Urteil des BAG vom 13.11.2013

Sonderzahlung - "Mischcharakter"

Siehe auch:
Pressemitteilung Nr. 69/13 vom 13.11.2013
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.11.2013, 10 AZR 848/12
Sonderzahlung - "Mischcharakter"
Leitsätze
Eine Sonderzahlung, die auch Gegenleistung für im gesamten Kalenderjahr laufend erbrachte
Arbeit darstellt, kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht vom Bestand des
Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des betreffenden Jahres abhängig gemacht werden.
Tenor
I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. April
2012 - 7 Sa 1232/11 - aufgehoben, soweit es die
Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 2011
- 2 Ca 7935/10 - hinsichtlich des Antrags zu 1.
zurückgewiesen hat.
II. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des
Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 2011
- 2 Ca 7935/11 - teilweise abgeändert und zur
Klarstellung wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den
Kläger 2.299,50 Euro brutto nebst
Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 1. Dezember
2010 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen.
III. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu
tragen. Die Kosten der ersten und der zweiten
Instanz hat die Beklagte jeweils zu 2/5 und der
Kläger jeweils zu 3/5 zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Sonderzahlung für das Jahr 2010.
2 Der Kläger war nach seiner bei der Beklagten absolvierten Berufsausbildung ab Januar
2006 als Controller auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags von Dezember
2005 beschäftigt.
3 Der Arbeitsvertrag enthielt unter § 3 (Bezüge) ua. folgende Regelung:
„2. Die Zahlung von Gratifikationen und
sonstigen Leistungen liegt im freien
Ermessen des Verlages und begründet
keinen Rechtsanspruch, auch wenn die
Zahlung wiederholt ohne ausdrücklichen
Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgte. Etwas
anderes gilt nur dann, wenn die Zahlung
durch gültigen Tarifvertrag geregelt ist.“
4 Gemäß § 11 des Arbeitsvertrags fanden die Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel
in Hessen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Der Manteltarifvertrag für den Groß- und
Außenhandel Hessen vom 4. Juli 1997 (MTV) ist ausweislich des vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlichten Verzeichnisses der für
allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge (Stand 1. Oktober 2013) ab dem 1. Januar
1997 allgemeinverbindlich mit einer hier nicht interessierenden Einschränkung.
5 Im MTV findet sich unter § 14 (Sonderzahlungen) folgende Regelung:
„1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die am 1.12. eines Kalenderjahres dem
Betrieb/Unternehmen/Konzern ununterbrochen mindestens 12 Monate
angehören, haben kalenderjährlich einen Anspruch auf eine Sonderzahlung
in folgender Höhe:
1997
1998
1999
2000
1115,-
1130,-
1145,-
1160,- [DM]
3. Wird das Arbeitsverhältnis aufgrund grob treuwidrigen Verhaltens oder
Vertragsbruches des Arbeitnehmers beendet, so entfällt der Anspruch auf die
tarifliche Sonderzahlung. Gegebenenfalls für das laufende Kalenderjahr
gewährte Sonderzahlungen sind als Vorschuss zurückzuzahlen.
4. Die im laufenden Kalenderjahr erbrachten Sonderzahlungen des
Arbeitgebers, wie Jahresabschlussvergütungen, Weihnachtsgeld,
Gratifikationen, Jahresergebnisbeteiligungen, Jahresprämien und ähnliches,
gelten als Sonderzahlungen im Sinne dieser Vereinbarung und erfüllen den
tariflichen Anspruch, soweit sie zusammengerechnet die Höhe der tariflich
zu erbringenden Leistungen erreichen.
5. Wenn dem Anspruchsberechtigten in dem Kalenderjahr keine Ansprüche auf
Entgelt oder Zuschüsse zum Krankengeld gemäß § 15 Ziffer 2 - 4 oder zum
Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Mutterschutzgesetz zustehen, entfällt der
Anspruch auf die nach Ziffer 1 garantierte Sonderzahlung. Wenn nur für
einen Teil des Kalenderjahres derartige Ansprüche bestehen, ermäßigt sich
der Anspruch auf die Sonderzahlung für jeden Kalendermonat ohne
derartige Ansprüche um ein Zwölftel.
