Urteil des BAG vom 15.12.2011

Betriebsübergang - Unterrichtungsschreiben - Widerspruch - Anfechtung

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 15.12.2011, 8 AZR 220/11
Betriebsübergang - Unterrichtungsschreiben - Widerspruch - Anfechtung
Tenor
Die Revision der Beklagten und des Streithelfers zu 1) gegen das Urteil
des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2011 - 18 Sa
1232/10 - wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen,
dass zwischen den Parteien vom 1. September 2008 bis zum 31. Januar
2010 ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis bestand.
Die Kosten der Revision hat die Beklagte, der Streithelfer zu 1) und der
Streithelfer zu 2) haben ihre Kosten selbst zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis
bestand.
2 Der am 21. Januar 1947 geborene Kläger wurde am 1. September 1970 im Werk W
Arbeitnehmer der R AG. Diese war die Rechtsvorgängerin der später insolventen R GmbH
in G und Mitglied im Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen e.V. Auf der
Grundlage des Tarifvertrages Beschäftigungsbrücke vom 31. März 2000 (TV BB) und des
Tarifvertrages zur Altersteilzeit vom 4. Juli 2001 (TV ATZ) schloss der Kläger mit der R AG
einen Altersteilzeitarbeitsvertrag im Blockmodell. Die Arbeitsphase des Klägers dauerte
vom 1. Februar 2004 bis zum 31. Januar 2007. Unter dem 20. November 2006 wies die
R+V Allgemeine Versicherung AG (R+V) in W die R AG darauf hin, dass sie zwar aus
einem Kautionsversicherungsvertrag für Altersteilzeit der R AG ein Bürgschaftslimit in
Höhe von 120.000,00 Euro für die Absicherung der Wertguthaben aus
Altersteilzeitverpflichtungen ihrer Mitarbeiter zur Verfügung gestellt habe, dieses
Bürgschaftslimit jedoch zur Zeit nicht genutzt werde. Die R+V schrieb ausdrücklich, dass
die Arbeitnehmer der R AG erst dann abgesichert seien, wenn die R AG entsprechende
Bürgschaftsaufträge erteilt und dazugehörige Arbeitnehmererklärungen vorgelegt habe.
Solche Aufträge und Erklärungen erfolgten seitens der R AG nicht.
3 Am 1. Februar 2007 begann für den Kläger die Freistellungsphase der Altersteilzeit, die
bis zum 31. Januar 2010 dauern sollte. Nach § 6 TV BB sollte die Abfindung des Klägers
zum Ende seiner Altersteilzeit 5.544,00 Euro betragen. Die monatliche Vergütung des
Klägers in Altersteilzeit betrug zuletzt 1.420,98 Euro.
4 Die Rechtsnachfolgerin der R AG, die R GmbH, unterrichtete unter dem 18. Juli 2008 die
Arbeitnehmer des Produktionsstandorts W mit einem Formschreiben über den
Betriebsübergang auf die Beklagte. Dieses offensichtlich für aktiv Beschäftigte formulierte
Schreiben erhielt auch der Kläger. Die Arbeitnehmer wurden mit diesem Schreiben auch
über ihr Widerspruchsrecht gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die
Beklagte belehrt und darauf hingewiesen, dass im Falle ihres Widerspruchs eine
betriebsbedingte Kündigung unvermeidlich werden könne. Sodann richtete die R GmbH
im August 2008 eine gesonderte Informationsveranstaltung für die Arbeitnehmer aus, die
sich in der Freistellungsphase ihres Altersteilzeitvertrages befanden. Auf dieser
Informationsveranstaltung, an der der Kläger nicht teilnahm, bat der Personalleiter der R
GmbH die Arbeitnehmer in der Freistellungsphase, einen Widerspruch gegen den
Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu erklären. Der weitere Verlauf
dieser Informationsveranstaltung ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger erhielt bis
spätestens 19. August 2008 ein weiteres, undatiertes Schreiben, das sich auf die
Informationsveranstaltung vom 14. August 2008 bezog. Diesem war ein vorformulierter
Widerspruch zum Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte beigefügt. Der
Kläger unterzeichnete und gab den Widerspruch zusammen mit einer ebenfalls
unterschriebenen Erklärung zur Absicherung von Wertguthaben bei Altersteilzeit für die
R+V an die R GmbH zurück.
