Urteil des BAG vom 25.04.2013

Kündigung wegen Kirchenaustritts

Siehe auch:
Pressemitteilung Nr. 29/13 vom 25.4.2013
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 25.4.2013, 2 AZR 579/12
Kündigung wegen Kirchenaustritts
Leitsätze
Der Austritt eines im verkündigungsnahen Bereich eingesetzten Mitarbeiters einer ihrer
Einrichtungen aus der katholischen Kirche kann die - ggf. außerordentliche - Kündigung des
Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 9. März 2012 - 12 Sa
55/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
2 Der 1952 geborene Kläger war seit 1992 bei dem beklagten Caritasverband als
Sozialpädagoge beschäftigt. Der Beklagte ist eine Untergliederung des Caritasverbandes
für die Erzdiözese Freiburg e.V. und des Deutschen Caritasverbandes e.V. Er widmet sich
gem. § 5 Abs. 1 seiner Satzung vom 1. April 2006 allen Aufgaben sozialer und karitativer
Hilfe als Wesens- und Lebensäußerung der Katholischen Kirche. Die bei ihm angestellten
Pädagogen und Sozialpädagogen sind ausnahmslos Mitglieder der christlichen Kirchen.
Der Kläger gehörte der katholischen Kirche an.
3 Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 1. Januar 1992 ist ua. bestimmt:
„Caritas ist eine Lebens- und Wesensäußerung der katholischen Kirche. Der …
[Beklagte] ist dem Deutschen Caritasverband angeschlossen. Seine Einrichtung
dient der Verwirklichung des gemeinsamen Werkes christlicher Nächstenliebe.
Dienstgeber und Mitarbeiter bilden eine Dienstgemeinschaft und tragen gemeinsam
zur Erfüllung der Aufgaben der Einrichtung bei. Die Mitarbeiter haben den ihnen
anvertrauten Dienst in Treue und in Erfüllung der allgemeinen und besonderen
Dienstpflichten zu leisten. Der Treue des Mitarbeiters muß von Seiten des
Dienstgebers die Treue und Fürsorge gegenüber dem Mitarbeiter entsprechen. Auf
dieser Grundlage wird der folgende Dienstvertrag geschlossen:
§ 2
Für das Dienstverhältnis gelten die, Richtlinien für Arbeitsverträge in den
Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes’ (AVR) in ihrer jeweils geltenden
Fassung. Dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin ist Gelegenheit zur Einsichtnahme in die
AVR gegeben.
§ 6
Die Parteien stimmen darin überein, daß ein Verstoß gegen Grundsätze der
katholischen Glaubens- und Sittenlehre Grund für eine Kündigung sein kann.“
4 Die AVR enthalten in ihrem Allgemeinen Teil ua. folgende Regelungen:
㤠4 Allgemeine Dienstpflichten
(1) Der Dienst in der katholischen Kirche fordert vom Dienstgeber und vom
Mitarbeiter die Bereitschaft zu gemeinsam getragener Verantwortung und
vertrauensvoller Zusammenarbeit unter Beachtung der Eigenart, die sich
aus dem Auftrag der Kirche und ihrer besonderen Verfasstheit ergibt.
(2) Bei der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben sind die allgemeinen und für
einzelne Berufsgruppen erlassenen kirchlichen Gesetze und Vorschriften zu
beachten.
(3) Der Dienst in der katholischen Kirche erfordert vom katholischen Mitarbeiter,
dass er seine persönliche Lebensführung nach der Glaubens- und
Sittenlehre sowie den übrigen Normen der katholischen Kirche einrichtet.
Die persönliche Lebensführung des nicht katholischen Mitarbeiters darf dem
kirchlichen Charakter der Einrichtung, in der er tätig ist, nicht widersprechen.
§ 14 Ordentliche Kündigung
(5) Nach einer Beschäftigungszeit (…) von 15 Jahren bei demselben
Dienstgeber, frühestens jedoch nach dem vollendeten 40. Lebensjahr des
Mitarbeiters, ist eine ordentliche Kündigung durch den Dienstgeber
ausgeschlossen, soweit nicht § 15 etwas anderes bestimmt.
§ 15 Sonderregelung für unkündbare Mitarbeiter
(1) Dem grundsätzlich unkündbaren Mitarbeiter kann vom Dienstgeber außer
nach § 16 Abs. 2 gekündigt werden, wenn der Mitarbeiter nicht
weiterbeschäftigt werden kann, weil die Einrichtung, in der er tätig ist,
a)
wesentlich eingeschränkt oder
b)
aufgelöst wird.
(2) Liegen keine Kündigungsgründe nach § 15 Abs. 1 oder § 16 Abs. 2 vor, ist
dem Dienstgeber eine Kündigung des Dienstverhältnisses aus anderen
Gründen nicht gestattet.
§ 16 Außerordentliche Kündigung
(1) Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB kann das
Dienstverhältnis von beiden Vertragsparteien ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden.
(2) Einem Mitarbeiter, dem gegenüber nach § 14 Abs. 5 die ordentliche
Kündigung grundsätzlich ausgeschlossen ist, kann aus einem in seiner
Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Grunde fristlos
gekündigt werden.
…“
5 Seit September 2008 arbeitete der Kläger in einem sozialen Zentrum, das von der Stadt M
finanziert und vom Beklagten betrieben wird. Das Zentrum ist ein Projekt der
Erziehungshilfe, in dem Kinder von der ersten Grundschulklasse bis zum zwölften
Lebensjahr nachmittags betreut werden. Die Kinder kommen aus sozial benachteiligten
Verhältnissen und haben Schwierigkeiten mit der Sozialisation. Ihre
Religionszugehörigkeit ist ohne Bedeutung. Das Angebot umfasst Mittagessen,
Hausaufgabenbetreuung, Einzelförderung und soziale Schülergruppenarbeit, die sich am
individuellen Bedarf der Kinder orientiert. Auch Freizeitangebote werden wahrgenommen.