6. Arbeitnehmer, die vor dem Stichtag 1.12. wegen Erwerbs- oder
Berufsunfähigkeit oder Erreichung der Altersgrenze aus dem Betrieb
ausscheiden, erhalten eine anteilige Leistung.
…“
6 Der Kläger erhielt jährlich mit dem Novembergehalt eine jeweils als Gratifikation, ab dem
Jahr 2007 zusätzlich auch als Weihnachtsgratifikation bezeichnete Sonderzahlung in
Höhe des jeweiligen Novemberentgelts. Hierzu übersandte die Beklagte jeweils im Herbst
ein Schreiben an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in dem sie „Richtlinien“ für die
Auszahlung der Gratifikation aufführte, die im Wesentlichen unverändert blieben.
7 Im Schreiben vom 30. September 2010 hieß es ua.:
„Als Dank für Ihren bisherigen persönlichen Einsatz in diesem Jahr und zugleich als
ein Stück Motivation für eine weiterhin loyale und wirkungsvolle Zusammenarbeit
zahlen wir Ihnen eine Weihnachtsgratifikation aus, deren Höhe im Vergleich zum
letzten Jahr unverändert bleibt. Sie wird mit dem November-Gehalt 2010
abgerechnet und auf die Konten überwiesen.
Die Gratifikation wird nach folgenden Richtlinien ermittelt:
1. Die Zahlung erfolgt an Verlagsangehörige, die sich am 31.12.2010 in einem
ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden.
2. Die Gratifikation beträgt 100 % des November-Bruttogehaltes/-lohnes bzw. der
Ausbildungsvergütung, wenn das Arbeitsverhältnis seit 01.01.2010 besteht
und keine unbezahlten Arbeitsbefreiungen zu verzeichnen sind. Bei
Arbeitszeitveränderungen im Laufe des Jahres errechnet sich die Gratifikation
anteilig.
3. Verlagsangehörige, die nach dem 01.01.2010 eingetreten sind oder eine
unbezahlte Arbeitsbefreiung aufweisen, erhalten für jeden Kalendermonat des
bestehenden Arbeitsverhältnisses bzw. der bezahlten Arbeitsleistung 1/12
des Bruttomonatsgehaltes/-lohnes.
Dabei wird ein angefangener Monat als voller Monat gerechnet, wenn die
Betriebszugehörigkeit/bezahlte Arbeitsleistung 15 Kalendertage übersteigt.
Auszubildende erhalten in jedem Fall 100 % der Ausbildungsvergütung.
4. Tariflich zu zahlende Jahresleistungen werden auf diese Zahlungen
angerechnet.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Zahlung der Weihnachtsgratifikation
eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistung des Verlages ist. Auf diese besteht
für die Zukunft auch durch wiederholte Zahlung kein Rechtsanspruch.“
8 Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund einer vom Kläger ausgesprochenen
Kündigung am 30. September 2010.
9 Mit der Klage hat der Kläger - soweit noch von Interesse - unter Berufung auf die
Richtlinien Zahlung der anteiligen (9/12 eines Monatsgehalts) Sonderzahlung für das Jahr
2010 verlangt. Er hat gemeint, sein Anspruch ergebe sich aus der Gesamtzusage vom
30. September 2010. Diese stelle gegenüber § 14 MTV eine eigene Rechtsgrundlage für
seinen Anspruch dar. Die Stichtagsregelung in der Zusage sei unwirksam. Es handele
sich um eine die Kündigung der Arbeitnehmer erschwerende Bedingung. Die Regelung
sei sowohl in sich als auch gegenüber der tarifvertraglichen Stichtagsregelung
widersprüchlich.
