Urteil des AG Kerpen vom 08.11.2005

AG Kerpen: zwangsvollstreckung, freiwillige leistung, deckung, grundsatz der gleichbehandlung, anfechtung, gewaltenteilung, geschäftsführer, zahlungsunfähigkeit, entstehungsgeschichte, zwangsmittel

Amtsgericht Kerpen, 22 C 158/05
Datum:
08.11.2005
Gericht:
Amtsgericht Kerpen
Spruchkörper:
Abt. 22
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 C 158/05
Leitsätze:
Es stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und
gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar, wenn der BGH bei einer
unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erwirkten Zahlung des
späteren Insolvenzschuldners auf eine titulierte Forderung innerhalb der
-kritischen Zeit- eine sog. -inkongruente Deckung- im Sinne von § 131
InsO annimmt.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den
Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Als Sicherheit genügt stets eine selbstschuldnerische, unwiderrufliche
Bürgschaft einer deutschen Großbank, einer öffentlich-rechtlichen
Sparkasse oder einer sonstigen, als Zoll- oder Steuerbürge
zugelassenen beziehungsweise dem Einlagensicherungsfonds
angeschlossenen Bank.
T a t b e s t a n d :
1
Mit Beschluß des Amtsgerichts/Insolvenzgerichts C2 vom 18.6.2004 (98 IN 25/04)
wurde über das Vermögen der K.-GmbH, C2 (im folgenden: Schuldnerin), das
Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Dem
Insolvenzverfahren liegt ein Insolvenzeröffnungsantrag vom 26.1.2004 zugrunde.
2
Noch vor der Stellung des Insolvenzantrages hatte der Beklagte die Schuldnerin
3
gerichtlich auf Zahlung in Anspruch genommen und einen Titel erwirkt. In der Folgezeit
betrieb der Beklagte die Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin. Im Rahmen der
Vollstreckung vereinnahmte der Gerichtsvollzieher S. am 13.1.2004 einen Betrag in
Höhe von 3.000 € und am 20.1.2004 einen weiteren Betrag in Höhe von 481,99 €
zugunsten des Beklagten.
Der Kläger meint, daß ihm ein Anfechtungsrecht nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zustehe.
Die Leistungen der Schuldnerin seien unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erfolgt.
Deshalb sei nach der Rechtsprechung des BGH von einer inkongruenten Deckung
auszugehen. Hilfsweise behauptet der Kläger, daß dem Beklagten bei der Durchführung
der Vollstreckungsmaßnahmen bekannt gewesen sei, daß die Schuldnerin
zahlungsunfähig gewesen sei. Die Anfechtung sei daher auch nach § 130 InsO
berechtigt.
4
Er beantragt,
5
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.481,99 € nebst 5 % Zinsen über dem
(jeweiligen) Basiszinssatz seit dem 9.12.2004 zu zahlen.
6
Der Beklagte beantragt,
7
die Klage abzuweisen.
8
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftwechsel der Parteien sowie auf das
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2005 Bezug genommen.
9
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
10
Die Klage ist nicht begründet.
11
Der Kläger hat die von der Schuldnerin unter dem 13. und 20.1.2004 erbrachten
Zahlungen an den Beklagten nicht mit Erfolg anfechten können.
12
Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, der vom Kläger dargelegten Rechtsprechung
des BGH zu folgen.
13
Der BGH geht inzwischen in ständiger Rechtsprechung (vgl. zunächst Urteil vom
9.9.1997 - IX ZR 14/97 -, BGHZ 136, 309 ff. = NJW 1997, 3445; Urteil vom 15.11.1990 -
IX ZR 92/90 -, WPM 1991, 150; Urteil vom 15.12.1994 - IX ZR 24/94 -, WPM 1995, 446;
Urteil vom 20.11.2001 - IX ZR 159/00 -, ZIP 2002, 228) davon aus, daß die Abgrenzung
von kongruenten zu inkongruenten Leistungen des Schuldners nicht alleine mit Blick
darauf bestimmt werden kann, ob der Gläubiger die Leistung zu beanspruchen hatte.