Die Kinder sollen schulisch und in ihrem sozialen Verhalten gefördert werden. Außerdem
sollen ihre sprachliche und motorische Entwicklung unterstützt sowie Kreativität und
Phantasie ausgebildet werden.
6 Das soziale Zentrum weist - abgesehen vom Signum des beklagten Caritasverbands -
keine religiösen Symbole auf. Den Kindern werden keine religiösen Inhalte vermittelt. Der
Kläger arbeitete mit den Kindern, stand im Kontakt mit den Eltern, kooperierte mit den
Schulen und führte mit dem Jugendamt Hilfeplangespräche durch.
7 Am 21. Februar 2011 trat der Kläger aus der katholischen Kirche aus. Er informierte
hierüber ein Vorstandsmitglied des Beklagten. Am 3. März 2011 führte das betreffende
Mitglied mit dem Kläger ein Gespräch. Der Kläger nannte als Beweggründe für den
Kirchenaustritt die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen, die Vorgänge um die
Piusbruderschaft und die Karfreitagsliturgie, die in einer antijudäischen Tradition der
Kirche stehe. Das Vorstandsmitglied wies den Kläger darauf hin, dass sich ein
Kirchenaustritt nach dem Selbstverständnis des Beklagten nicht mit einer weiteren
Beschäftigung in Einklang bringen lasse. Der Kläger erklärte, sich dessen bewusst zu
sein.
8 Im Anschluss an das Gespräch informierte der Beklagte die Mitarbeitervertretung über
seine Absicht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen dessen Kirchenaustritts
außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2011 zu kündigen. Die
Mitarbeitervertretung teilte am 8. März 2011 mit, sie habe gegen die beabsichtigte
Kündigung keine Einwände.
9 Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 14. März
2011 außerordentlich zum 30. September 2011.
10 Gegen die Kündigung hat sich der Kläger rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt.
Er hat gemeint, zwar sei das Selbstbestimmungsrecht der Kirche grundsätzlich
anzuerkennen. Dennoch müsse der Beklagte seinen Kirchenaustritt hinnehmen. Zum
einen wirke sich dieser auf seine Arbeit in dem Sozialen Zentrum nicht aus. Zum anderen
habe er mit seiner Entscheidung, aus der katholischen Kirche auszutreten, von seinem
Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit Gebrauch gemacht. Angesichts der
Missbrauchsfälle habe es die katholische Kirche letztlich selbst zu vertreten, dass er sich
zum Austritt entschieden habe. Er übe auch keine leitende, seelsorgerische oder klerikale
Funktion aus. Zudem sei das Soziale Zentrum eine Einrichtung staatlicher Vorsorge. Für
den Beklagten bestehe dort eine Pflicht zu religiöser Neutralität. Im Übrigen seien seine
Betriebszugehörigkeit und sein Alter zu berücksichtigen.
11 Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch
die außerordentliche Kündigung vom 14. März 2011 nicht aufgelöst worden ist.
12 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat sich auf das
Selbstbestimmungsrecht der Kirche berufen. Dieses greife in allen Bereichen, in denen
sich die Kirche aus christlicher Überzeugung heraus engagiere, unabhängig davon, ob
religiöse Inhalte in der Arbeit offen zu Tage träten. Der Kläger sei als Sozialpädagoge
damit betraut, kirchlichen „Dienst am Menschen“ zu leisten, und daher unmittelbar in den
Verkündigungsauftrag der katholischen Kirche einbezogen.
13 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein
Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
14 Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen.
15 I. Die Kündigung vom 14. März 2011 ist wirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis der
Parteien zum 30. September 2011 beendet. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB
liegen vor. Der Kläger hat durch seinen Austritt aus der katholischen Kirche
schwerwiegend gegen seine vertraglichen Loyalitätsobliegenheiten verstoßen.
Unabhängig davon, ob darin eine schuldhafte Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten
liegt, stellt dies einen in seiner Person liegenden wichtigen Grund iSv. § 16 Abs. 2 AVR
iVm. § 626 Abs. 1 BGB für die vom Beklagten erklärte außerordentliche Kündigung dar.
Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kirchenaustritt des Klägers mache es dem
Beklagten unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihm als Sozialpädagogen auf Dauer
fortzusetzen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
16 1. Zwar ist es dem Arbeitgeber bei Kündigungsgründen, die in der Person des
Arbeitnehmers liegen, in der Regel zuzumuten, die Kündigungsfrist zu wahren. Ist der
Arbeitnehmer aber ordentlich nicht kündbar und führt gerade der Ausschluss der
ordentlichen Kündigung zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers, weil dieser
dann, obwohl er den Arbeitnehmer nicht mehr einsetzen kann, noch für lange Zeit an den
Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gebunden wäre, kann auch eine außerordentliche
Kündigung gerechtfertigt sein (vgl. zur krankheitsbedingt mangelnden Einsetzbarkeit BAG
18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu II 3 der Gründe, BAGE 96, 65; zur betriebsbedingt
mangelnden Einsetzbarkeit BAG 22. November 2012 - 2 AZR 673/11 - Rn. 14 mwN). In
diesem Fall ist zur Vermeidung einer Benachteiligung der durch den Ausschluss der
ordentlichen Kündigung gerade besonders geschützten Arbeitnehmer eine der
ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten (vgl. BAG
22. November 2012 - 2 AZR 673/11 - Rn. 14 mwN).
17 2. Gegenüber dem Kläger war nach der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen
Regelung des § 14 Abs. 5 AVR eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Er war mehr
als fünfzehn Jahre bei dem Beklagten beschäftigt und hatte das 40. Lebensjahr bereits
vollendet. Ein Ausnahmefall gem. § 15 Abs. 1 AVR lag nicht vor.