10 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.299,50 Euro brutto
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2010 zu zahlen.
11 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe das Schreiben vom
30. September 2010 nicht erhalten. Im Übrigen erfülle er wegen seines Ausscheidens zum
30. September 2010 weder die Voraussetzungen der tarifvertraglichen Regelung noch die
der Richtlinien. Die dort geregelte Anforderung, dass am 31. Dezember 2010 noch ein
ungekündigtes Arbeitsverhältnis bestanden haben müsse, sei wirksam.
12 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
13 Die Revision hat Erfolg. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die von ihm
begehrte Zahlung in Höhe von 9/12 eines Monatsgehalts (zu I). Grundlage des Anspruchs
ist die von der Beklagten in Gestalt der Richtlinien erteilte Gesamtzusage für das Jahr
2010 (zu I 1). Bei der in den Richtlinien vorgesehenen Leistung handelt es sich um eine
Sonderzahlung, die sowohl Gegenleistung für erbrachte Arbeit ist als auch Anreiz zu
künftiger Betriebstreue des Arbeitnehmers sein soll („Mischcharakter“, zu I 2). Die in den
Richtlinien vorgesehene Klausel, nach der am 31. Dezember des Bezugsjahres ein
ungekündigtes Arbeitsverhältnis bestehen muss, ist unwirksam. Sie kann nicht in dem
Sinne teilweise aufrechterhalten werden, dass sie lediglich den Bestand des
Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember verlangt (zu I 3). Im Übrigen kann eine
Sonderzahlung, die jedenfalls auch Gegenleistung für laufend erbrachte Arbeitsleistung
darstellt, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht vom Bestand des
Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des Jahres abhängig gemacht werden, in dem die
Arbeitsleistung erbracht wurde (zu I 4). Der im Arbeitsvertrag enthaltene
Freiwilligkeitsvorbehalt steht dem Anspruch nicht entgegen (zu I 5).
14 I. Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht der von ihm erhobene und der Höhe nach
außer Streit stehende Anspruch zu.
15 1. Rechtsgrundlage des Anspruchs ist die von der Beklagten am 30. September 2010
erteilte Gesamtzusage.
16 a) Eine Gesamtzusage liegt vor, wenn ein Arbeitgeber einseitig bekannt gibt, dass er
jedem Arbeitnehmer, der die von ihm abstrakt festgelegten Voraussetzungen erfüllt, eine
bestimmte Leistung gewährt. Der Arbeitnehmer erwirbt einen einzelvertraglichen Anspruch
auf diese Leistung, wenn er die vom Arbeitgeber genannten Anspruchsvoraussetzungen
erfüllt, ohne dass es einer gesonderten Erklärung der Annahme des in der Zusage
enthaltenen Angebots bedarf. Gesamtzusagen werden bereits dann wirksam, wenn sie
gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart werden, die den einzelnen
Arbeitnehmer typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen
(BAG 13. Dezember 2011 - 3 AZR 852/09 - Rn. 17).
17 b) Diesen Anforderungen entsprachen die Richtlinien der Beklagten. Davon ist das
Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Die Richtlinien richteten sich an alle
Arbeitnehmer der Beklagten und legten die rechtlichen Regeln fest, nach denen
Zahlungsansprüche der Arbeitnehmer gegen die Beklagte begründet werden sollten. Auf
die Frage, wie die Richtlinien dem Kläger im Jahr 2010 zugegangen sind, kommt es nicht
an, weil das Zustandekommen eines vertraglichen Anspruchs aufgrund einer
Gesamtzusage nicht vom konkret nachgewiesenen Zugang der Zusage an den einzelnen
Arbeitnehmer abhängig ist (BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 385/05 - Rn. 31, BAGE 118, 360).
