die Schwerbehindertenvertretung beruft, über § 52 Abs. 2 Satz 2 MAVO hinaus,
der lediglich die Aussetzung eines Beschlusses der Mitarbeitervertretung vorsieht. Für den
Antrag zu 1. sind daher die staatlichen Gerichte entscheidungsbefugt.
27 bb) Die staatlichen Gerichte sind auch zur Entscheidung berufen, soweit die
Schwerbehindertenvertretung den Antrag zu 2. auf eine Verletzung von § 95 Abs. 2 Satz 1
SGB IX stützt.
28 cc) Mit dem Antrag zu 3. macht die Schwerbehindertenvertretung einen Verstoß der
Arbeitgeberin gegen § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX geltend. Auch insoweit sind die
staatlichen Gerichte entscheidungsbefugt.
29 dd) Soweit die Schwerbehindertenvertretung den Antrag zu 2. auch auf einen Verstoß
gegen § 52 Abs. 2 Satz 2 MAVO und den Antrag zu 4. auf § 17 Abs. 1 MAVO stützt, fehlt
es dagegen am Rechtsschutzbedürfnis. Die Prüfung der mitarbeitervertretungsrechtlichen
Rechtsgrundlagen hat ausschließlich durch die kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen zu
erfolgen, die nach § 2 Nr. 2 KAGO unter anderem zuständig sind für Rechtsstreitigkeiten
„aus dem Mitarbeitervertretungsrecht“. Dazu gehören auch diejenigen des
Schwerbehindertenvertretungsrechts, soweit dieses Teil der
Mitarbeitervertretungsordnung ist. Die Vertrauensperson vertritt die Interessen der
schwerbehinderten Menschen in dem Betrieb oder der Dienststelle nach Maßgabe der in
§§ 28a, 52 MAVO enthaltenen Regelungen. Sie ist das gewählte Vertretungsorgan der
schwerbehinderten Mitarbeiter/innen des Betriebs.
30 (1) Das von der Arbeitgeberin betriebene Krankenhaus ist eine karitative Einrichtung der
katholischen Kirche, die das Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht nach Art. 140
GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV für sich in Anspruch nehmen kann. Darüber besteht
zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
31 (a) Das kirchliche Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht kommt nicht nur den
Religionsgesellschaften und deren rechtlich selbstständigen Teilen zugute, sondern allen
der verfassten Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht
auf ihre Rechtsform, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer
Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen
und zu erfüllen (vgl. BVerfG 25. März 1980 - 2 BvR 208/76 - [KrankenhausG-NRW]
zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 53, 366; BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 -
Rn. 56, BAGE 143, 354). Die notwendige institutionelle Verbindung liegt vor, wenn die
Kirche über ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten verfügt, um auf Dauer eine
Übereinstimmung der religiösen Betätigung der Einrichtung mit kirchlichen Vorstellungen
gewährleisten zu können (für die Zuordnung zu § 118 Abs. 2 BetrVG: BAG 5. Dezember
2007 - 7 ABR 72/06 - Rn. 32 mwN, BAGE 125, 100). Orden sind Träger des von den
Religionsgesellschaften vermittelten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, da sie
organisatorisch oder institutionell mit Kirchen verbunden sind und ihr Daseinszweck eine
Intensivierung der gesamtkirchlichen Aufgaben enthält (vgl. BVerfG 11. Oktober 1977 -
2 BvR 209/76 - [Betriebsratsarbeit im katholischen Krankenhaus] zu B II 2 a der Gründe,
BVerfGE 46, 73; BAG 10. Dezember 1992 - 2 AZR 271/92 - zu II 3 b bb (3) der Gründe).
32 (b) Das von der Arbeitgeberin betriebene Krankenhaus ist institutionell mit der verfassten
katholischen Kirche verbunden. Die Arbeitgeberin, deren Alleingesellschafterin sowie der
hinter dieser stehende Orden verfolgen das Ziel, ein Stück des Auftrags der Kirche
wahrzunehmen. Unter „Gegenstand des Unternehmens“ heißt es im
Handelsregisterauszug für die Arbeitgeberin ua., gemäß Werk und Leitbildern des Ordens
B sei die vom christlichen Verantwortungsbewusstsein getragene Hilfe für den
notleidenden Menschen Richtschnur des Handelns. Zweck der Gesellschaft sei die
Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der Gesundheitspflege, die
Förderung der Religion und Kirche, von Wissenschaft und Forschung sowie des
Wohlfahrtswesens.
33 (2) Anhaltspunkte dafür, dass der nach § 2 Nr. 2 KAGO eröffnete kirchliche Rechtsweg
keinen effektiven, rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Rechtsschutz
gewährleisten könnte und aus diesem Grund die staatliche Gerichtsbarkeit zur
Entscheidung berufen wäre, sind nicht ersichtlich. Nach § 17 Nr. 1 KAGO sind die Richter
der kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit von Weisungen unabhängig und nur an Gesetz und
Recht gebunden. Rechtliches Gehör wird gewährleistet, §§ 31, 32, 38 KAGO. Über
Beratung und Abstimmung ist Stillschweigen zu wahren, § 42 Nr. 3 KAGO. Nach § 43
Nr. 1 KAGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des
Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind nach
§§ 53, 54 KAGO möglich.