18 3. Mit dem Austritt aus der katholischen Kirche hat der Kläger gegen seine
Loyalitätsobliegenheiten aus der in § 2 des Arbeitsvertrags iVm. § 4 Abs. 2 AVR in Bezug
genommenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes vom 22. September 1993 (GrO -
Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg 1993, 250 ff.) verstoßen. Gem. Art. 5 Abs. 2 GrO stellt
der Kirchenaustritt einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß dar. Ein solcher Verstoß
kann geeignet sein, einen wichtigen Grund iSv. § 16 Abs. 2 AVR iVm. § 626 Abs. 1 BGB
für eine außerordentliche Kündigung - unter Gewährung einer sozialen Auslauffrist -
darzustellen.
19 a) Dazu bedarf es keiner Klärung, ob der Loyalitätsverstoß des Klägers als schuldhaft
angesehen werden kann. Das erscheint angesichts des Umstands, dass er sich zur
Begründung seiner Entscheidung auf seine Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen hat,
nicht zweifelsfrei. Selbst wenn aber dem Kläger die Enttäuschung der
Loyalitätserwartungen des Beklagten nicht vorwerfbar sein sollte, so fehlte ihm doch die
persönliche Eignung für eine Weiterbeschäftigung als Sozialpädagoge. Auch ein solcher
in der Person liegender Grund kann, wenn der Arbeitnehmer ordentlich nicht mehr
kündbar ist, „an sich“ eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
20 b) Durch seinen Austritt aus der katholischen Kirche, an dem er auch nach dem Gespräch
mit dem Vorstandsmitglied des Beklagten im Bewusstsein der Konsequenzen für sein
Arbeitsverhältnis festgehalten hat, fehlt dem Kläger die Eignung für eine
Weiterbeschäftigung als Sozialpädagoge in den Diensten des Beklagten. Der Beklagte
widmet sich als Untergliederung des Caritasverbandes der Erzdiözese Freiburg sowie des
Deutschen Caritasverbandes den Aufgaben sozialer und karitativer Hilfe als Wesens- und
Lebensäußerung der katholischen Kirche. Er kann sich deshalb auf das gem. Art. 140 GG
iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV verfassungsrechtlich gewährleistete
Selbstbestimmungsrecht der Kirchen berufen. Nach kirchlichem Selbstverständnis wiegt
ein Loyalitätsverstoß in Form des Kirchenaustritts besonders schwer. Er steht einer
Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters generell entgegen (Art. 5 Abs. 5 GrO). Der
Kirchenaustritt gehört nach dem Kirchenrecht zu den schwersten Vergehen gegen die
Religion und die Einheit der Kirche. Er verträgt sich aus Sicht der Kirche weder mit ihrer
Glaubwürdigkeit noch mit der von ihr geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit
zwischen den Vertragsparteien (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83,
2 BvR 856/84 - zu B II 4 c der Gründe, BVerfGE 70, 138).
21 c) Die Arbeitsgerichte haben bei der Bewertung einzelner Loyalitätsanforderungen die
vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht
der Kirche anerkennt, hierüber selbst zu befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den
verfassten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was die „Glaubwürdigkeit der
Kirche und der Einrichtung, in der [die Mitarbeiter] beschäftigt sind“ (vgl. Art. 4 Abs. 4, Art. 5
Abs. 5 GrO), erfordert, welches die zu beachtenden „Grundsätze der katholischen
Glaubens- und Sittenlehre“ sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 GrO) und welche „Loyalitätsverstöße“
(vgl. Art. 5 Abs. 2 GrO) aus „kirchenspezifischen Gründen“ als „schwerwiegend“
anzusehen sind. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen
Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen eingreifen soll (vgl.
Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 GrO), ist grundsätzlich eine dem kirchlichen
Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR
1703/83 ua. - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 70, 138; BAG 8. September 2011 - 2 AZR
543/10 - BAGE 139, 144; 21. Februar 2001 - 2 AZR 139/00 -; bestätigend EGMR
3. Februar 2011 - 18136/02 - [Siebenhaar] Rn. 45). Die staatlichen Gerichte sind an die
kirchliche Einschätzung gebunden, es sei denn, sie begäben sich dadurch in Widerspruch
zu Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1
GG), im Begriff der „guten Sitten“ (§ 138 Abs. 1 BGB) und im ordre public (Art. 30 EGBGB)
ihren Niederschlag gefunden haben. Die Gerichte haben sicherzustellen, dass die
kirchlichen Einrichtungen nicht in Einzelfällen unannehmbare Anforderungen an die
Loyalität ihrer Arbeitnehmer stellen (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 2 a
der Gründe, aaO).
22 4. Die Gestaltungsfreiheit des kirchlichen Arbeitgebers nach Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3
Satz 1 WRV für die auf Vertragsebene begründeten Arbeitsverhältnisse steht unter dem
Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes. Zu diesem gehört auch das staatliche
Kündigungsschutzrecht, etwa § 1 KSchG, § 626 BGB. Mit ihm nimmt der Staat seine
Schutzpflichten ua. aufgrund der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG
wahr. Der Wechselwirkung von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und den
Grundrechten der Arbeitnehmer ist durch eine Güterabwägung im Rahmen der
kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen Rechnung zu tragen. Das auch für kirchliche
Arbeitgeber geltende staatliche Arbeitsrecht erlaubt keine Annahme eines absoluten
Kündigungsgrundes. Das gilt auch im Fall des Kirchenaustritts, selbst wenn dieser nach
dem Selbstverständnis der katholischen Kirche einer Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters
„generell“ entgegensteht (Art. 5 Abs. 5 GrO; vgl. dazu Thüsing in Essener Gespräche zum
Thema Staat und Kirche Bd. 46, 129, 130). Auch in diesen Fällen hat nach staatlichem
Recht eine Interessenabwägung stattzufinden; dabei ist dem Selbstverständnis der
Kirchen ein besonderes Gewicht beizumessen (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR
1703/83 ua. - zu B II 1 e, B II 2 b, B II 4 c und C 1 der Gründe, BVerfGE 70, 138).