18 2. Nach den Richtlinien dient die Sonderzahlung einerseits der Vergütung erbrachter
Arbeitsleistung, andererseits auch dem Anreiz zur Betriebstreue. Anspruchsvoraussetzung
soll der ungekündigte Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2010 sein. Dies
ergibt die Auslegung der Richtlinien, die ein an eine Vielzahl von Arbeitnehmern
gerichtetes Vertragsangebot iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen (vgl. BAG
29. September 2010 - 3 AZR 557/08 - Rn. 24 ff., BAGE 135, 334) und den für Allgemeine
Geschäftsbedingungen geltenden Regeln unterliegen.
19 a) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen
Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern
unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden
werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des
durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt
für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung
Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht
eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus
Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen
ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden
muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in
Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten (st. Rspr.,
zB BAG 20. März 2013 - 10 AZR 636/11 - Rn. 20).
20 b) Die Richtlinien gewähren dem Arbeitnehmer die Sonderzahlung einerseits als
Gegenleistung für erbrachte Arbeit. Es handelt sich nicht um eine reine Gratifikation, deren
Zweck allein in der Zuwendung von Geld aus Anlass des Weihnachtsfestes läge. Zwar
könnte die in den Richtlinien verwendete Bezeichnung „Weihnachtsgratifikation“ in diese
Richtung weisen. Jedoch soll die Zahlung ausdrücklich auch „Dank für ... persönlichen
Einsatz“ sein. Außerdem zeigen die Anspruchsvoraussetzungen in Ziff. 2 und Ziff. 3, dass
die Zahlung jedenfalls auch eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit darstellt. Die Zahlung
knüpft nicht an das bloße Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr an. Sie ist
abhängig davon, dass entweder Arbeitsleistung erbracht wurde oder doch keine
unbezahlten Arbeitsbefreiungen vorlagen. Wie aus Ziff. 3 hervorgeht, erhalten unterjährig
eintretende Mitarbeiter und solche mit einer unbezahlten Arbeitsbefreiung eine anteilige
Sonderzahlung, und zwar entsprechend der Anzahl der Monate, in denen sie gearbeitet
haben.
21 c) Andererseits verlangen die Richtlinien Betriebstreue über das Bezugsjahr hinaus. Die
Stichtagsklausel benennt zwar den letzten Tag des Bezugsjahres als den Tag, an dem
das Arbeitsverhältnis noch bestehen muss. Damit liegt der Stichtag für den Bestand des
Arbeitsverhältnisses aber nur scheinbar innerhalb des Jahres, in dem die Arbeitsleistung,
die mit der Sonderzahlung entgolten wird, erbracht wird. In Wahrheit macht die Klausel
entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts den Anspruch auf die Sonderzahlung
in aller Regel vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über das Jahr 2010 hinaus
abhängig. Dies wird dadurch bewirkt, dass nach der Klausel das Arbeitsverhältnis am
31. Dezember „ungekündigt“ bestehen muss. Ein Arbeitnehmer, der sich den Anspruch
erhalten will, darf demnach frühestens am 1. Januar des Folgejahres kündigen. Jede
Kündigung vor dem 1. Januar 2011 soll dem Anspruch entgegenstehen. Dies kann den
Arbeitnehmer, je nach Dauer der Kündigungsfrist, zum Verbleib im Arbeitsverhältnis bis
weit in das Folgejahr hinaus zwingen. Entsprechendes gilt für Arbeitgeberkündigungen.
Keine über das Jahr 2010 hinausgehende Bindung wurde als Anspruchsvoraussetzung
nur für die Fälle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses am oder zum 31. Dezember
2010 ohne Ausspruch einer Kündigung verlangt, was insbesondere bei Befristung,
Aufhebungsvertrag oder Betriebsübergang in Betracht kommt.
22 3. Mit diesem Inhalt hält die Stichtagsregelung der Inhaltskontrolle nicht stand. Sie ist
insgesamt unwirksam mit der Folge, dass die Richtlinien ohne die Stichtagsklausel gelten
(§ 306 Abs. 1 BGB).
