Urteil des ArbG Bielefeld vom 11.06.2008

ArbG Bielefeld: betriebsrat, arbeitsgericht, vertretung, ausschluss, nichtigkeit, ausschuss, geschäftsordnung, verwaltung, rechtskraft, zusammenarbeit

Arbeitsgericht Bielefeld, 6 BV 37/08
Datum:
11.06.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Bielefeld
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 BV 37/08
Schlagworte:
ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss; Monatsgespräche, Ausschuss
Normen:
§§ 27, 33, 74 BetrVG
Leitsätze:
Jedem Betriebsratsmitglied steht jedenfalls dann das Recht zu, an den
Monatsgesprächen nach § 74 BetrVG teilzunehmen, wenn diese nicht
wirksam auf einen Ausschuss übertragen wurden.
Eine Vertretung durch den Vorsitzenden nach § 26 BetrVG findet nicht
statt.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Betriebsrats der R2
Heimstättengesellschaft zu Tagesordnungspunkt Nr. 3 des Protokolls
über die ordentliche Sitzung des Betriebsrates vom 22.04.2008 über die
Teilnahme an den Monatsgesprächen des Betriebsrates mit dem
Arbeitgeber durch die Betriebsratsmitglieder K1, G3 und B6 unter
Ausschluss der Antragsteller unwirksam ist.
Gründe :
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I.
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Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses.
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Der Beteiligte zu 3) (im Folgenden: Betriebsrat) ist der bei der Beteiligten zu 8) (im
Folgenden: Arbeitgeberin) gebildete Betriebsrat. Er besteht aus fünf Mitgliedern, nämlich
dem Vorsitzenden K1, Herrn G3, Herrn B6, Frau W3 und dem Beteiligten zu 1). Die
Beteiligte zu 2) ist Ersatzmitglied des Betriebsrats, jedoch aufgrund durchgängiger lang
andauernder Erkrankung des Mitglieds W3 mindestens im Zeitraum 22.04. – 11.06.2008
in den Betriebsrat nachgerückt.
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Die Arbeitgeberin beschäftigt weniger als 100 Arbeitnehmer.
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Ausweislich des Protokolls der Betriebsratssitzung vom 22.04.2008, wegen dessen
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Einzelheiten auf Bl. 4 + 5 d. A. Bezug genommen wird, fasste der Betriebsrat mit drei
"Ja" und zwei "Nein"-Stimmen den Beschluss, die Monatsgespräche nach § 74 BetrVG
in Zukunft nur durch die Mitglieder K1, G3 und B6 durchzuführen.
Mit einem am 02.05.2008 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz haben die
Antragsteller das vorliegende Beschlussverfahren anhängig gemacht.
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Die Antragsteller sind der Auffassung, der vom Betriebsrat unter 3) vom 22.04.2008
gefasste Beschluss sei rechtswidrig und unwirksam. § 74 BetrVG habe der Betriebsrat
an den Monatsgesprächen teilzunehmen. Dies bedeute, dass sämtliche
Betriebsratsmitglieder an den Gesprächen zu beteiligen seien. Eine wirksame
Übertragung auf einen Ausschuss oder einzelne Betriebsratsmitglieder sei nicht erfolgt.
Ebenso würden sie in den Monatsgesprächen durch den Beschluss nicht wirksam durch
die entsandten Mitglieder vertreten.
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Die Antragsteller beantragen,
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den Beschluss des Betriebsrates der R2 Heimstättengesellschaft zu
Tagesordnungspunkt Nr. 3 des Protokolls über die ordentliche Sitzung des
Betriebsrates vom 22.04.2008 über die Teilnahme an den Monatsgesprächen
des Betriebsrates mit dem Arbeitgeber durch die Betriebsratsmitglieder K1, G3
und B6 unter Ausschluss der Antragsteller für unwirksam zu erklären.
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hilfsweise,
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festzustellen, dass der Beschluss des Betriebsrates der R2
Heimstättengesellschaft zu Tagesordnungspunkt Nr. 3 des Protokolls über die
ordentliche Sitzung des Betriebsrates am 22.04.2008 über die Teilnahme an den
Monatsgesprächen des Betriebsrates mit dem Arbeitgeber durch die
Betriebsratsmitglieder K1, G3 und B6 unter Ausschluss der Antragsteller
unwirksam ist.