Maßgeblich soll vielmehr auch sein, ob die Leistung "mit Hilfe hoheitlicher
Zwangsmittel" erreicht wurde.
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Diese Rechtsprechung des BGH verstößt nach Auffassung des Gerichts gegen den
Grundsatz der Gewaltenteilung sowie gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegten
Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Rechtsprechung des BGH erweist sich daher
nach Auffassung des Gerichts sogar als verfassungswidrig.
15
Im einzelnen:
16
Besitzt der Gläubiger einen (fälligen oder gar titulierten) Anspruch auf die Leistung (im
Sinne von § 131 InsO), so ist nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich der
Anwendungsbereich des § 130 InsO eröffnet. Zahlt der Schuldner freiwillig, so hat es
nach der Rechtsprechung des BGH auch dann dabei zu verbleiben, wenn für die
Gesamtheit der Gläubiger keine Aussicht mehr besteht, sich noch aus anderen
Vermögensgegenständen volle Deckung zu verschaffen. In einem solchen Fall sieht der
BGH zwar den "Gleichbehandlungsgrundsatz" als verletzt an; dieser Verstoß
rechtfertige es aber nicht, auf die erweiterten Anfechtungsrechte zurückzugreifen (vgl.
a.a.O., Urteil vom 9.9.1997 unter II. 1a; ergangen noch zu § 30 Nr. 2 KO).
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Anders soll die Rechtslage nach Auffassung des BGH indessen dann zu beurteilen
sein, wenn neben dem "Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz" noch hinzu
komme, "daß der Gläubiger seine Rechtsposition mit Hilfe von staatlichen
Zwangsmitteln durchgesetzt hat" wobei unerheblich sein soll, ob der Schuldner gerade
zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet hat. Denn in der "kritischen Zeit"
solle eine Ungleichbehandlung nicht mehr durch staatliche Machtmittel erzwungen
werden.
18
Dieser Rechtsprechung des BGH vermag sich das Gericht nicht anzuschließen.
19
Die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners orientiert sich weithin an
dem Prinzip der Priorität. Danach ist der Gläubiger privilegiert, der vor den anderen
Gläubigern Zugriff auf das Vermögen des Schuldners nimmt. Kommt es im weiteren
Verlauf zu der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, so differenziert das Gesetz
bezüglich der Anfechtungsbefugnis des Insolvenzverwalters danach, ob ein Fall einer
sog. "kongruenten" oder ein solcher einer "inkongruenten" Deckung gegeben ist. In §
131 InsO hat der Gesetzgeber dabei (mittelbar) den Fall der inkongruenten Deckung
dadurch definiert, daß der Gläubiger eine Sicherung oder eine Befriedigung erlangt, "die
er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit" beanspruchen konnte.
20
Eine "kongruente" Deckung ist demgegenüber dann anzunehmen, wenn der Gläubiger
eine Sicherung oder eine Befriedigung erlangen konnte, die er (in dieser Form) auch
beanspruchen konnte.
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Dem Aufbau der unterschiedlichen Anfechtungsrechte ist dabei zweifelsfrei zu
entnehmen, daß für die Frage des Anfechtungserfolges eine doppelte Prüfung durch die
Gerichte vorzunehmen ist: In einem ersten Schritt ist durch die Gerichte zu prüfen, ob ein
Fall einer kongruenten oder ein Fall einer inkongruenten Deckung vorliegt. Erst nach
dieser Prüfung ist sodann weiter zu untersuchen, ob die Voraussetzungen des § 130
InsO (kongruente Deckung) bzw. die - erleichterten - Voraussetzungen des § 131 InsO
gegeben sind.
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Ausgehend von dem Wortlaut des Gesetzes kann kein Zweifel daran bestehen, daß es
für die Unterscheidung der beiden Fälle der Deckung (kongruent oder inkongruent) nicht
auf die Frage ankommt, auf welche Weise der Gläubiger in den Besitz der Leistung
gekommen ist. Nach dem Gesetz kann die Leistung sowohl auf einer freiwilligen
Entschließung des Schuldners als auch auf einer Maßnahme der Zwangsvollstreckung
beruhen. Schließlich kann die Vermögensverschiebung auch als "freiwillige" Leistung
unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erfolgt sein.