23 a) Eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung
darstellt, kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vom ungekündigten Bestand
des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Jahres abhängig gemacht
werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Eine derartige Klausel benachteiligt
den Arbeitnehmer unangemessen iSd. § 307 Abs. 1 BGB (vgl. ausführlich BAG 18. Januar
2012 - 10 AZR 612/10 - BAGE 140, 231). Wie ausgeführt, erstreckt sich die hier durch die
Stichtagsklausel vermittelte Bindung des Arbeitnehmers auf einen Zeitraum außerhalb des
Bezugsjahres. Daran ändern auch die erwähnten, in der Klausel aber nicht genannten
Fallgestaltungen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung nichts.
24 b) Die Klausel kann nicht mit dem Inhalt aufrechterhalten werden, dass die Entstehung des
Anspruchs auf die Sonderzahlung lediglich den - sei es auch gekündigten - Bestand des
Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember voraussetzt. Die Klausel ist nicht teilbar.
25 aa) Handelt es sich um eine teilbare Klausel, ist die Inhaltskontrolle jeweils für die
verschiedenen, nur formal verbundenen Bestimmungen vorzunehmen (BAG 11. April 2006
- 9 AZR 610/05 - Rn. 32, BAGE 118, 36). Maßgeblich ist, ob die Klausel mehrere sachliche
Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abtrennbar ist. Ist die
verbleibende Regelung weiterhin verständlich, bleibt sie bestehen. Die Teilbarkeit einer
Klausel ist durch Streichung des unwirksamen Teils zu ermitteln (vgl. BAG 14. September
2011 - 10 AZR 526/10 - Rn. 27, BAGE 139, 156).
26 bb) Der Senat hat für eine ähnlich lautende Klausel die Teilbarkeit bejaht (BAG 6. Mai
2009 - 10 AZR 443/08 - Rn. 11). Er hat angenommen, eine derartige Klausel sei sprachlich
abtrennbar; bei Streichung des Wortes „unkündbar“ bleibe als verständliche Regelung
immer noch die Bestimmung eines Stichtags übrig (kritisch ErfK/Preis 14. Aufl. §§ 305 -
310 BGB Rn. 103a; wohl zweifelnd Lüders GwR 2009, 206; differenzierend Salamon
NZA 2010, 314 ff., 317).
27 cc) Daran hält der Senat nicht fest. Die sprachliche Teilbarkeit einer Klausel ist nur ein
Indiz für die - entscheidende - inhaltliche Teilbarkeit (ErfK/Preis §§ 305 - 310 BGB
Rn. 103). Die hier fragliche Regelung verfolgt mit dem Zusammenspiel von Bestand und
besonderer Qualität („ungekündigt“) des Arbeitsverhältnisses als Anspruchsvoraussetzung
ein Zielbündel von Betriebstreue und Motivation des Arbeitnehmers, das sich nicht
sinnvoll aufspalten lässt. Es geht nicht um mehrere unterschiedliche sachliche
Regelungen der Beklagten, die unabhängig voneinander beurteilt werden könnten.
Vielmehr verlangt die Klausel das Bestehen des Arbeitsverhältnisses am Ende des
Bezugszeitraums gerade mit der Besonderheit, es dürfe weder der Arbeitnehmer noch der
Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt haben; damit geht eine Erweiterung der
Bestandsvoraussetzung einher, die sich im Einzelfall unterschiedlich auswirkt. Für den
Arbeitnehmer stellt sie sich als Obliegenheit dar, auf eine Eigenkündigung zu verzichten,
was als Einforderung einer weiteren Betriebstreue verstanden werden kann; im Fall der
Arbeitgeberkündigung geht es eher um das Interesse des Arbeitgebers, einem
Arbeitnehmer, der in absehbarer Zeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, keine auch
der Motivation für die künftige Arbeit dienende Sonderzahlung mehr leisten zu wollen.