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Die Beteiligten zu 3) – 7) beantragen,
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die Anträge abzuweisen.
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Sie sind der Auffassung, der gestellte Antrag sei unzulässig. Die Antragsteller seien
nicht antragsbefugt. Beschlüsse des Betriebsrates unterliegen im Bezug auf die
Rechtswirksamkeit ihres Zustandekommens und ihres Inhalts nur eine eingeschränkte
Nachprüfbarkeit. Die Arbeitsgerichte durften nicht die Zweckmäßigkeit eines
Betriebsratsbeschlusses überprüfen. Beschlüsse außerhalb des Anwendungsbereichs
des § 19 BetrVG könnten mangels gesetzliche Grundlage nicht angefochten werden.
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Der Antrag sei aber auch unbegründet. Richtigkeitsgründe lägen nicht vor.
Insbesondere sei der Beschluss inhaltlich nicht zu beanstanden. Für die Durchführung
der monatlichen Besprechungen sei keine besondere Form vorgeschrieben. Es handelt
sich hierbei nicht um Betriebsratssitzungen, sodass der Betriebsrat während einer
solchen Beratung auch keine Beschlüsse fassen könne. Zudem sei das Nichtabhalten
von Monatsgesprächen auch sanktionslos, da es sich lediglich um eine Sollvorschrift
handele. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber in diesen
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Gesprächen auch durch eine kompetente Person vertreten lassen könne.
Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, wenn der Betriebsrat mit Mehrheit
den Beschluss gefasst habe, nur drei Mitglieder in die Monatsgespräche zu entsenden.
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Dies sei insbesondere dadurch veranlasst worden, dass aufgrund der Vergangenheit
geführter vielfältigen Verfahren des vormaligen Betriebsrats unter Vorsitz des
Antragstellers zu 1) gegen die Arbeitgeberin bzw. individualrechtliche gerichtliche
Auseinandersetzungen zwischen dem Antragsteller zu 1) und der Arbeitgeberin das
Verhältnis zwischen diesen belastet sei. Ebenso habe der Antragsteller zu 1) in seiner
Tätigkeit als Vorsitzender des vormals gewählten Betriebsrates erklärt, dass er sich mit
dem Arbeitgeber nicht an einen Tisch setzen wolle.
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Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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II.
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Der Hauptantrag ist zulässig und begründet.
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Die Antragsteller verfolgen ihr Begehren zu Recht im arbeitsgerichtlichen
Beschlussverfahren nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG. Zwischen den Beteiligten ist
eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit streitig, nämlich die Wirksamkeit des
Betriebsratsbeschlusses über die Entsendung von lediglich drei Mitgliedern in die
Monatsgespräche vom 22.04.2008.
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Die Antragsbefugnis der Antragsteller sowie die Beteiligung der übrigen Beteiligten
ergeben sich aus den § 10, 83 Abs. 3 ArbGG. Die Arbeitgeberin war im vorliegenden
Verfahren auch zu beteiligen, da sie in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung
insoweit betroffen ist, als durch diesen Beschluss entschieden wird, wer ihr als
Gesprächspartner in den Monatsgesprächen gemäß § 74 BetrVG gegenübersitzt.
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Der Antrag ist entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3) – 6) zulässig.
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Die Beschlussfassung des Betriebsrates findet nach den Regeln des § 33 BetrVG statt.
Streitigkeiten hierüber sind im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu führen. Im
Rahmen der Rechtskontrolle können die Arbeitsgerichte auch die Unwirksamkeit von
Betriebsratsbeschlüssen feststellen, wenn diese nichtig sind (vgl. ErfK/Eisemann, 5.
Aufl. § 33 RNr. 6).
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Der von den Antragstellern gestellte Hauptantrag ist auch zulässig, da die Auslegung
desselben ergibt, dass schon hierdurch der in dem mündlichen Anhörungstermin am
11.06.2008 hilfsweise gestellte Feststellungsantrag, gemeint war.