23 a) Der Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts erfasst die individual- und
kollektivrechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen der in kirchlichen Einrichtungen
beschäftigten Arbeitnehmer (BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 94). Nach
Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ordnet und verwaltet jede
Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken der für alle
geltenden Gesetze. Hierzu gehören alle Maßnahmen, die in Verfolgung der vom
kirchlichen Grundauftrag bestimmten Aufgaben zu treffen sind, wie Vorgaben struktureller
Art, die Personalauswahl und die mit diesen Entscheidungen untrennbar verbundene
Vorsorge zur Sicherstellung der „religiösen Dimension“ des Wirkens im Sinne des
kirchlichen Selbstverständnisses. Dies schließt die rechtliche Vorsorge für die
Wahrnehmung kirchlicher Dienste durch den Abschluss privatrechtlicher Arbeitsverträge
ein (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 1 b bis c der Gründe, BVerfGE
70, 138; BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 95; 8. September 2011 - 2 AZR
543/10 - Rn. 22, BAGE 139, 144).
24 b) Das durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV verfassungsrechtlich verbürgte
Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht kommt neben den verfassten Kirchen auch
den ihnen zugeordneten, insbesondere ihren karitativen Einrichtungen zu (BVerfG 4. Juni
1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138; BAG 8. September
2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 22, BAGE 139, 144). Die Verfassungsgarantie des kirchlichen
Selbstbestimmungsrechts gewährleistet den Kirchen darüber zu befinden, welche Dienste
es in ihren Einrichtungen geben soll und in welchen Rechtsformen sie wahrzunehmen
sind. Erfasst sind alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne
Rücksicht auf ihre Rechtsform, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck
oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche
wahrzunehmen und zu erfüllen (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 1 a der
Gründe mwN, aaO; BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 56 und 101). Ohne
Bedeutung ist deshalb, ob sich der Betrieb einer karitativen Einrichtung substanziell von
dem nichtkirchlicher Träger unterscheidet. Die Religionsgesellschaft hat grundsätzlich die
Kompetenz zur Qualifizierung einer Angelegenheit als eigene (Hesse in HdbStKirchR
2. Aufl. Bd. 1 S. 521, 541 f.; Kästner in Bonner Kommentar zum Grundgesetz Stand
November 2012 Art. 140 Rn. 304). Sie entscheidet darüber, wie sie ihr
Glaubensbekenntnis lebt. Da sie ihr Wirken in karitativen Einrichtungen als tätige
Nächstenliebe und sozialen Dienst am Menschen begreift, ist dies zugleich Ausdruck
ihres Glaubensbekenntnisses (Schubert RdA 2011, 270, 273). Das gilt auch dann, wenn
die Religionsgesellschaft beim Betrieb solcher Einrichtungen im Wettbewerb mit
nichtkirchlichen Trägern steht (vgl. BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - aaO).
25 c) Bedienen sich die Kirchen wie jedermann der Privatautonomie, um Arbeitsverhältnisse
zu begründen, so findet auf diese das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Die
Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt deren
Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche iSv. Art. 140 GG, Art. 137
Abs. 3 Satz 1 WRV nicht auf. Sie darf deshalb die verfassungsrechtlich geschützte
Eigenart des kirchlichen Dienstes, das kirchliche Proprium, nicht in Frage stellen. Die
Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bleibt auch für die Gestaltung der
Arbeitsverhältnisse wesentlich (vgl. BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 1 d
der Gründe, BVerfGE 70, 138; BAG 20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - aaO). Das
ermöglicht es den Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den
kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und dazu für ihre Arbeitnehmer
spezifische Obliegenheiten verbindlich zu machen. Werden Loyalitätsanforderungen in
einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine
Vertragsfreiheit für sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungsrechtlichen
Selbstbestimmungsrecht Gebrauch (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - aaO; BAG
8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 23, BAGE 139, 144; kritisch Schlink JZ 2013,
209, 212 f.).
26 d) Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses
bedeutsam sein können, richtet sich nach den von der verfassten Kirche anerkannten
Maßstäben. Es kommt weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen
Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflusst
sein kann, noch auf diejenige breiter Kreise unter Kirchenmitgliedern oder gar einzelner,
bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an (BAG 8. September 2011 - 2 AZR
543/10 - Rn. 24, BAGE 139, 144; 21. Februar 2001 - 2 AZR 139/00 - Rn. 53).
27 e) Der die Gestaltungsfreiheit des kirchlichen Arbeitgebers nach Art. 140 GG, Art. 137
Abs. 3 Satz 1 WRV begrenzende Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes bedeutet
nicht, dass staatliche Kündigungsschutzbestimmungen dem kirchlichen
Selbstbestimmungsrecht in jedem Fall vorgingen. Die in das Grundgesetz inkorporierten
Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung bilden mit diesem ein organisches Ganzes.
Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gewährleistet mit Rücksicht auf die Trennung von Staat und
Kirche einerseits das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten
durch die Kirchen, andererseits den staatlichen Schutz sonstiger für das Gemeinwesen
bedeutsamer Rechtsgüter. Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und
Schrankenzweck ist durch Güterabwägung Rechnung zu tragen. Dabei ist dem
Selbstverständnis der Kirchen insofern ein besonderes Gewicht beizumessen, als es auch
bei der Interpretation des Individualarbeitsrechts zu beachten ist. Die Verfassungsgarantie
ihres Selbstbestimmungsrechts gewährleistet den Kirchen, dass sie bei der
arbeitsvertraglichen Gestaltung des kirchlichen Dienstes das Leitbild einer christlichen
Dienstgemeinschaft zugrunde legen und die Verbindlichkeit gewisser Grundpflichten
bestimmen können. Diese Gewährleistung ist bei der Anwendung des staatlichen
Kündigungsschutzrechts auf Kündigungen kirchlicher Arbeitsverhältnisse aus
verfassungsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen. Eine Rechtsanwendung, bei der die
vom kirchlichen Selbstverständnis gebotene Verpflichtung der Arbeitnehmer auf
grundlegende Maximen kirchlichen Lebens arbeitsrechtlich ohne Bedeutung bliebe,
widerspräche dem verfassungsverbürgten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (BVerfG
4. Juni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 1 e der Gründe mwN, BVerfGE 70, 138). Die
staatlichen Gerichte haben zwischen den Grundrechten der Arbeitnehmer, etwa dem
Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, und dem Selbstbestimmungsrecht der
Religionsgemeinschaft abzuwägen (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 18,
BAGE 139, 144). Dieses Abwägungsgebot folgt nicht zuletzt aus der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 3. Februar 2011 - 18136/02 -
[Siebenhaar] Rn. 45; 23. September 2010 - 425/03 - [Obst] Rn. 49; 23. September 2010 -
1620/03 - [Schüth] Rn. 69). Die Beachtung der Rechtsprechung des EGMR ist
verfassungsrechtlich geboten, soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben
des Grundgesetzes vereinbar ist (BVerfG 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 ua. - Rn. 93 f. mwN,
BVerfGE 128, 326; 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307; BAG
8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - aaO). Grundrechte der Arbeitnehmer sind dabei nicht
ohne Weiteres Teil des ordre public. Ein solches Verständnis hätte eine unmittelbare
Grundrechtsbindung der Kirchen zur Folge. Diese könnten ihr Selbstbestimmungsrecht
nur insoweit in Anspruch nehmen, wie andere grundrechtliche Gewährleistungen dadurch
nicht beeinträchtigt würden. Eine derartige Grundrechtsbindung ginge über die von Art. 1
Abs. 3 GG für die staatliche Gewalt angeordnete Grundrechtsbindung noch hinaus, da sie
bereits den Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts als solchen begrenzte (BAG
20. November 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 105).
28 5. Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht zu Recht
angenommen, wegen des Kirchenaustritts des Klägers sei dem Beklagten dessen
Weiterbeschäftigung als Sozialpädagoge auch unter Berücksichtigung seiner Glaubens-
und Gewissensfreiheit auf Dauer unzumutbar gewesen.
29 a) Der Loyalitätsverstoß des Klägers wiegt nach dem Selbstverständnis der katholischen
Kirche und der ihr zugehörigen Einrichtungen besonders schwer. Nach Art. 3 Abs. 4 GrO
ist für keinen Dienst in der Kirche geeignet, wer sich kirchenfeindlich betätigt oder aus der
katholischen Kirche ausgetreten ist. Der Kirchenaustritt steht gem. Art. 5 Abs. 5 GrO einer
Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters „generell“ entgegen. Der ausgetretene Mitarbeiter
wurde nicht nur in einem einzelnen Punkt den kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht
gerecht, sondern hat sich insgesamt von der katholischen Glaubensgemeinschaft
abgekehrt.
30 b) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob diese Qualifizierung des Kirchenaustritts
als besonders schwerwiegender Loyalitätsverstoß von den staatlichen Gerichten auch
dann uneingeschränkt anzuerkennen ist, wenn ein Mitarbeiter eine „verkündigungsferne“
Tätigkeit ausübt. Der Kläger war „verkündigungsnah“ eingesetzt. Er leistete als
Sozialarbeiter beim beklagten Caritasverband unmittelbar „Dienst am Menschen“ und
nahm damit selbst am Sendungsauftrag der katholischen Kirche teil. Dem steht nicht
entgegen, dass in dem Sozialen Zentrum, in welchem er zuletzt tätig war, keine religiösen
Inhalte vermittelt werden. Karitative Erziehungshilfe als solche gehört nach dem
Selbstverständnis der katholischen Kirche zu ihrem Sendungsauftrag. Nach Art. 3 Abs. 2
GrO, können kirchliche Dienstgeber neben pastoralen und katechetischen in der Regel
auch erzieherische Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche
angehört. Nach Art. 4 Abs. 1 GrO ist insbesondere auch im erzieherischen Dienst das
persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und
Sittenlehre erforderlich. Diesen Loyalitätsanforderungen an einen im erzieherischen
Dienst tätigen Mitarbeiter liegen weder sachfremde, willkürliche Erwägungen zugrunde,
noch stehen sie im Widerspruch zu sonstigen Grundprinzipien der Rechtsordnung.
Entgegen der Auffassung des Klägers stellen sie sich nicht deshalb als willkürlich dar,
weil katholische Priester trotz von ihnen begangener schwerwiegender Verfehlungen
weiterhin in der Kirche tätig sind. Zum einen betrifft dieser Umstand nicht den beklagten
Caritasverband. Zum anderen sind die Fälle nicht vergleichbar. Priester sind nicht im
Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt, sondern sind Inhaber eines Kirchenamts.
Der Kläger hat überdies nicht behauptet, Priester dürften trotz eines Kirchenaustritts weiter
in der Kirche tätig sein. Ob die innere Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche leidet,
wenn sie Priester, die sich sexueller Übergriffe an Kindern schuldig gemacht haben, weiter
im Gemeindedienst tätig sein lässt, entzieht sich einer Bewertung durch staatliche
Gerichte und ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich.