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In der Entscheidung vom 9.9.1997 hat der BGH (wiederum unter II. 1a) unter anderem
darauf hingewiesen, daß dem Gesetzgeber (der Konkursordnung) diese
unterschiedlichen Grundlagen für die Vermögensverschiebung durchaus bekannt
gewesen sind. So habe der Gesetzesentwurf zur KO ursprünglich die Formulierung
"Rechtshandlungen des Schuldners" vorgesehen. Um klarzustellen, daß auch im
Vollstreckungswege vorgenommene "Handlungen" erfaßt werden sollen, seien die
Worte "des Schuldners" in § 30 Nr. 2 KO gestrichen worden. Der BGH zitiert in diesem
Zusammenhang ein Protokoll der Reichstagskommission, 2. Legislaturperiode, II.
Session vom 11.11.1875, S. 21).
24
Das Datum läßt aufhorchen: Denn der Entstehungsgeschichte der Norm läßt sich somit
entnehmen, daß das Problem der Vermögensverschiebung auf einer erzwungenen
Handlung bereits vor rund 130 Jahren erkannt wurde. Gleichwohl hat es der
Gesetzgeber zu keinem Zeitpunkt für erforderlich gehalten, das Anfechtungsrecht
danach differenziert auszugestalten, ob eine "freiwillige Leistung", eine "erzwungene
Zahlung" oder eine "richtige Zwangsvollstreckungsmaßnahme" die Grundlage für die
Sicherung oder die Befriedigung des Gläubigers darstellt.
25
Definiert der Gesetzgeber aber die kongruente bzw. inkongruente Deckung ohne
Rücksicht darauf zu nehmen, auf welcher "Basis die Rechtshandlung" beruht, so dies
für die Rechtsfindung hinzunehmen. Dieser Verzicht des Gesetzgebers auf eine weitere
Normierung kann nämlich nur so verstanden werden, daß die im Wege der
Zwangsvollstreckung herbeigeführte Befriedigung in gleicher Weise Bestand haben
soll, wie die freiwillige Befriedigung des Gläubigers. Der Wortlaut von §§ 130 und 131
InsO bietet daher auch keinerlei Anhaltspunkt für die "Auslegung" des BGH, wonach die
Leistungen des Schuldners - wenn sie nur unter dem Druck von staatlichen
Zwangsmitteln innerhalb der "kritischen" Zeit bewerkstelligt wurden - stets mit der
Fiktion einer inkongruenten Deckung einhergehen müßte. Indem der BGH auf diese
Weise gleichsam ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Vorschrift des § 130
InsO "hineinliest" (die Befriedigung darf nicht in der kritischen Phase im Wege der
Zwangsvollstreckung erreicht sein) verstößt er gegen das Gebot der Gewaltenteilung.
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Der vorstehend dargelegte Verstoß des BGH gegen die Gewaltenteilung läßt sich nicht
mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte der §§ 88, 130 f. InsO rechtfertigen.
Allerdings meint Kirchhof, daß der Gesetzgeber diese Rechtsprechung des BGH
"gebilligt" habe (ZInsO 2004, 1168 [1169]).
27
Dies hält einer kritischen Betrachtung nicht stand.
28
Die Insolvenzordnung stammt aus dem Jahre 1994 (Gesetz vom 5.10.1994, BGBl. I S.
2866). Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung kann daher die Rechtsprechung,
welche in dieser Ausprägung vom BGH erst seit 1997 verfolgt wird (vgl. das Urteil vom
9.9.1997 -IX ZR 14/97 = BGHZ 136, 309 = NJW 1997, 3445), nicht bekannt gewesen
sein. Dem Gesetzgeber kann vielmehr nur die Rechtsprechung zur "Rückschlagsperre"
bekannt gewesen sein (vgl. jetzt § 88 InsO). Danach war entscheidend, ob sich eine
"inkongruente Sicherung" noch rechtzeitig vor der Insolvenzeröffnung in eine
"kongruente Befriedigung" umgewandelt hatte, was vielfach alleine vom Zufall (der
Geschwindigkeit der Pfandversteigerung) abhing (vgl. dazu Kirchhof, a.a.O., S. 1169 li.