5 Der Betrieb W ging am 1. September 2008 auf die Beklagte über. Infolge seines
Widerspruchs erhielt der Kläger seine Altersteilzeitvergütung weiterhin von der R GmbH.
Diese füllte am 29. Oktober 2008 einen den Kläger betreffenden Bürgschaftsauftrag an die
R+V aus. Am 22. Dezember 2008 bestätigte die R+V der R GmbH noch einen Avalkredit
aus der Kautionsversicherung über 151.000,00 Euro, begrenzte dieses Angebot jedoch
bis zum 2. Februar 2009 und verlangte weitere Sicherheiten. Unter dem 2. März 2009
kündigte die R+V den Kautionsversicherungsvertrag mit der R GmbH und lehnte die
Annahme ihr bereits vorliegender Bürgschaftsaufträge ab. Am 11. März 2009 verwies die
R+V dazu auf den Insolvenzeröffnungsantrag, der sie zur Kündigung des
Kautionsversicherungsvertrages aus wichtigem Grund berechtige. Nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der R GmbH am 1. Mai 2009 lehnte die R+V am
20. Mai 2009 eine Leistung gegenüber dem Kläger ab, wobei sie darauf verwies, trotz
ihres Schreibens vom 20. November 2006 weder von der R AG noch von der
Insolvenzschuldnerin Aufträge zur Bürgschaftsübernahme bekommen zu haben.
6 Unter dem 28. Juli 2009 hat der Kläger seine Widerspruchserklärung gegenüber der
Beklagten und dem Insolvenzverwalter der R GmbH wegen arglistiger Täuschung
angefochten. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der R GmbH wurde am 21. April
2010 Masseunzulänglichkeit festgestellt.
7 Die Beklagte hatte ihrem Streithelfer zu 1) unter dem 7. Oktober 2009 den Streit verkündet,
dieser ist auf Seiten der Beklagten dem Streit am 1. März 2010 beigetreten. In der
Revisionsinstanz hat der Streithelfer zu 1) dem Streithelfer zu 2) als dem früheren
Geschäftsführer der Beklagten im Zeitpunkt des Betriebsübergangs den Streit verkündet.
Auch der Streithelfer zu 2) ist dem Streit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
8 Der Kläger hat behauptet, auf der Informationsveranstaltung der R GmbH, an der er nicht
teilgenommen hat, sei von Seiten der Personalleitung der nachmaligen
Insolvenzschuldnerin versichert worden, eine Insolvenzsicherung der
Altersteilzeitguthaben bestehe bereits.
9 Er hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass zwischen den Parteien vom 1. September 2008 bis zum
31. Januar 2010 ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis bestand;
2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte als Gesamtschuldnerin an ihn den
Schaden zu zahlen hat, der ihm aufgrund der fehlenden Insolvenzabsicherung
seines Wertguthabens einschl. der nach § 10 des Altersteilzeitvertrages in
Verbindung mit § 6 TV BB geschuldeten Abfindung aus dem
Altersteilzeitvertrag vom 31. Juli 2003 entsteht.
10 Die Beklagte hat ihren Antrag auf Klageabweisung damit begründet, dass der Kläger nicht
arglistig über das Nichtbestehen einer Insolvenzsicherung vor der Erklärung seines
Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses getäuscht worden sei.
