Urteil des BAG vom 16.04.2014

Eingruppierung der Leiterin einer Kindertagesstätte

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 16.4.2014, 4 AZR 745/13
Eingruppierung der Leiterin einer Kindertagesstätte
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts München vom 18. Juni 2013 - 6 Sa
99/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
2 Die Klägerin ist Sozialpädagogin und seit September 1992 als Leiterin der
Kindertagesstätte L bei der beklagten Stadt, die Mitglied im Kommunalen
Arbeitgeberverband (KAV) Bayern ist, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien
finden die Bestimmungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst für die Beschäftigten
im Sozial- und Erziehungsdienst (TVöD-BT-V) in der Fassung der Vereinigung der
Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Anwendung.
3 Die Klägerin erhielt bis 2009 und erneut ab 2011 ein Entgelt nach der Entgeltgruppe S 15
TVöD-BT-V/VKA. Im Jahr 2010 bezog sie eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 13
TVöD-BT-V/VKA, da in der von ihr geleiteten Kindertagesstätte im Zeitraum Oktober bis
Dezember 2009 nunmehr weniger als 100, nämlich nur noch 91 Kinder - darunter drei mit
Behinderung - betreut worden waren; weitere Kinder waren nicht angemeldet.
4 Eine Integrationsempfehlung der beklagten Stadt - „Planungsschritte zur Aufnahme von
Kindern mit (drohender) Behinderung in Kindertageseinrichtungen der Stadt A“ - sieht eine
gestaffelte Reduzierung der zugrundezulegenden Anzahl der betreuten Kinder aus
therapeutischen und pädagogischen Gründen vor, wenn Kinder mit Behinderung in der
Tageseinrichtung aufgenommen werden, zB bei einer Betreuung von drei bis fünf Kindern
mit Behinderung eine Reduzierung der Kinderzahl um zehn.
5 Nach erfolgloser Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer Klage die Zahlung von -
rechnerisch unstreitigen - monatlichen Vergütungsdifferenzen zwischen den
Entgeltgruppen S 13 und S 15 TVöD-BT-V/VKA für den Zeitraum Januar bis Dezember
2010 begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, entsprechend der Integrationsempfehlung
der beklagten Stadt seien die Betreuungszahlen in der Tageseinrichtung abgesenkt
worden. Nach diesen Vorgaben hätten nur maximal 90 Kinder aufgenommen werden
müssen. Da in der integrativen Kindertagesstätte auch drei Kinder mit Behinderung betreut
würden und bei der Platzvergabe zumindest zwei Plätze einnähmen, seien die
erforderlichen Belegzahlen im Referenzzeitraum des vierten Quartals des Vorjahres nicht
nur zur Qualitätssicherung, sondern auch aus therapeutischen und pädagogischen
Gründen anzupassen. Im Ergebnis sei deshalb von rechnerisch durchschnittlich
mindestens 97,5 belegten Plätzen auszugehen. Zudem habe der Regierungsbezirk S
vorgegeben, pro Kind mit einer Behinderung zusätzlich ein „Zählkind“ zu berechnen, so
dass für dieses Kind drei Plätze zu berücksichtigen und zu berechnen seien.
6 Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.428,80 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach bestimmter zeitlicher
Staffelung zu zahlen.
7 Die beklagte Stadt hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, im
tariflich maßgebenden Referenzzeitraum sei die Durchschnittsbelegung um mehr als fünf
Prozent unterschritten worden. Sie habe die Zahl der aufzunehmenden Kinder nicht
reduziert, vielmehr hätten keine weiteren Anmeldungen mehr vorgelegen. Es liege daher
keine vom Arbeitgeber zu verantwortende Maßnahme zur Qualitätssicherung vor. Die
Betreuung von Kindern mit Behinderung erhöhe nicht die Zahl der belegbaren Plätze im
Tarifsinne. Es finde keine fiktive Mehrfachzählung von Plätzen statt.
8 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hatte im Jahr 2010 keinen Anspruch auf ein
Entgelt nach der Entgeltgruppe S 15 TVöD-BT-V/VKA.
10 I. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst
im Bereich der VKA Anwendung. Dabei richtet sich die Eingruppierung von Beschäftigten
im Sozial- und Erziehungsdienst in einer Kindereinrichtung als unselbständiger Teil der
Gemeindeverwaltung gemäß § 56 TVöD - Besonderer Teil Verwaltung - (TVöD-BT-V)
iVm. der dazugehörigen Anlage (Anlage zum Abschn. VIII Sonderregelungen VKA zu
§ 56) nach den Merkmalen des Anhangs zur „Anlage C (VKA)“. Abweichend von § 15
Abs. 2 TVöD erhalten diese Beschäftigten ein Entgelt nach Anlage C (VKA), in die sie am
1. November 2009 nach den Vorgaben des § 28a TVÜ-VKA übergeleitet worden sind.
Dabei ist, solange der TVöD in den §§ 12 und 13 noch keine eigenen
Eingruppierungsregelungen enthält, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA nach wie vor § 22
BAT anzuwenden (vgl. BAG 12. Dezember 2012 - 4 AZR 199/11 - Rn. 29 mwN;
11. Dezember 2013 - 4 AZR 493/12 - Rn. 12).
11 II. In Anwendung der Eingruppierungsregelungen des TVöD-BT-V/VKA hat die Klägerin
seit dem 1. Januar 2010 keinen Anspruch auf eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 15
TVöD-BT-V/VKA und deshalb auch keinen Anspruch auf die entsprechenden
Vergütungsdifferenzen für die Monate Januar bis Dezember 2010.