Spalte). Auch wenn dem Gesetzgeber diese Rechtsprechung bekannt gewesen ist (und
er sie gebilligt hat), so bleibt festzuhalten, daß dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung
der Anfechtungsrechte die von dem BGH erst Jahre später eingeführte Differenzierung
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(freiwillige Zahlung bzw. Zahlung unter dem Druck bzw. im Wege der
Zwangsvollstreckung) nicht bekannt gewesen sein kann und er diese Unterscheidung
für das Anfechtungsrecht in den Vorschriften der Insolvenzordnung auch nicht angelegt
hat.
Die von Kirchhof angegebenen Fundstellen (vgl. a.a.O. Fn. 6 f.) aus dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 137 und S. 156) lassen dann auch nur
erkennen, daß sich der Gesetzgeber bewußt war, daß neben der sog.
"Rückschlagsperre" - natürlich - noch ein Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters
bestehen und dieses zugunsten der Masse ausgeübt werden kann. In keiner Weise
kann aber dem Gesetzesentwurf entnommen werden, daß der Gesetzgeber allgemein
alle "in der kritischen Phase" (des § 131 InsO) unter dem Druck oder im Wege der
Zwangsvollstreckung erreichten Leistungen einem Anfechtungsrecht des
Insolvenzverwalters hätte zuführen wollen. Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf der
Bundesregierung verweist in seinen Ausführungen zu § 146 InsO (Entwurf, vgl. heute §
131 InsO) nur auf die in § 99 InsO (Entwurf, vgl. jetzt § 88 InsO) enthaltene
Rückschlagsperre. Danach werden "Sicherungen" unter bestimmten Voraussetzungen
"ipso iure unwirksam" (vgl. a.a.O. S. 158 re. Spalte unten). Welche besonderen
Anfechtungsmöglichkeiten bei einer Befriedigung des Gläubigers im Wege der
Zwangsvollstreckung zur Entstehung kommen könnten, ist ersichtlich nicht erwogen
worden. Aber selbst wenn der Gesetzgeber dies seinerzeit so bedacht haben sollte -
wofür Anhaltspunkte nicht auszumachen sind -, so ist eine solche Regelung jedenfalls
nicht Gesetz geworden. Denn § 130 InsO differenziert (wie oben ausgeführt) gerade
nicht hinsichtlich der Art und Weise, auf welche der Gläubiger seine Befriedigung vom
Schuldner erhalten hat.
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Neben dem Verstoß gegen die Gewaltenteilung verstößt die vom BGH vorgenommene
"Auslegung" von §§ 130, 131 InsO nach Auffassung des Gerichts auch gegen den
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
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Bereits oben ist dazu dargestellt worden, daß auch nach der Rechtsprechung des BGH
der Anwendungsbereich von § 130 InsO (bzw. früher § 30 Nr. 1 KO) nicht verlassen
wird, wenn der Schuldner freiwillig leistet. In diesen Fällen liege zwar ein Verstoß gegen
die Gleichbehandlung aller Gläubiger vor, wenn das restliche Vermögen des
Schuldners mutmaßlich nicht mehr ausreiche, um alle Gläubiger zu befriedigen;
gleichwohl könnte die Anfechtung nur unter den Voraussetzungen des § 30 Nr. 1 KO
(bzw. jetzt § 130 InsO) erfolgen (vgl. NJW 1997, 3445 unter II. 1a).
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Anders sollen die Dinge - wie dargestellt - erst dann liegen, wenn die
Ungleichbehandlung durch stattliche Zwangsmittel durchgesetzt worden ist.
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Diese Differenzierung ist unter dem Blickwinkel des Gleichbehandlungsgrundsatzes
nicht haltbar.