Vielmehr sei auf der Informationsveranstaltung vom 14. August 2008 darauf hingewiesen
worden, dass eine solche Absicherung erst noch einzurichten sei. Dies habe der Kläger
danach durch Erkundigungen bei teilnehmenden Arbeitskollegen erfahren. Es gehe im
Übrigen auch aus dem undatierten Informationsschreiben für Arbeitnehmer in der
Freistellungsphase ihrer Altersteilzeit hervor, das dem Kläger nach der
Informationsveranstaltung vom 14. August 2008 und vor seiner Widerspruchserklärung am
19. August 2008 zugegangen sei.
11 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte vor dem
Landesarbeitsgericht Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision
streben die Beklagte und der Streithelfer zu 1) die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils an.
Entscheidungsgründe
12 Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Anfechtung seines
Widerspruchs gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte kann der
Kläger auf den Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) stützen.
13 I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger könne seinen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses
nicht wegen arglistiger Täuschung über das Bestehen einer Insolvenzsicherung
anfechten. In dem undatierten Informationsschreiben an die Arbeitnehmer in der
Freistellungsphase der Altersteilzeit, das der Kläger nach dem 14. August 2008 erhalten
habe, sei nur in Aussicht gestellt worden, dass die Wertguthaben gegen Insolvenz
gesichert werden sollten, nicht, dass dies schon geschehen sei. Es könne offenbleiben, ob
die Beklagte durch den Hinweis auf § 174 BGB die Anfechtung durch den
Prozessbevollmächtigten des Klägers habe zurückweisen wollen und ob dies
unverzüglich geschehen sei. Denn der Widerspruch des Klägers sei nach § 613a Abs. 6
BGB schon deswegen unbeachtlich gewesen, weil er der R GmbH nicht innerhalb eines
Monats nach Zugang der Unterrichtung vom 18. Juli 2008 zugegangen sei. Den
Widerspruch habe der Kläger erst am 19. August 2008 unterzeichnet, der R GmbH sei er
erst danach zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zugegangen. Auch wenn sich der
Zugang des Informationsschreibens vom 18. Juli 2008 nicht mehr taggenau feststellen
lasse, sei der Widerspruch daher nicht mehr fristgerecht erfolgt.
14 Jedoch habe der Kläger mit der R GmbH, die dabei auch stellvertretend für die Beklagte
gehandelt habe, nach dem 19. August 2008 eine Vereinbarung des Inhalts getroffen, dass
das Arbeitsverhältnis nicht von dem Betriebsübergang erfasst werden solle. Dies verstoße
aber gegen § 134 BGB, da § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zwingendes Recht darstelle. Das
Gesetz bestimme, dass der Betriebserwerber der neue Arbeitgeber werde und damit in die
Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses eintrete. Diese Rechtsfolge könne nicht
durch eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten eines Betriebsübergangs und einem
Arbeitnehmer umgangen werden. Dies um so weniger, als auch ein Ausschluss der
Haftung erreicht werden sollte. Zudem sei die Vereinbarung für den Kläger nachteilig, da
seine Entgeltansprüche nicht, wie versprochen, gegen eine Insolvenz abgesichert wurden.
15 II. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis.
16 1. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Beschäftigungsbetrieb des Klägers in
W sei am 1. September 2008 von der nachmaligen Insolvenzschuldnerin auf die Beklagte
übergegangen, ist revisionsrechtlich nicht, auch nicht mit einer Verfahrensrüge,
angegriffen worden. Daher ist diese Feststellung für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2
ZPO).
17 2. Der Kläger hat dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte infolge
dieses Betriebsübergangs durch ein auf den 8. August 2008 zurückdatiertes, ihm von der
R GmbH zur Verfügung gestelltes Formschreiben nach dem 19. August 2008
widersprochen, § 613a Abs. 6 BGB.
18 a) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts erfolgte dieser Widerspruch nicht
außerhalb der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB.