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Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses
nur bei Nichtigkeit desselben eintreten kann (vgl. ErfK/Eisemann, a.a.O.). Entsprechend
der Terminologie im Rahmen des Wahlanfechtungsverfahrens nach § 19 BetrVG kann
insoweit ein Tenor eines gerichtlichen Beschlusses lediglich feststellenden Charakter
haben. Eine bloße Anfechtbarkeit, die erst mit Rechtskraft der gerichtlichen
Entscheidung die gestaltende Wirkung der Unwirksamkeit hat, gibt es bei
Betriebsratsbeschlüssen nicht.
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Angesichts dieses Umstandes ergibt sich aus dem in der Antragsschrift dargelegten
Begehren der Antragsteller hinreichend deutlich, dass sie die Unwirksamkeit, d. h. die
Nichtigkeit des Betriebsratsbeschlusses vom 22.04.2008 festgestellt wissen wollen. Die
hiervon abweichende Formulierung ist insoweit unschädlich.
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Der Antrag ist auch der Sache nach begründet. Der Beschluss des Betriebsrats vom
22.04.2008 ist nichtig. Nichtigkeit ist u. a. dann gegeben, wenn der Beschluss einen
gesetzeswidrigen Inhalt hat (vgl. ErfK/Eisemann, a.a.O.).
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Dies ist vorliegend der Fall, weil der vom Betriebsrat gefasste Beschluss gegen die
Regelung des § 74 BetrVG verstößt.
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Nach § 74 BetrVG sind die Monatsgespräche zwischen dem Arbeitgeber und dem
Betriebsrat zu führen. Die Formulierung "der Betriebsrat" beinhaltet, dass das Gremium
und damit alle Betriebsratsmitglieder hieran teilnehmen sollen.
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Dies begründet zunächst einmal das Recht eines jeden einzelnen Betriebsratsmitglieds
an den Monatsgesprächen auch teilzunehmen. Unerheblich ist, ob auch jedes einzelne
Betriebsratsmitglied zur Teilnahme verpflichtet ist. Zumindest steht im das Recht an der
Teilnahme zu.
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Ob die Wahrnehmung der Monatsgespräche durch den Betriebsrat wirksam auf den
Betriebsausschuss nach § 27 BetrVG oder andere gesondert gebildete Ausschüsse
nach § 28 BetrVG übertragen werden kann, brauchte vorliegend nicht entschieden zu
werden. Die Beschlussfassung des Betriebsrates kann nicht in die konkludente Bildung
eines Betriebsausschusses oder anderen Ausschusses umgedeutet werden, da die
Voraussetzungen für die Bildung solcher Ausschüsse nicht vorliegen. Der Betriebsrat
verfügt nämlich nicht über neun und mehr Mitglieder und die Arbeitgeberin beschäftigt
nicht mehr als 100 Arbeitnehmer.
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Durch den Betriebsratsbeschluss sind den Mitgliedern K1, G3 und B6 auch nicht
wirksam gemäß § 27 Abs. 3 BetrVG die Wahrnehmung laufender Geschäfte des
Betriebsrates zugewiesen worden. Die Teilnahme an den Monatsgesprächen sind
nämlich keine laufenden Geschäfte im Sinne des § 27 Abs. 3 BetrVG. Laufende
Geschäfte im Sinne dieser Vorschrift sind die internen verwaltungsmäßigen und
organisatorischen Aufgaben des Betriebsrats (vgl. ErfK/Eisemann, 5. Aufl., § 27 RNr. 6).
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Die Teilnahme an dem Monatsgespräch beschränkt sich jedoch nicht nur auf die interne
organisatorische Verwaltung des Betriebsrats. Auch wenn in diesen Monatsgesprächen
keine Beschlüsse oder den Betriebsrat bindenden Vereinbarungen getroffen werden
können, so geht die Bedeutung dieser Gespräche nach Auffassung der Kammer über
interne organisatorische Verwaltungsakte des Betriebsrats hinaus. Auch wenn, worauf
die Beteiligten zu 3) – 6) zutreffend hinweisen, der § 74 systematisch im 4. Teil des
Betriebsverfassungsgesetzes geregelt ist, der das Gebot der vertrauensvollen
Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG konkretisiert, geht der Sinn und Zweck der
Monatsgespräche über diesen Auftrag hinaus. Nach Auffassung der Kammer sollen
diese Gespräche auch gewährleisten, dass sämtliche Betriebsratsmitglieder über die
unmittelbare Information verfügen, welche regelungsbedürftigen Punkte zwischen den
Betriebsparteien angesprochen werden. Auch die jeweiligen Standpunkte sollen jedem
einzelnen Betriebsratsmitglied unmittelbar zur Verfügung stehen. Nur so ist es
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gewährleistet, dass jedes Betriebsratsmitglied in den sich möglicherweise
anschließenden internen Beratungen und Beschlussfassungen, die aus den in den
Monatsgesprächen angesprochenen Regelungsstreitigkeiten folgen, sich voll
umfassend einbringen kann.