Diese durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmten
Anspruchsvoraussetzungen hängen so eng miteinander zusammen, dass es auf eine im
Rahmen von § 306 BGB unzulässige Neubestimmung des Vertragsinhalts hinauslaufen
würde, wollte man aus Ziff. 1 der Richtlinien das Wort „ungekündigt“ herausstreichen.
28 4. Im Übrigen kann eine Sonderzahlung, die (auch) Vergütung für bereits erbrachte
Arbeitsleistung darstellt, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht vom
Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des Jahres abhängig gemacht
werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Die Klausel benachteiligt den
Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unzulässig.
29 a) Der Senat hat die Unzulässigkeit eines Stichtags außerhalb des Bezugszeitraums
damit begründet, dass die Stichtagsklausel im Widerspruch zum Grundgedanken des
§ 611 Abs. 1 BGB stehe, indem sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entziehe.
Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Lohn für geleistete Arbeit
gegebenenfalls vorenthalten zu können, sei nicht ersichtlich (BAG 18. Januar 2012 -
10 AZR 612/10 - BAGE 140, 231; zustimmend ErfK/Preis § 611 BGB Rn. 534a - 534f;
Bartholomä BB 2012, 2250; Schmitt-Rolfes AuA 2012, 455; Reinecke BB 2013, 437; Beitz
SAE 2013, 17; ablehnend: jurisPK-BGB/Lapp/Salamon 6. Aufl. § 310 Rn. 104; vgl. auch
Salamon NZA 2011, 1328). Diese Überlegungen gelten auch dann, wenn der Stichtag
innerhalb des Bezugsjahres liegt und die Sonderzahlung - auch - Arbeitsleistung abgelten
soll, die in dem Zeitraum vor dem Stichtag erbracht wurde.
30 b) Auch in diesem Fall ist die Sonderzahlung zum Teil Gegenleistung für erbrachte Arbeit.
Ein im Austausch von Arbeit und Vergütung liegender Grund für die Kürzung der
Vergütung besteht nicht. Die Kürzung erfolgt vielmehr aufgrund einer aus Sicht des
Arbeitgebers nicht hinreichend erwiesenen Betriebstreue. Dieser Gesichtspunkt ändert
aber nichts daran, dass der Arbeitnehmer die nach dem Vertrag geschuldete Leistung
erbracht hat. Irgendeine Störung des Austauschverhältnisses ist nicht gegeben.
31 c) Auch ein Stichtag innerhalb des Bezugsjahres erschwert dem Arbeitnehmer die
Ausübung des Kündigungsrechts, obwohl er seine Arbeitsleistung jedenfalls teilweise
erbracht hat. Er erleidet einen ungerechtfertigten Nachteil. Der Wert der Arbeitsleistung für
den Arbeitgeber hängt von ihrer Qualität und vom Arbeitserfolg ab, regelmäßig jedoch
nicht von der reinen Verweildauer des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis. Die Belohnung
zunehmender Beschäftigungsdauer als solcher steht nicht in einem Verhältnis zur Qualität
und zum Erfolg der Arbeitsleistung. Die einmal erbrachte Arbeitsleistung gewinnt auch
regelmäßig nicht durch bloßes Verharren des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis
nachträglich an Wert (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 612/10 - Rn. 25, BAGE 140, 231).