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So sind besonders die Gläubiger schützenswert, welche in entfernten Verhältnis zum
Schuldner stehen. Diesem Gedanken hat die InsO für das Anfechtungsrecht durch § 130
Abs. 3 InsO Rechnung getragen. Steht der Gläubiger nämlich in einem besonders
nahen Verhältnis zum Schuldner (vgl. §§ 130, Abs. 3, 138 InsO), so erleichtert dies dem
Insolvenzverwalter die Anfechtung erheblich.
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Soziologisch ist nicht zu bezweifeln, daß viele Schuldner im Verhältnis zu ihren
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Gläubigern Differenzierungen vornehmen. So befriedigen Schuldner erfahrungsgemäß
nicht alle Gläubiger in gleicher Weise. Es ist daher zu befürchten, daß die Gläubiger,
welche dem Schuldner "näher stehen" - ohne daß § 130 Abs. 3 InsO eingreift - "eher" zu
ihrem Geld kommen werden, als diejenigen, welche in einem gespannten Verhältnis
zum Schuldner stehen. Gerade die letztgenannte Gruppe ist daher unter dem
Blickwinkel der Gleichbehandlung der Gläubiger besonders schützenswert. Bei diesen
Gläubigern ist nämlich nicht zu erwarten, daß der Schuldner freiwillig Leistungen an sie
erbringen wird. Diese Gruppe von Gläubigern ist daher auch am ehesten darauf
angewiesen, den Schuldner erst auf dem mühsamen Wege eines Erkenntnisprozesses
in Anspruch zu nehmen und einen Titel zu erstreiten, was wiederum zusätzlich Zeit
kostet.
Gerade diese Gruppe von Gläubigern wird nun aber in einer nicht hinzunehmenden
Weise vom BGH benachteiligt. Zahlt der Schuldner nämlich freiwillig (im Zweifel an ihm
"nahe stehende Gläubiger" was nicht im technischen Sinne des § 130 Abs. 3 InsO
gemeint ist), so soll diese Rechtshandlung (nur) unter § 130 InsO fallen; zahlt der
Schuldner indessen unter Zwang an ihm fernstehende Gläubiger, so wird vom BGH
fingiert, daß eine inkongruente Deckung vorliegt, wenn dies nur zeitlich in den Rahmen
von § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO fällt.
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Nach Auffassung des Gerichts ist damit in eklatanter Weise ein Verstoß gegen Art. 3
Abs. 1 GG verbunden. Denn aufgrund der oben dargestellten Wertungen des
Gesetzgebers und der nachvollziehbaren Beweggründe der Beteiligten müßte die
erzwungene Leistung gegenüber der freiwilligen Leistung eher privilegiert werden.
Denn gerade die freiwilligen Leistungen des Schuldners müssen von dem Gesetz und
den Gerichten deshalb besonders argwöhnisch betrachtet werden, weil sich bei ihnen
die Gefahr einer "Günstlingswirtschaft" und einer willkürlichen Benachteiligung von
anderen Gläubigern besonders aufdrängt (was exakt den Hintergrund für die
Vorschriften der §§ 130 Abs. 3, 138 InsO abgibt). Diese Ungleichbehandlung kann
gerade angesichts der auch von Kirchhof angesprochenen Entstehungsgeschichte der
Insolvenzordnung nicht überzeugen. So wird auf S. 82 des Gesetzesentwurfes der
Bundesregierung (Drucksache 12/2443) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß "im
Vorfeld einer herannahenden, oftmals geradezu geplanten Insolvenz erhebliche
Vermögenswerte auf Dritte übertragen und so ihren Gläubigern (entzogen werden)".
Damit soll aber gerade der freiwillige Vermögenstransfers einer kritischen Wertung
unterzogen werden.
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Weiter vermag das Gericht nicht zu erkennen, daß dem Gläubiger, der erfolgreich
vollstreckt, ein Verstoß gegen "die Gleichbehandlung aller Gläubiger" vorgeworfen
werden könnte.