31 c) Zugunsten des Klägers ist dessen gem. Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG grundrechtlich
geschützte Glaubens- und Gewissensfreiheit zu beachten. Auch diese hat ein hohes
Gewicht. Der Kläger wird in ihr dadurch eingeschränkt, dass ihre Ausübung durch den
Austritt aus der katholischen Kirche zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses führen
kann. Dies berührt zugleich seine gem. Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit.
32 d) Bei der Abwägung der Grundrechte des Klägers mit dem kirchlichen
Selbstbestimmungsrecht im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zu berücksichtigen, dass
der Kläger in die Obliegenheit, die an ihn gestellten Loyalitätserwartungen zu erfüllen, bei
Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten eingewilligt hat (vgl. dazu EGMR
3. Februar 2011 - 18136/02 - [Siebenhaar] Rn. 46; 23. September 2010 - 1620/03 -
[Schüth] Rn. 71). Er hat diesen Erwartungen bei Vertragsschluss zugestimmt und sich
ihnen in diesem Sinne freiwillig unterworfen. Zwar liegt darin kein Verzicht auf eine
zukünftig andere Ausübung seiner Glaubens- und Gewissensfreiheit. Religiöse
Überzeugungen und Gewissenseinstellungen können sich ändern; auch dies ist von der
verfassungsrechtlich gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit umfasst. Der
Umstand, dass der Kläger arbeitsvertraglich die Loyalitätserwartungen des Beklagten
anerkannt hat, führt aber dazu, dass der nunmehr anderen Ausübung seiner Religions-
und Gewissensfreiheit zumindest kein höheres Gewicht als dem kirchlichen
Selbstbestimmungsrecht zukommt. Während die Loyalitätserwartungen des Beklagten
unverändert geblieben sind, hat sich die Bereitschaft des Klägers, ihnen zu entsprechen,
gewandelt. Der Konflikt zwischen den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen ist
deshalb in seiner Sphäre begründet.
33 e) Die vom Kläger angeführten Gründe für seinen Kirchenaustritt rechtfertigen keine
andere Würdigung.
34 aa) Die Missbrauchsfälle und die Vorgänge um die Piusbruderschaft mögen nicht
vorhersehbar gewesen sein und den Wandel in der Bereitschaft des Klägers, Mitglied der
katholischen Kirche zu bleiben, erklären. Es kann ohne Weiteres unterstellt werden, dass
es für den Kläger bei Vertragsschluss nicht absehbar war, dass er einmal aus diesen
Gründen meinen würde, aus der Kirche austreten zu müssen. Auch kann zugunsten des
Klägers angenommen werden, dass der katholischen Kirche eine Mitverantwortung für die
von ihm angeführten Umstände zukommt. Nach dem Selbstverständnis des Beklagten
könnten jedoch auch diese Aspekte das Gewicht des Loyalitätsverstoßes nicht
entscheidend mindern. Selbst berechtigte Kritik an Missständen kann danach nicht den
Kirchenaustritt und die Aufkündigung der Zugehörigkeit zur gesamten
Glaubensgemeinschaft rechtfertigen. Der Mitarbeiter, der aus der katholischen Kirche
austritt, kehrt sich gänzlich von der nach ihrem Verständnis auch in der
Dienstgemeinschaft wirksamen Glaubensgemeinschaft ab. Von ihm kann nicht mehr
zuverlässig erwartet werden, dass er noch am Sendungsauftrag der Kirche teilnehmen
und sich an der Glaubens- und Sittenlehre der katholischen Kirche orientieren will.
35 bb) Dass der Kläger auch die Karfreitagsliturgie als Motiv für seinen Austritt aus der Kirche
genannt hat, spricht überdies für eine Distanzierung nicht nur von Missständen in den
kirchlichen Institutionen, sondern auch von der katholischen Glaubenslehre.
36 f) Das Landesarbeitsgericht hat in die Interessenabwägung mit Recht den Umstand
einbezogen, dass es für den Kläger auch außerhalb der katholischen Kirche und ihrer
Einrichtungen Beschäftigungsmöglichkeiten als Sozialpädagoge gibt (vgl. zu diesem
Gesichtspunkt EGMR 23. September 2010 - 1620/03 - [Schüth] Rn. 73). Die Folgen eines
Verlustes seines Arbeitsplatzes sind damit weniger schwer wiegend, als wenn eine solche
Beschäftigung nur in den Diensten der Kirche in Betracht käme. In der Ausübung seiner
Glaubens- und Gewissensfreiheit und in seiner Berufsfreiheit war der Kläger deshalb nicht
im Kern beeinträchtigt. Soweit er geltend gemacht hat, kirchliche Träger hätten im Bereich
der Sozialarbeit „häufig ein Angebotsmonopol“, liegt darin keine beachtliche
Verfahrensrüge.
37 g) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, auch angesichts der langen
Beschäftigungsdauer des Klägers und seines Lebensalters überwiege das Interesse des
Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ist damit revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat alle relevanten Einzelfallumstände in seine
Interessenabwägung einbezogen und widerspruchsfrei gewichtet. Es durfte zugunsten des
Beklagten berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit für die
Glaubwürdigkeit der Kirche stand. Er hat unmittelbar Dienst am Menschen geleistet, der
auch den Dienst an anders oder nicht gläubigen Menschen umfasst. Bei der Arbeit des
Beklagten handelt es sich um eine Lebens- und Wesensäußerung der katholischen
Kirche, auch wenn sie gegenüber den betreuten Kindern und deren Eltern religiös neutral
erfolgt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darauf abgestellt, dass es für den Beklagten
ohne den Anspruch, den kirchlichen Sendungsauftrag mit Mitarbeitern zu erfüllen, die
diesen nach außen hin mittragen, keinen Grund gäbe, die Arbeit in dem Sozialen Zentrum,
in dem der Kläger tätig war, zu übernehmen - sie könnte auch von einer anderen
Hilfsorganisation geleistet werden. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, dass die
Einrichtung vom Beklagten auf der Basis einer Leistungs- und Entgeltvereinbarung mit der
Stadt betrieben wird. Als Sozialarbeiter hat der Kläger an der Verwirklichung des nach
kirchlichem Verständnis gemeinsamen Werkes christlicher Nächstenliebe mitgewirkt. Es
ist dem Beklagten nicht zuzumuten, in diesem verkündigungsnahen Bereich einen
Mitarbeiter weiterzubeschäftigen, der eben nicht nur in einem einzelnen Punkt den
kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht gerecht geworden ist, sondern sich insgesamt
von der katholischen Glaubensgemeinschaft losgesagt hat.