12 1. Die einschlägigen Tarifnormen lauten:
S 7
1. Beschäftigte als Leiterinnen/Leiter von
Kindertagesstätten.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 8)
S 13
1. Beschäftigte als Leiterinnen/Leiter von
Kindertagesstätten mit einer
Durchschnittsbelegung von mindestens
70 Plätzen.
(Hierzu Protokollerklärungen
Nrn. 8 und 9)
S 15
1. Beschäftigte als Leiterinnen/Leiter von
Kindertagesstätten mit einer
Durchschnittsbelegung von mindestens 100
Plätzen.
(Hierzu Protokollerklärungen
Nrn. 8 und 9)
Protokollerklärungen:
8. Kindertagesstätten im Sinne dieses
Tarifmerkmals sind Krippen, Kindergärten,
Horte, Kinderbetreuungsstuben,
Kinderhäuser und Kindertageseinrichtungen
der örtlichen Kindererholungsfürsorge.
9. Der Ermittlung der Durchschnittsbelegung
ist für das jeweilige Kalenderjahr
grundsätzlich die Zahl der vom 1. Oktober bis
31. Dezember des vorangegangenen
Kalenderjahres vergebenen, je Tag
gleichzeitig belegbaren Plätze zugrunde zu
legen. Eine Unterschreitung der
maßgeblichen je Tag gleichzeitig
belegbaren Plätze von nicht mehr als 5 v.H.
führt nicht zur Herabgruppierung. Eine
Unterschreitung auf Grund vom Arbeitgeber
verantworteter Maßnahmen (z.B.
Qualitätsverbesserungen) führt ebenfalls
nicht zur Herabgruppierung. Hiervon bleiben
organisatorische Maßnahmen infolge
demografischer Handlungsnotwendigkeiten
unberührt.“
13 2. Die Tätigkeit der Klägerin erfüllte im Jahr 2010 die Voraussetzungen der Entgeltgruppe
S 15 TVöD-BT-V/VKA nicht. Die von ihr geleitete Kindertagesstätte L zählte im
maßgebenden Referenzzeitraum vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2009 auch unter
Berücksichtigung des Abweichungsspielraums nach Nr. 9 Satz 2 der Protokollerklärung
des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA mit einer durchschnittlichen Auslastung von
91 Plätzen nicht mehr zu den Kindertagesstätten iSd. Entgeltgruppe S 15 TVöD-BT-
V/VKA. Nach den tariflichen Vorgaben (zu den Maßstäben der Auslegung des normativen
Teils eines Tarifvertrags vgl. zB BAG 28. Januar 2009 - 4 ABR 92/07 - Rn. 26 mwN,
BAGE 129, 238) ist allein die Anzahl der tatsächlich belegten Plätze maßgebend. Eine
Mehrfachzählung von Kindern bestimmter Gruppen sieht die Tarifregelung nicht vor.
14 a) Nach dem Tarifwortlaut knüpft die Entgeltstaffelung bei der Leitung von
Kindertagesstätten - wozu nach der Protokollerklärung Nr. 8 des Anhangs zur Anlage C
TVöD-BT-V/VKA die Kindertagesstätte in der L ohne Weiteres gehört - ausschließlich an
die Zahl der vergebenen Plätze an, zB für die Entgeltgruppe S 15 TVöD-BT-V/VKA an die
durchschnittliche Belegung von mindestens 100 Plätzen. Zur Ermittlung dieser
Durchschnittsbelegung ist nach der Protokollerklärung Nr. 9 des Anhangs zur Anlage C
TVöD-BT-V/VKA für das jeweilige Kalenderjahr die Zahl der gleichzeitig belegbaren
Plätze im Referenzzeitraum (1. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Jahres)
heranzuziehen. In der Protokollerklärung Nr. 9 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-
V/VKA haben die Tarifvertragsparteien für die Berechnung die „je Tag gleichzeitig
belegbaren Plätze“ zugrunde gelegt. Mit dieser pauschalierten Betrachtungsweise gehen
sie davon aus, dass die Anforderungen an die Leitung einer Kindertagesstätte und damit
die tarifliche Wertigkeit der maßgeblichen Tätigkeit steigen, je mehr Kinder in der
Einrichtung gleichzeitig betreut werden (BAG 12. Dezember 2012 - 4 AZR 199/11 - Rn. 25;
4. April 2001 - 4 AZR 232/00 - BAGE 97, 251; 11. Dezember 2013 - 4 AZR 493/12 -
Rn. 16). Die Tarifregelung schließt damit aber nicht nur eine Doppelzählung der Plätze
aus, die vormittags und nachmittags an andere Kinder vergeben werden, sondern auch
eine fiktive, nicht auf die tatsächlich vergebenen Plätze abstellende Berechnung (BAG
11. Dezember 2013 - 4 AZR 493/12 - Rn. 15 f.; für die Anzahl betreuter Kinder mit
Behinderung vgl. auch BAG 4. April 2001 - 4 AZR 232/00 - zu I 4 a der Gründe, aaO).