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Auszugehen ist dabei davon, daß jedem Gläubiger außerhalb des
Anwendungsbereichs der InsO ein Anspruch auf staatliche Gleichbehandlung zukommt.
Jedem Gläubiger muß daher die Möglichkeit geboten werden, seinen Anspruch zu
titulieren und diesen sodann mit den Mitteln der Vollstreckung durchzusetzen.
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Ureigenste Aufgabe des Gesetzgebers ist es nun zu bestimmen, wann diese Form der
Einzelzwangsvollstreckung nicht mehr zur Verfügung gestellt werden soll, weil die
Gläubiger (mit oder ohne Titel) gleichsam eine "Gefahrengemeinschaft" bilden und sich
diese Gemeinschaft den Rest des zur Verteilung zur Verfügung stehenden Vermögens
"gerecht" aufteilen soll. Daraus folgt zugleich, daß alle Gläubiger bis zu der
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maßgeblichen Zäsur - die alleine vom Gesetzgeber zu bestimmen ist - mit den gleichen
rechtlichen Möglichkeiten in der Lage sein müssen, nach einem Vollstreckungserfolg zu
suchen. Gelingt es daher einem Gläubiger noch innerhalb der "kritischen" Zeit
erfolgreich zu vollstrecken, so muß er sich nicht nachträglich den Vorwurf gefallen
lassen, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen zu haben. Ein solcher
Vorwurf ist schon deshalb haltlos, weil zunächst alle Gläubiger in gleicher Weise
berechtigt sind, sich der staatlichen Organe zu bedienen, um mit ihrer Hilfe ihr Recht
durchzusetzen (kritisch gegenüber der Rechtsprechung des BGH daher zu Recht auch
Pape, WuB VI C. § 131 InsO 3.02, Anmerkung zum Urteil des BGH vom 11.4.2002 - IX
ZR 211/01 -).
Das Gericht verkennt nicht, daß dies für Gläubiger, die keine Vollstreckung betrieben
haben oder denen kein Vollstreckungserfolg beschieden war, schmerzhaft sein kann.
Denn naturgemäß sinkt die Quote, auf deren Erfüllung sie im Insolvenzverfahren hoffen
können, mit jeder erfolgreichen Vollstreckung (die nicht angefochten werden kann).
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Unverkennbar ist allerdings auch, daß es gerade die Aufgabe des Gesetzgebers ist, hier
die Grenze zu definieren, innerhalb welcher noch Erfolge in der
Einzelzwangsvollstreckung anzuerkennen sind und wann diese Grenze überschritten
ist.
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Einen Anspruch auf Gleichbehandlung haben die Gläubiger daher auch nur innerhalb
des Systems, welches vom Gesetzgeber geschaffen worden ist. Der Gläubiger, der über
einen fälligen Anspruch verfügt, muß sich daher nur an § 130 InsO messen lassen (die
Sondervorschrift des § 133 InsO sei hier ausgeklammert). Unterliegt die
Rechtshandlung des Schuldners oder die Zwangsvollstreckung nach dieser Vorschrift
nicht der Anfechtung, kann dem Gläubiger mithin auch nicht Vorwurf gemacht werden,
sich auf Kosten anderer Gläubiger bereichert zu haben.
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In der Fallgruppe der kongruenten Deckung kommt es jetzt allerdings aufgrund der
abzulehnenden Rechtsprechung des BGH zu signifikanten Ungleichbehandlungen.
Denn während sich der Empfänger einer "freiwilligen Leistung" nur im Rahmen von §
130 InsO einer Anfechtung stellen muß, wird für den Gläubiger der "erzwungenen
Leistung" von der Rechtsprechung fingiert, daß er gar keinen fälligen Anspruch auf die
Leistung besessen habe (und somit § 131 InsO greift). Damit wird aber das vom
Gesetzgeber geschaffene System der Anfechtungsrechte partiell ausgehöhlt und eine
Ungleichbehandlung erst geschaffen, die zudem noch an einem Merkmal festgemacht
wird ("durch staatliche Machtmittel erzwungen"), welches dem Tatbestand der
Anfechtungsrechte gänzlich fremd ist. Daß dies systematisch nicht zu überzeugen
vermag, liegt auf der Hand.