19 aa) Das Landesarbeitsgericht hat schon nicht genaue Feststellungen dazu getroffen, wann
dem Kläger das erste, auf den 18. Juli 2008 datierte Informationsschreiben zugegangen
und wann der am oder nach dem 19. August 2008 unterzeichnete Widerspruch des
Klägers bei der R GmbH eingegangen ist.
20 bb) Die Frist für den Widerspruch des Klägers begann nicht mit Zugang der auf den
18. Juli 2008 datierten Unterrichtung über den Betriebsübergang zu laufen. Diese
Unterrichtung entsprach im Falle des Klägers nicht den Anforderungen des § 613a Abs. 5
BGB. Eine unvollständige oder fehlerhafte Unterrichtung iSd. § 613a Abs. 5 BGB löst den
Beginn der Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 BGB nicht aus (st. Rspr., vgl. BAG
24. Februar 2011 - 8 AZR 699/09 - Rn. 21 mwN).
21 (1) Das Unterrichtungsschreiben vom 18. Juli 2008 war gegenüber dem in der
Freistellungsphase seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses befindlichen Kläger schon
deswegen unzutreffend, weil es ersichtlich an die noch im aktiven Arbeitsverhältnis
stehenden Arbeitnehmer des Betriebs W gerichtet und auf diese inhaltlich ausgerichtet
war. Diese wurden zwar auf ihr Widerspruchsrecht hingewiesen, zugleich jedoch darüber
belehrt, dass im Falle ihres Widerspruchs eine betriebsbedingte Kündigung des
Arbeitsverhältnisses durch die R GmbH „unvermeidlich werden“ könne. Für den Kläger
sollte dies jedoch gerade nicht gelten, wie die R GmbH in ihrem zweiten
Informationsschreiben an den Kläger ausdrücklich betont hat. Die Altersteilzeit-
Arbeitnehmer in der Freistellungsphase sollten vielmehr gerade einen Widerspruch gegen
den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses erklären, ohne von Seiten der R GmbH eine
betriebsbedingte Kündigung befürchten zu müssen.
22 (2) Es kann dahinstehen, ob dieses zweite Informationsschreiben an den Kläger
seinerseits fehlerfrei war. Der Kläger hat nur wenige Tage nach Erhalt dieses Schreibens
seinen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses mit dem von der R
GmbH zur Verfügung gestellten Formschreiben erklärt. Selbst wenn also das zweite an
den Kläger gerichtete, undatierte Informationsschreiben die Monatsfrist des § 613a Abs. 6
Satz 1 BGB ausgelöst haben sollte, ist der Widerspruch des Klägers binnen dieser Frist
erfolgt. Er war somit zunächst wirksam.
23 b) Auf die vom Landesarbeitsgericht angenommene, wohl konkludente „Vereinbarung“
zwischen der R GmbH, stellvertretend auch für die Beklagte handelnd, und dem Kläger
kommt es somit nicht an. Allerdings hält es der Senat grundsätzlich nicht für
ausgeschlossen, dass die Wirkungen eines einseitig vom Arbeitnehmer erklärten
Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB auch durch eine einvernehmliche Vereinbarung
zwischen allen Beteiligten herbeigeführt werden können.
24 3. Die Erklärung seines Widerspruchs hat der Kläger gegenüber der R GmbH als der
Erklärungsempfängerin wirksam angefochten. Der Kläger konnte sich auf den
Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung berufen, § 123 Abs. 1 BGB. Infolge der
wirksamen Anfechtung ist sein Widerspruch als von Anfang an nichtig anzusehen, § 142
Abs. 1 BGB.
25 a) Das Landesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, ein solcher Anfechtungsgrund stehe
dem Kläger nicht zur Verfügung, da in dem undatierten Informationsschreiben an die
Arbeitnehmer in Altersteilzeit nicht darüber getäuscht worden sei, dass eine
Insolvenzsicherung ihrer Wertguthaben bereits bestehe. Das Schreiben sei dahin gehend
auszulegen, dass eine solche Insolvenzsicherung erst noch in der Zukunft erfolgen werde.