Aus diesen Gründen sieht die Kammer in der Regelung des § 74 BetrVG das nicht
wegnehmbare Recht eines jeden einzelnen Betriebsratsmitglied an den
Monatsgesprächen mit dem Arbeitgeber teilzunehmen.
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Aufgrund der gleichen Überlegungen, weshalb die Teilnahme an den
Monatsgesprächen nicht zu den laufenden Geschäften im Sinne des § 27 Abs. 3 BetrVG
gehören, kann in dem Beschluss des Betriebsrates vom 22.04.2008 auch nicht die
Verabschiedung einer Geschäftsordnung im Sinne des § 36 BetrVG gesehen werden.
Auch insoweit kann Regelungsgegenstand einer solchen Geschäftsordnung nur die
Innenorganisation der Arbeit des Betriebsrates sein. Dass die Teilnahme an den
Monatsgesprächen hierüber hinausgeht, ist oben dargestellt worden.
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Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3) – 6) werden die Antragsteller auch nicht
aufgrund des Mehrheitsbeschlusses vom 22.04.2008 durch die entsandten Mitglieder
K1, G3 und B6 vertreten.
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Richtig ist zwar, dass der Arbeitgeber sich in den Monatsgesprächen vertreten lassen
kann. Die Vertretung des Betriebsrats ist jedoch, soweit es die Wahrnehmung seiner
betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben angeht, im Betriebsverfassungsgesetz
gesondert geregelt.
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Soweit gemäß § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat im
Rahmen der gefassten Beschlüsse vertritt, beinhaltet dies keine Ermächtigung, aufgrund
eines Betriebsratsbeschlusses allein den Vorsitzenden mit der Führung der
Monatsgespräche zu beauftragen.
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Die Vertretung der gefassten Beschlüsse beschränkt sich allein auf die Durchführung
der vom Betriebsrat gefassten Beschlüsse gegenüber Dritten. Dies ist beispielsweise
die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Einleitung eines Beschlussverfahrens, sofern
der Betriebsrat hierüber einen Beschluss gefasst hat oder die Unterzeichnung einer
Betriebsvereinbarung, wenn deren Inhalt durch Beschluss des Betriebsrates abgestimmt
ist.
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Nicht hierunter kann jedoch eine generelle Aufgabenübertragung ohne konkreten Bezug
zu einem Einzelfall zählen. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 27 Abs. 3 BetrVG,
nachdem dem Vorsitzenden oder einem anderen Betriebsratsmitglied nur die laufenden
Geschäfte des Betriebsrates zur alleinigen Wahrnehmung übertragen werden können.
Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass andere Aufgaben als die laufenden Geschäfte
nicht pauschal übertragen werden können. Ansonsten wäre die Regelung des § 27 Abs.
3 BetrVG überflüssig.
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Auch aus der dezidierten Regelung in §§ 27, 28 BetrVG, unter welchen
Voraussetzungen Aufgaben des Betriebsrates zur eigenständigen Wahrnehmung auf
Ausschüsse übertragen werden können, ergibt sich, dass außerhalb des
Anwendungsbereiches dieser Vorschrift eine pauschale generelle Übertragung von
originären Betriebsratsaufgaben auf einzelne Mitglieder nicht zulässig ist.
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Vor diesem Hintergrund können der Betriebsrat und die Beteiligten zu 4) – 6) sich
vorliegend nicht auf die allgemeinen Stellvertretungsregeln nach § 164 BGB berufen.
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Aus den vorstehenden Gründen war dem Hauptantrag in der durch Auslegung
gewonnenen Fassung zu entsprechen. Der Hilfsantrag fiel nicht mehr zur Entscheidung
an.
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Diese Entscheidung ergeht gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskosten- und auslagenfrei.
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Dr. Vierrath
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