15 b) Diese typisierende und pauschalierende tarifliche Regelung verzichtet im Interesse der
Klarheit und Handhabbarkeit der Eingruppierungsregelung darauf, bei der Bestimmung
der maßgebenden durchschnittlichen Belegungszahl noch weitere sonstige Umstände
des Einzelfalls zu berücksichtigen (BAG 11. Dezember 2013 - 4 AZR 493/12 - Rn. 17; vgl.
auch 19. März 2003 - 4 AZR 391/02 - zu I 1 e aa der Gründe, BAGE 105, 291). Weitere
Kriterien, die sich auf die Eingruppierung der Leitung einer Kindertagesstätte auswirken
können, nennt die Tarifnorm nicht (ausf. BAG 11. Dezember 2013 - 4 AZR 493/12 - aaO;
zum Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien BAG 12. Dezember 2012 - 4 AZR
199/11 - Rn. 25; 4. April 2001 - 4 AZR 232/00 - zu I 8 b der Gründe, BAGE 97, 251).
16 c) Entgegen der Auffassung der Revision ändern abweichende Bemessungsmaßstäbe
aus anderen, nichttariflichen Regelungen an dieser Berechnungsmethode nichts.
17 aa) Eine mögliche Doppelzählung aufgrund von kommunalen oder landesgesetzlichen
Regelungen, die - aus pädagogischen oder anderen Gründen - Mindestanforderungen für
eine Personalbemessung einer Kindertagesstätte formulieren und ggf. Kindern unter drei
Jahren (vgl. insoweit BAG 11. Dezember 2013 - 4 AZR 493/12 - Rn. 18) oder Kindern mit
Behinderung - wie die Integrationsempfehlung der beklagten Stadt - doppelt
berücksichtigen, lässt sich nicht auf die tariflichen Bewertungs- und
Berechnungsmaßstäbe übertragen. Die tariflichen Bestimmungen stellen hierauf nicht ab.
18 bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist deshalb auch eine mögliche Anweisung des
Regierungsbezirks S zur Berechnung der Personalbemessung, aufgrund dieser es bei der
Betreuung von behinderten Kindern zu einer andern Zählweise kommt, für die tarifliche
Bewertung und Eingruppierung unerheblich.
19 3. Es liegt auch keine unschädliche Unterschreitung der durchschnittlichen Belegungszahl
iSd. Protokollerklärung Nr. 9 Satz 3 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA vor. Es
fehlt an einer Maßnahme der Beklagten im Sinne der Tarifregelung.
20 a) Nach der Protokollerklärung Nr. 9 Satz 3 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA
führt eine Unterschreitung aufgrund von Arbeitgeber zu verantworteten Maßnahmen (zB
einer „Qualitätsverbesserung“) nicht zu einer Herabgruppierung. Allerdings bleiben nach
Satz 4 der Protokollerklärung Nr. 9 des Anhangs zur Anlage C TVöD-BT-V/VKA hiervon
organisatorische Maßnahmen infolge demografischer Handlungsnotwendigkeiten
unberührt.
21 b) Die Klägerin hat nicht dargetan, dass die Unterschreitung der erforderlichen
Durchschnittsbelegung die Folge einer von der Beklagten zu verantworteten Maßnahme,
insbesondere einer solchen zur Qualitätsverbesserung, ist. Worin eine solche auf eine
Änderung des bestehenden Zustands abzielende und von der Beklagten initiierte
Maßnahme liegen soll, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen. Allein in der
Aufnahme von Kindern mit Behinderungen liegt eine solche Maßnahme nicht.
22 Hinzu kommt, dass im Referenzzeitraum durchschnittlich lediglich 91 Plätze belegt waren
und die Aufnahme von Kindern mit Behinderungen nicht zu einer Ablehnung weiterer
Kinder geführt hat. Auch dies spricht dafür, dass die Beklagte keine konkreten
organisatorischen Maßnahmen getroffen hat, um die (durchschnittlichen)
Belegungszahlen abzusenken.
23 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten ihrer
erfolglosen Revision zu tragen.
Eylert
Creutzfeldt
Treber
Kiefer
Valerie Holsboer