26 b) An diese Auslegung ist der Senat nicht gebunden. Die Auslegung von
Willenserklärungen ist zwar grundsätzlich Sache der Tatsachengerichte. Die von ihnen
vorgenommene Auslegung ist aber in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar,
wenn es sich wie vorliegend um die Auslegung eines Formschreibens handelt, hier also
des undatierten Informationsschreibens nach dem 14. August 2008 an die Arbeitnehmer in
der Freistellungsphase ihrer Altersteilzeit (vgl. BAG 18. November 2004 - 6 AZR 80/04 -
Rn. 15 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Deutsche Bahn Nr. 23).
27 c) In dem undatierten Informationsschreiben ließ die R GmbH formulieren:
„Zusätzlich wird Ihr Entgeltanspruch gegen Insolvenz durch die R abgesichert.
Dazu müssen Sie eine Erklärung für die Versicherung abgeben.“
28 Damit hat die informierende R GmbH selbst die Frage der Insolvenzsicherung als einen
Umstand hervorgehoben, der für die Willensbildung des Klägers von ausschlaggebender
Bedeutung ist. Daher traf sie die Pflicht, ungefragt über den Stand der Insolvenzsicherung
Auskunft zu geben (vgl. BGH 28. April 1971 - VIII 258/69 - NJW 1971, 1795).
29 aa) Die informierende Betriebsveräußerin stellte die Insolvenzsicherung als etwas
„Zusätzliches“ dar, was im Gegenzug zur Abgabe der Widerspruchserklärung erfolge.
Jedoch bestand nach § 8a AltTZG von Gesetzes wegen seit der zweiten Jahreshälfte
2004 eine Pflicht der R GmbH, das Wertguthaben ab der ersten Gutschrift in geeigneter
Weise gegen das Risiko der Zahlungsunfähigkeit abzusichern (§ 8a Abs. 1 Satz 1
AltTZG). Dies wird ebenso verschwiegen wie die weitere Pflicht der R GmbH, einen
Nachweis nach § 8a Abs. 3 AltTZG zu führen und das Recht der Arbeitnehmer, Sicherheit
nach § 8a Abs. 4 AltTZG zu verlangen. Statt eines Hinweises auf die gesetzliche Pflicht
zur Insolvenzsicherung wird diese als zusätzliche Leistung im Zusammenhang mit der
gewünschten Widerspruchserklärung des Klägers dargestellt. Dies ist eine Täuschung
durch Verschweigen.
30 bb) Mit der Formulierung, der Entgeltanspruch des Klägers „wird … abgesichert“ wird
weiter der Eindruck geweckt, die R GmbH betreibe im Zeitpunkt des
Informationsschreibens alles, um das Wertguthaben abzusichern. Im Zeitpunkt dieser
Aussage traf jedoch das Gegenteil zu, da die R AG von der R+V am 20. November 2006
vergeblich darauf hingewiesen worden war, dass es zur Absicherung der Wertguthaben
neben dem zugesagten Avalkredit noch konkreter Bürgschaftsaufträge bezüglich der
einzelnen Arbeitnehmer bedürfe. Solche hatten jedoch bis zum Informationsschreiben
weder die R AG noch die R GmbH erteilt. Nach Erhalt des erbetenen Widerspruchs des
Klägers geschah dies nicht unverzüglich, vielmehr wurde erst am 29. Oktober 2008 ein
entsprechender Bürgschaftsauftrag an die R+V ausgefüllt.