34 III. Soweit das Landesarbeitsgericht die Entscheidungsbefugnis der staatlichen Gerichte
zu Unrecht verneint hat, erweist sich seine die Anträge abweisende Entscheidung aus
anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die Anträge zu 1. und 3. sowie der auf
staatliches Recht gestützte Antrag zu 2. sind unzulässig.
35 1. Der Antrag zu 1. ist nicht hinreichend bestimmt.
36 a) Nach der im Beschlussverfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 253
Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Antragsschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und
des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Das ist
erforderlich, um zu klären, worüber das Gericht entscheidet und wie der objektive Umfang
der Rechtskraft einer Sachentscheidung iSv. § 322 Abs. 1 ZPO ist (vgl. BAG 12. Januar
2011 - 7 ABR 94/09 - Rn. 14 mwN; 4. Dezember 2013 - 7 ABR 7/12 - Rn. 21). Dabei sind
Anträge vom Gericht möglichst so auszulegen, dass sie die vom Antragsteller erkennbar
erstrebte Sachentscheidung zulassen (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 1 ABR 42/08 - Rn. 13
mwN, BAGE 131, 225).
37 b) Diesen Anforderungen genügt der Antrag zu 1. nicht. Das damit verfolgte Begehren, die
Abmahnung „mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung der Vertrauensperson und
Durchführung des Klärungsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX“ auszusetzen, lässt nicht
hinreichend erkennen, welches konkrete Tun oder Unterlassen der Arbeitgeberin
aufgegeben werden oder welche rechtsgestaltende oder feststellende Entscheidung das
Gericht treffen soll. Eine einmal ausgesprochene Abmahnung kann nicht mehr
„ausgesetzt“ werden. Hat der Arbeitgeber eine Maßnahme durchgeführt und - wie hier -
durch den Zugang der Abmahnung bei der Arbeitnehmerin vollzogen, läuft das
Aussetzungsrecht ins Leere (vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 95 Rn. 61; Kleinebrink
FA 2012, 194, 195; Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 95
Rn. 16; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 95 Rn. 26).
38 2. Der Antrag zu 2. genügt - soweit er auf staatliches Recht gestützt wird - nicht den
Erfordernissen des § 256 Abs. 1 ZPO.
39 a) Nach dem im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO
kann die gerichtliche Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses beantragt
werden, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden
alsbaldigen richterlichen Entscheidung hat (vgl. zB BAG 24. April 2007 - 1 ABR 27/06 -
Rn. 15, BAGE 122, 121). Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist jedes durch die
Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche
Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Dabei sind
einzelne Rechte und Pflichten ebenso Rechtsverhältnisse wie die Gesamtheit eines
einheitlichen Schuldverhältnisses. Kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO sind
dagegen abstrakte Rechtsfragen, bloße Elemente eines Rechtsverhältnisses oder
rechtliche Vorfragen. Die Klärung solcher Fragen liefe darauf hinaus, ein Rechtsgutachten
zu erstellen. Das ist den Gerichten verwehrt (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 7 ABR 73/10 -
Rn. 35 mwN, BAGE 140, 277). So ist etwa die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts kein
zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage (vgl. BAG 1. Juli 2009 - 4 AZR 261/08 -
Rn. 21 mwN, BAGE 131, 176; 4. Dezember 2013 - 7 ABR 7/12 - Rn. 18).
40 b) Hiernach ist der Antrag zu 2. nicht auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSv.
§ 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Die Schwerbehindertenvertretung will mit dem Antrag
feststellen lassen, dass die Arbeitgeberin durch ein bestimmtes Verhalten gegen § 95
Abs. 2 Satz 1 SGB IX verstoßen habe. Damit zielt der Antrag auf die Dokumentation einer
in der Vergangenheit liegenden Tatsache und deren rechtliche Bewertung, nicht dagegen
auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses. Im Übrigen ist auch
weder dargetan noch sonst ersichtlich, inwiefern die Schwerbehindertenvertretung ein
berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung hat.
41 3. Auch der Antrag zu 3., mit dem die Feststellung begehrt wird, dass die Arbeitgeberin
gegen § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX verstoßen hat, indem sie das Anhörungsverfahren trotz
Aussetzung der Abmahnung durch die Schwerbehindertenvertretung fortgeführt und die
Abmahnung ausgesprochen habe, ist nicht auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses
iSv. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Im Übrigen fehlt es auch insofern an der erforderlichen
Darlegung des Feststellungsinteresses.
Linsenmaier
Zwanziger
Kiel
Hansen
Auhuber