38 h) Die Kündigung erweist sich nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil die
Verfahrensvorschrift des Art. 5 Abs. 1 GrO missachtet worden wäre. Danach muss der
kirchliche Dienstgeber, wenn ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr
erfüllt, durch „Beratung“, dh. durch „ein klärendes Gespräch“ versuchen zu erreichen, dass
dieser den Mangel beseitigt. Der Beklagte ist dieser Verpflichtung mit dem Gespräch vom
3. März 2011 nachgekommen.
39 6. Es fehlt nicht deshalb an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB, weil die
Kündigung gegen §§ 1, 7 AGG verstieße. Die mit ihr verbundene Ungleichbehandlung des
Klägers wegen seiner Religion ist nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AGG gerechtfertigt.
40 a) In Fällen, in denen die Kündigung eine Benachteiligung iSd. §§ 1 ff. AGG mit sich
bringt, sind für die Frage der sozialen Rechtfertigung nach § 1 KSchG die Vorschriften des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897)
heranzuziehen (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 31, BAGE 139, 144;
6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238). Dies gilt gleichermaßen, wenn es
um das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB geht. Der Verstoß
gegen eine Verhaltens- oder Eignungsanforderung, die den Arbeitnehmer ihrerseits nach
§§ 1, 7 AGG diskriminiert, kann keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung
bilden.
41 b) Die Kündigung stellt eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen der
Religion iSd. § 3 Abs. 1 AGG dar. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wäre nicht gekündigt
worden, wenn der Kläger Mitglied der katholischen Kirche geblieben wäre.
42 c) Die Benachteiligung durch die Kündigung knüpft damit zwar unmittelbar an das in § 1
AGG genannte Merkmal der „Religion“ an. Sie ist jedoch nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AGG
gerechtfertigt.
43 (1) Nach § 9 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der
Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften oder die ihnen zugeordneten
Einrichtungen zulässig, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des
Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr
Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche
Anforderung darstellt. Nach § 9 Abs. 2 AGG berührt das Verbot unterschiedlicher
Behandlung wegen der Religion nicht das Recht der Religionsgemeinschaften oder der
ihnen zugeordneten Einrichtungen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges
Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.
44 (2) § 9 AGG setzt Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November
2000 um. Nach dessen Unterabs. 2 können - sofern die Bestimmungen der Richtlinie im
Übrigen eingehalten werden - die Kirchen und andere öffentliche oder private
Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht,
im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und
Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal
und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten. Ob dadurch lediglich
unterschiedliche Behandlungen wegen der Religion oder auch Benachteiligungen aus
anderen Gründen - zB wegen der sexuellen Ausrichtung - erlaubt werden (vgl. dazu
Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 487 ff. mwN; KR/Treber 10. Aufl.
§ 9 AGG Rn. 17 mwN) kann dahinstehen. Der Kläger wurde ausschließlich wegen der
Religion benachteiligt.
45 (3) Der Kläger genügt sowohl im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Beklagten
als auch nach Art seiner Tätigkeit einer gerechtfertigten beruflichen Anforderung iSv. § 9
Abs. 1 AGG nicht. Er ist durch seinen Kirchenaustritt für eine Tätigkeit als Sozialpädagoge
im Rahmen des karitativen Auftrags des Beklagten nicht mehr geeignet. Sein
Kirchenaustritt stellt außerdem ein nach dem Selbstverständnis des Beklagten im Sinne
von § 9 Abs. 2 AGG illoyales Verhalten dar. Der Anwendungsbereich des § 9 AGG ist für
den Beklagten als karitative Einrichtung der katholischen Kirche eröffnet.
46 (4) Die Frage, ob und in welchem Umfang Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG es
gebietet, die kirchlichen Vorgaben, die eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion
nach § 9 AGG rechtfertigen, einer Plausibilitätskontrolle durch die staatlichen Gerichte zu
unterziehen (vgl. dazu KR/Griebeling 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 71; Busch AiB 2006, 468 f.;
Perreng/Nollert/Borassio AiB 2006, 462; Thüsing in Essener Gespräche zum Thema Staat
und Kirche Bd. 46, 129, 134 ff. mwN zum Streitstand), und die Frage, ob und inwieweit die
vom kirchlichen Arbeitgeber gestellten beruflichen Anforderungen sich zugleich als nach
der Art der Tätigkeit gerechtfertigte Anforderungen erweisen müssen (vgl. dazu AGG/Voigt
§ 9 Rn. 22 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger AGG § 9 Rn. 13 ff.; Mohr/v. Fürstenberg BB 2008,
2122; KR/Treber 10. Aufl. § 9 AGG Rn. 12 f. mwN; Thüsing aaO S. 136 ff. mwN zum
Streitstand; BT-Drucks. 16/1780 S. 35 f.; Schreiben der Kommission der Europäischen
Union vom 31. Januar 2008 zu dem am 28. Oktober 2010 eingestellten
Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362 zu Nr. 2), können im Streitfall dahinstehen. Die
vom Beklagten an den Kläger gestellten Anforderungen sind auch nach dem insoweit
strengsten Maßstab berechtigt. Eine entscheidungserhebliche, die Anrufung des
Gerichtshofs der Europäischen Union gebietende Auslegungsfrage iSd. Art. 267 AEUV
stellt sich deshalb nicht.