31 cc) Durch den Hinweis, „dazu“ müsse der Kläger eine Erklärung für die Versicherung
abgeben, wird der unzutreffende Eindruck erweckt, dies sei der allein noch fehlende
Baustein zu einer ansonsten fertig vorbereiteten Insolvenzsicherung. Der Kläger wurde
nicht darüber informiert, dass seine Arbeitgeberin die gesetzliche Sicherungs- und
Nachweispflicht verletzt hatte, dass die als Bürgin vorgesehene Versicherung einen den
Kläger betreffenden Bürgschaftsauftrag nicht erhalten hatte und dass es noch der
Annahme eines solchen Auftrags durch die R+V bedurfte. Diese Fehlinformation geschah
wider besseres Wissen und erkennbar in der Absicht, den Kläger im Unklaren zu lassen,
um ihn zum Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu bewegen.
Dies erfüllt die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung iSd. § 123 Abs. 1 BGB (vgl.
BAG 13. Februar 2007 - 9 AZR 207/06 - BAGE 121, 182 = AP BGB § 823 Nr. 19 = EzA
BGB 2002 § 823 Nr. 8; 13. Februar 2007 - 9 AZR 106/06 - AP BGB § 611 Haftung des
Arbeitgebers Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 7).
32 d) Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe beim Widerspruch durch Gespräche
mit Kollegen gewusst, dass eine Insolvenzsicherung noch nicht bestehe, ist unerheblich.
Nur wenn der Kläger bei Abgabe des Widerspruchs die wahren Sachverhalte, über die er
getäuscht wurde, gekannt hätte, stünde die Kausalität der Täuschung in Frage. Dazu gibt
es im Vortrag der Beklagten wie im gesamten Akteninhalt keine Anhaltspunkte.
33 e) Durch das Anwaltsschreiben vom 17. August 2009 als Reaktion auf die Anfechtung des
Klägers vom 28. Juli 2009 hat die Beklagte die Anfechtung nicht wegen fehlender
vorgelegter Vollmachtsurkunde zurückweisen lassen.
34 aa) Nach § 174 Satz 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten -
hier also die Anfechtung durch den Anwalt des Klägers - unwirksam, wenn der Anwalt
eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere, also die Beklagte oder deren
Anwälte, das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist.
35 bb) Ob die Reaktion der Beklagten vom 17. August 2009 noch „unverzüglich“ iSd. § 174
Satz 1 BGB war, kann dahinstehen. Jedenfalls hat die Beklagte die Anfechtung nicht „aus
diesem Grunde“ zurückgewiesen. Mit Hinweis auf § 174 BGB haben die Anwälte der
Beklagten nur um die Nachreichung einer Vollmacht im Original „der guten Ordnung
halber“ gebeten. Die „Zurückweisung“ der Anfechtung erfolgte jedoch aufgrund der
Rechtsauffassung der Beklagten, die Anfechtung habe gegenüber der R GmbH zu
erfolgen und sei allein dieser gegenüber wirksam. Dies stellt keine Zurückweisung wegen
fehlender Vollmachtsurkunde nach § 174 Satz 1 BGB dar.
36 4. Die wirksame Anfechtung des Widerspruchs beseitigt seine Wirkungen nicht nur
gegenüber der Insolvenzschuldnerin als Erklärungsempfängerin, sondern auch gegenüber
der Beklagten, so wie der Widerspruch gegenüber dem Betriebsveräußerer auch für die
Beklagte als Betriebserwerberin Wirkung hatte, § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB. Dass der
Kläger die Anfechtung auch gegenüber der Beklagten, die nicht selbst getäuscht hatte,
erklärt hatte, ist rechtlich unbeachtlich. Infolge des wirksam angefochtenen Widerspruchs
des Klägers ist sein Arbeitsverhältnis zum 1. September 2008 auf die Beklagte
übergegangen. Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis in der Freistellungsphase hat erst am
31. Januar 2010 sein Ende gefunden.
37 III. Die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels hat die Beklagte zu tragen, § 97 ZPO. Da
die Beklagte als Hauptpartei unterlegen ist, haben die Streithelfer nur ihre eigenen Kosten
zu tragen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 67. Aufl. § 101 Rn. 20).
Hauck
Böck
Breinlinger
Brückmann
Hermann