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Gegen die Rechtsprechung des BGH ist schließlich noch einzuwenden, daß der
Gläubiger, der sich staatlicher Zwangsmittel bedienen muß, um sein Recht
durchzusetzen, ohnehin einem viel höheren Anfechtungsrisiko ausgesetzt ist, als wenn
der Gläubiger noch vorhandenes Vermögen freiwillig (und sicherlich nicht an ihm lästig
gewordene Schuldner) hergibt. Denn neben den Vorschriften der §§ 130 und 131 InsO
ist noch § 133 InsO ins Blickfeld zu nehmen. Nach dieser Vorschrift sind
Rechtshandlungen des Schuldners, die dieser innerhalb von zehn Jahren vor dem
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder nach diesem Antrag) vorgenommen
hat anfechtbar, wenn sie von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz getragen wurden
und der Leistungsempfänger dies wußte. Je mehr Druck nun aber ein Gläubiger machen
46
muß, um überhaupt an "sein Geld zu kommen", um so eher wird sich bei dem Gläubiger
ein Rückschluß dazu aufdrängen müssen, daß der Schuldner nicht mehr in dem
erforderlichen Umfang zahlungsfähig ist. Für diese Konstellation sei beispielhaft auf ein
Urteil des BGH vom 17.7.2003 (IX ZR 272/02) verwiesen.
Nach Auffassung des Gerichts besteht keinerlei Veranlassung, über die Vorschrift des §
133 InsO (mit ihren speziellen Gefahren für den "Druck machenden Gläubiger") hinaus
noch in § 130 InsO ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dergestalt hineinzulesen,
daß die Leistung nicht durch den Einsatz staatlicher Machtmittel erzwungen worden
sein darf. Vielmehr hat es bei der Anwendung der §§ 130 ff. InsO bei den
tatbestandlichen Strukturen zu verbleiben, welche der Gesetzgeber vorgesehen hat.
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Die Rechtsprechung des BGH läßt sich auch nicht mit den Gründen halten, welche die
Klägervertreter auf den Hinweis des Gerichts vom 28.8.2005 (vgl. Bl. 34 f. GA) mit
Schriftsatz vom 14.9.2005 (Bl. 39 ff. GA) unterbreitet haben. Im Gegenteil. Gerade der
Regelung des § 88 InsO ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber das Problem der
Vollstreckung vor der Verfahrensöffnung sehr wohl gesehen, dies aber für die
Anfechtungsrechte nicht in einer Weise gelöst hat, wie dies dem BGH vorschwebt.
Gleiches gilt für die von den Klägervertretern angesprochenen §§ 114 Abs. 3 und 321
InsO. Auch diese Vorschriften belegen, daß der Gesetzgeber ein geschlossenes System
geschaffen hat, welches von der Rechtsprechung nicht einfach "aufgebrochen" werden
darf.
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Nach alledem kann der Kläger nicht mit Erfolg geltend machen, daß sich sein
Anfechtungsrecht nach § 131 InsO richte. Denn unstreitig verfügte der Beklagte
gegenüber der Schuldnerin über einen fälligen (und sogar titulierten) Anspruch auf
Zahlung der 3.481,99 €.
49
Die Anfechtung des Klägers ist aber auch nicht gemäß § 130 InsO erfolgreich.
50
Angesichts der zeitlichen Abfolge kommt hier nur eine Anfechtung § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO in Betracht. Der Beklagte hätte dann im Zeitpunkt der Vollstreckung wissen
müssen, daß die Schuldnerin zahlungsunfähig war.
51
Diese Voraussetzung hat der Kläger nicht zureichend dargetan. Allerdings hat der
Kläger nach dem Hinweis des Gerichts vom 28.8.2005 vorgetragen, daß der Beklagte
Kenntnis von der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin gehabt habe. Wörtlich heißt es
sodann: "Dies ist der Fall, wenn zu Mitteln der Zwangsvollstreckung gegriffen wird."