32 d) Anders mag es liegen, wenn die Arbeitsleistung gerade in einem bestimmten Zeitraum
vor dem Stichtag besonderen Wert hat. Das kann bei Saisonbetrieben der Fall sein, aber
auch auf anderen branchen- oder betriebsbezogenen Besonderheiten beruhen. Möglich
ist auch, dass eine Sonderzahlung an bis zu bestimmten Zeitpunkten eintretende
Unternehmenserfolge anknüpft; in diesen Fällen ist eine zu bestimmten Stichtagen
erfolgende Betrachtung oftmals zweckmäßig und nicht zu beanstanden (BAG 6. Mai 2009
- 10 AZR 443/08 - Rn. 15). Für solche besonderen Einflüsse ist hier jedoch nichts
ersichtlich. Im Gegenteil spricht die Zuwendung von - bezogen auf die zurückgelegten
Beschäftigungsmonate - anteiligen Sonderzahlungen an unterjährig eintretende
Arbeitnehmer dafür, dass den Richtlinien die Vorstellung zugrunde liegt, die
Sonderzahlung werde gleichmäßig im Lauf des Jahres als zusätzliches Entgelt für die
laufende Arbeitsleistung verdient.
33 e) Diesen Überlegungen entspricht die insolvenzrechtliche Einordnung von
leistungsbezogenen Sonderzahlungen durch den Senat. Der Anspruch auf eine solche
Sonderzuwendung entsteht danach regelmäßig während des Bezugszeitraums
entsprechend der zurückgelegten Dauer („pro rata temporis“) und wird nur zu einem
anderen Zeitpunkt insgesamt fällig. Insolvenzrechtlich sind arbeitsleistungsbezogene
Sonderzuwendungen dem Zeitraum zuzuordnen, für den sie als Gegenleistung geschuldet
sind: Soweit mit ihnen Arbeitsleistungen vergütet werden, die nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens erbracht wurden, handelt es sich um Masseforderungen. Soweit
durch sie vor Verfahrenseröffnung erbrachte Arbeitsleistungen honoriert werden, liegen
Insolvenzforderungen vor (BAG 14. November 2012 - 10 AZR 793/11 - Rn. 14, 20).
34 f) An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass § 14 MTV für die dort
geregelten Ansprüche auf Sonderzahlung zulässigerweise einen unterjährigen Stichtag
vorsieht, nämlich den 1. Dezember des Bezugsjahres.
35 aa) Die Tarifvertragsparteien überschreiten den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum
nicht, wenn sie Sonderzahlungen, die sowohl eine Gegenleistung für die erbrachte
Arbeitsleistung darstellen als auch der Honorierung von Betriebstreue dienen, vom
Bestand des Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag im Bezugszeitraum
abhängig machen (vgl. zum TV Zuwendung: BAG 18. August 1999 - 10 AZR 424/98 -
BAGE 92, 218). Ihr Gestaltungsspielraum ist dabei sowohl gegenüber den
Betriebsparteien (vgl. zu Stichtagsregelungen außerhalb des Bezugszeitraums in
Betriebsvereinbarungen: BAG 12. April 2011 - 1 AZR 412/09 - BAGE 137, 300;
7. Juni 2011 - 1 AZR 807/09 -; 5. Juli 2011 - 1 AZR 94/10 -) als auch gegenüber den
einseitigen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen (vgl. dazu BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 612/10 - BAGE 140,
231) erweitert (BAG 12. Dezember 2012 - 10 AZR 718/11 - Rn. 39 - 41).