47 (a) Die an den Kläger gerichtete Erwartung des Beklagten, aus Gründen der Loyalität nicht
aus der katholischen Kirche auszutreten, hält einer Plausibilitätskontrolle im dargestellten
Sinne stand. Die Wahrnehmung erzieherischer Aufgaben ist Gegenstand des karitativen
Wirkens der katholischen Kirche und ihrer Einrichtungen. Die mit erzieherischen Aufgaben
betrauten Mitarbeiter katholischer Dienstgeber verkörpern daher auch dann, wenn die
religiöse Unterweisung der von ihnen betreuten Kinder nicht Gegenstand ihrer Tätigkeit
ist, in besonderem Maße das Ethos der katholischen Kirche. Sie leisten im Sinne
christlicher Caritas unmittelbar Dienst am Menschen, der nach dem Ethos der katholischen
Kirche die Übereinstimmung mit ihren Glaubensüberzeugungen verlangt.
48 (b) Die Loyalitätserwartung des Beklagten ist auch nach der Art der vom Kläger
ausgeübten Tätigkeit gerechtfertigt. Besondere berufliche Anforderungen sind nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht nur dann
gegeben, wenn sie ein gleichsam handwerkliches Erfordernis darstellen, sondern auch
dann, wenn sie im Einklang mit der Richtlinie 2000/78/EG auf den religiösen Grundsätzen
des Arbeitgebers und der Bedeutung der Tätigkeit des betreffenden Arbeitnehmers für
diesen beruhen (so für das Gebot der ehelichen Treue nach dem Verständnis der
Mormonenkirche EGMR 23. September 2010 - 425/03 - [Obst] Rn. 51; vgl. ferner EGMR
3. Februar 2011 - 18136/02 - [Siebenhaar] Rn. 46).
49 (c) Im Übrigen ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG seinerseits primärrechtskonform
auszulegen (vgl. zu diesem Auslegungsgrundsatz EuGH 9. März 2006 - C-499/04 -
[Werhof] Rn. 32, Slg. 2006, I-2397; 1. April 2004 - C-1/02 - [Borgmann] Rn. 30, Slg. 2004, I-
3219). Mit Art. 17 AEUV (Konsolidierte Fassung, ABl. EG Nr. C 115 vom 9. Mai 2008,
S. 47) ist die sog. Amsterdamer Kirchenerklärung Bestandteil des europäischen
Primärrechts geworden. Danach achtet die Union den Status, den Kirchen und religiöse
Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren
Rechtsvorschriften genießen, „und beeinträchtigt ihn nicht“. Ob bereits dies eine
Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG im Sinne einer vollständigen
Wahrung des sich aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ergebenden
kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gebietet (so Fischermeier ZMV-Sonderheft zur
Fachtagung 2012 S. 30 ff.; ders. ZMV-Sonderheft 2009 S. 10 f.; ders. KR/Fischermeier
10. Aufl. Kirchl. ArbN Rn. 8; Schoenauer Die Kirchenklausel des § 9 AGG im Kontext des
kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts 2010 S. 136 f., 163 f.; vgl. auch BAG 26. Oktober
2006 - 6 AZR 307/06 - Rn. 43, BAGE 120, 55), bedarf keiner Entscheidung. Art. 4 Abs. 2
der Richtlinie 2000/78/EG steht der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, die allein
an das Merkmal der Religion anknüpft, jedenfalls dann nicht entgegen, wenn - wie hier -
die kirchlichen Vorgaben einer Plausibilitätskontrolle standhalten und die vom kirchlichen
Arbeitgeber gestellten beruflichen Anforderungen zugleich die Voraussetzungen einer
nach der Art der Tätigkeit gerechtfertigten Anforderung erfüllen.
50 II. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB für die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung ist
gewahrt. Der Beklagte hat am 23. Februar 2011 durch ein Mitglied seines Vorstands von
dem Kirchenaustritt des Klägers Kenntnis erlangt. Darüber wurde am 3. März 2011 ein
Gespräch mit dem Kläger geführt. Dazu war der Beklagte nach Art. 5 Abs. 1 GrO
verpflichtet. Mit diesem Gespräch wurde zeitlich nicht über Gebühr zugewartet, auch wenn
es nicht innerhalb einer Kalenderwoche stattfand. Das nach Art. 5 Abs. 1 GrO erforderliche
„klärende Gespräch“ soll durch „Beratung“ zu erreichen versuchen, dass der Mitarbeiter
den einer Weiterbeschäftigung entgegenstehenden Mangel auf Dauer beseitigt. Hierfür
erscheint im Streitfall eine Zeitspanne von neun Tagen seit dem Bekanntwerden des
Kirchenaustritts des Klägers mit Blick auf die nötige Vorbereitung nicht unangemessen.
Erst nach dem Gespräch stand fest, dass der Kläger an seiner Entscheidung festhalten
würde und welche Gründe ihn zu ihr bewogen hatten. Die zweiwöchige Frist des § 626
Abs. 2 BGB begann deshalb nicht vor diesem Zeitpunkt zu laufen. Durch die spätestens
am 16. März 2011 zugegangene Kündigung wurde sie eingehalten. Darauf, ob der
Eignungsmangel des Klägers nicht ohnehin als Dauertatbestand anzusehen ist, kommt es
nicht an.
51 III. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.
Kreft
Rinck
Rachor
Eulen
Bartz