52
Dieser Vortrag reicht nicht aus. Denn natürlich ist nicht jeder Schuldner, gegen den
vollstreckt wird, zahlungsunfähig.
53
Weiter hat der Kläger behauptet, daß dem Beklagten von dem Geschäftsführer der
Schuldnerin, dem Zeugen S., im Vorfeld der Zwangsvollstreckung die
Zahlungsunfähigkeit mitgeteilt worden sei (vgl. den Vortrag im Schriftsatz vom 14.9.2005
auf S. 4 = Bl. 42 GA und im Schriftsatz vom 17.10.2005 auf S. 1 mit Bezugnahme auf die
Anlage K 10, vgl. Bl. 55 und 80 GA).
54
Auch dieser Vortrag genügt ersichtlich nicht für die Einvernahme des Zeugen. Zu Recht
hat der Beklagtenvertreter dazu im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.10.2005
die Ansicht vertreten, daß eine Anhörung des Zeugen S. auf eine unzulässige
55
Ausforschung hinauslaufe. Denn seitens des Klägers ist in keiner Weise detailliert
geschildert worden, zu welchem Zeitpunkt der Beklagte von dem früheren
Geschäftsführer der Schuldnerin auf die vorliegende Zahlungsunfähigkeit hingewiesen
worden sein soll. Insbesondere hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen, daß dem
Beklagten dieser Hinweis innerhalb der letzten drei Monate vor dem 13. bzw. dem
20.1.2004 erteilt worden sein soll.
Auch aus den Angaben des Beklagten selbst folgt kein anderes Ergebnis. So gab der
Beklagte bei seiner informatorischen Anhörung an, vor dem damaligen Prozeß gegen
die Schuldnerin über deren schlechte finanzielle Situation unterrichtet worden zu sein.
Der Geschäftsführer der Schuldnerin habe damals allerdings davon gesprochen, Raten
zahlen zu können. Zu keinem Zeitpunkt habe ihm der Geschäftsführer gesagt, daß die
Firma "pleite" sei. Nach dem Erlaß des Urteils und vor der Zwangsvollstreckung - die
dann zu den hier streitigen Zahlungen führte - habe er nicht mehr mit dem
Geschäftsführer der Schuldnerin gesprochen.
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Legt man diese Angaben des Beklagten als zutreffend zu Grunde, so kann daraus nicht
geschlossen werden, daß ihm - drei Monate vor den Vollstreckungsversuchen aus dem
Januar 2004 - die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin positiv bekannt gewesen wäre.
So ist gerichtsbekannt, daß sich vielfach Schuldner damit "herausreden" wollen, nicht
zahlungsfähig zu sein. Gerade das Anbieten von Raten spricht dann aber gegen eine
bestehende Zahlungsunfähigkeit. Hinzu kommt, daß dem Vortrag des Beklagten nicht
mit der nötigen Bestimmtheit entnommen werden kann, wann die Gespräche geführt
wurden.
57
Dem Kläger hilft dabei auch nicht, daß die Richtigkeit der Angaben des Beklagten in der
Sitzung bestritten wurden (vgl. S. 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom
18.10.2005 = Bl. 53R GA). Dabei wird von Seiten der Klägervertreter offenbar verkannt,
daß es Sache des Klägers ist, die Kenntnis des Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit
positiv zu beweisen. Es hilft dem Kläger daher nicht, wenn die Angaben bestritten
werden; vielmehr hätte der Kläger seinerseits die Kenntnis des Beklagten darlegen und
beweisen müssen. Daran fehlt es jedoch gerade.
58
Nach alledem sind die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 130 InsO nicht
zureichend dargetan worden und die Anfechtung nach § 131 InsO scheitert daran, daß
es sich um einen Fall der kongruenten Deckung handelt. Die Klage unterliegt daher in
vollem Umfang der Abweisung.
59
Die prozessualen Entscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 Satz
1 ZPO.
60
Streitwert: 3.481,99 e
61