36 bb) Tarifvertragliche Regelungen sind zwar kein Maßstab für die Inhaltskontrolle
(MüKoBGB/Basedow 6. Aufl. § 310 Rn. 104; Lingemann NZA 2002, 181, 188; Thüsing
BB 2002, 2666, 2674; aA Däubler NZA 2001, 1329, 1334). Allgemeine
Geschäftsbedingungen unterliegen der Inhaltskontrolle nach § 307 ff. BGB jedoch nicht,
soweit sie keine von den Tarifverträgen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen
abweichenden Regelungen oder diese Kollektivverträge lediglich ergänzende
Regelungen vereinbaren (§ 310 Abs. 4 Satz 3 iVm. § 307 Abs. 3 BGB; vgl. BeckOK
BGB/Becker Stand 1. November 2013 § 310 BGB Rn. 42). Im Streitfall weichen die
Richtlinien zulasten der Arbeitnehmer von den Regelungen des Tarifvertrags ab und
unterliegen deshalb als eigenständige Allgemeine Geschäftsbedingungen der
uneingeschränkten Inhaltskontrolle. Während nach den Richtlinien eine Bindung ggf. bis
weit in das auf das Bezugsjahr folgende Jahr vorgesehen ist, bindet der Tarifvertrag den
Arbeitnehmer nur bis zum 1. Dezember des laufenden Jahres. Andererseits gewährt der
Tarifvertrag einen Anspruch lediglich bei mindestens einjährigem Bestehen des
Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember eines Jahres. Das Arbeitsverhältnis muss also
spätestens am 1. Dezember des Vorjahres begonnen haben. Einen anteiligen
Zahlungsanspruch bei unterjährigem Eintritt ins Arbeitsverhältnis gewährt der Tarifvertrag
nicht, er sieht aber Ausnahmen von der Stichtagsregelung bei Verrentung vor. Der
Tarifvertrag betont insgesamt wesentlich stärker den Gesichtspunkt der Betriebstreue, als
es die Richtlinien tun: Während nach den Richtlinien ein Arbeitnehmer, der am
1. Dezember eintritt, einen Anspruch auf 1/12 des Novembergehaltes für das laufende
Jahr erwirbt, besteht nach dem Tarifvertrag für einen solchen Arbeitnehmer selbst dann
kein Anspruch, wenn er ein Jahr arbeitet und dann am 30. November des Folgejahres
ausscheidet.
37 5. Der Anspruch ist nicht durch den arbeitsvertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalt
ausgeschlossen. Dieser Vorbehalt ist unwirksam.
38 a) Nach § 3 Ziff. 2 des Arbeitsvertrags, der als Allgemeine Geschäftsbedingung
anzusehen ist, bezieht sich der Freiwilligkeitsvorbehalt nicht nur auf Gratifikationen,
sondern auf alle Leistungen, die nicht im Arbeitsvertrag oder durch „gültigen Tarifvertrag“
geregelt sind. Die Entstehung von Rechtsansprüchen soll generell ausgeschlossen sein.
„Freies Ermessen“ bedeutet, dass der es Ausübende lediglich die - stets geltenden -
allgemeinen Schranken der Rechtsausübung, insbesondere den arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz, die Willkür- und Maßregelungsverbote sowie den
Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten hat. Die Entscheidung muss sich nicht am
Maßstab der Billigkeit ausrichten (vgl. BAG 4. Januar 2009 - 5 AZR 75/08 - Rn. 14, 17).
39 b) Mit diesem Inhalt hält die Vertragsklausel der Inhaltskontrolle nicht stand. Ein
Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und
ihrem Entstehungsgrund erfasst, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen iSv.
§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB und ist deshalb unwirksam. Ein solcher
Freiwilligkeitsvorbehalt bezieht unzulässigerweise laufende Leistungen ein und verstößt
sowohl gegen den in § 305b BGB bestimmten Vorrang der Individualabrede als auch
gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass vertragliche Regelungen einzuhalten sind
(BAG 14. September 2011 - 10 AZR 526/10 - Rn. 36 - 41, BAGE 139, 156; 16. Januar
2013 - 10 AZR 26/12 - Rn. 22; zustimmend Worzalla SAE 2012, 92; Preis/Sagan
NZA 2012, 1077; kritisch Bauer/von Medem NZA 2012, 894; Niebling NJW 2013, 3011).
40 c) Soweit die Gratifikation in der Gesamtzusage vom 30. September 2010 als „freiwillige,
jederzeit widerrufliche Leistung“ bezeichnet wird, ändert das ebenfalls nichts an der
Verpflichtung der Beklagten.
41 II. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 288 Abs. 1 BGB.
42 III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO.
Mikosch
Mestwerdt
Schmitz-
Scholemann
R.
Baschnagel
Petri