Urteil des AG Kerpen vom 29.10.1998
AG Kerpen (zuständigkeit, abteilung, rechtshängigkeit, eigentum, zeitpunkt, zustellung, sache, dispositionen, verwalter, verfahrenskosten)
Amtsgericht Kerpen, 15 II 46/98
Datum:
29.10.1998
Gericht:
Amtsgericht Kerpen
Spruchkörper:
Abteilung 15
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 II 46/98
Tenor:
Es wird festgestellt, daß die WEG-Abteilung des Amtsgerichts Kerpen für
die Entscheidung des Verfahrens zuständig ist.
Die Entscheidung in der Sache - einschließlich der Kostenentscheidung
- bleibt dem Schlußbeschluß vorbehalten.
G R Ü N D E :
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Das Verfahren ist vor der WEG-Abteilung durchzuführen; das Verfahren ist nicht an das
für die Antragsgegner zuständige Prozeßgericht abzugeben.
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Zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen dem WEG-Gericht und dem Prozeßgericht
vertritt der BGH in ständiger Rechtsprechung (BGHZ 44, 43 = NJW 1965, 1763; BGHZ
106, 34 = NJW 1989, 714 f.) die Ansicht, daß maßgeblich darauf abzustellen ist, ob der
Beklagte (bzw. Antragsgegner) bei der Zustellung der Klageschrift (Antragsschrift) - also
im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit - noch Miteigentümer war oder ob er sein Eigentum
zu diesem Zeitpunkt schon verloren hatte. Die Zuständigkeit der WEG-Gerichte soll
dabei nur dann gegeben sein, wenn der Beklagte (Antragsgegner) im Zeitpunkt der
Rechtshängigkeit des Anspruches noch Miteigentümer war. Dieser Auffassung ist die
Rechtsprechung (vgl. BayObLG, Beschluß vom 29.1.1975 - BReg. 2Z 63/74 -, Rpfleger
1975, 245; Beschluß vom 11.5.1978 - 2Z 26/79 -, Rpfleger 1979, 318; Beschluß vom
24.8.1978 - BReg. 2Z 46/78 -, juris CD-ROM, 7. Aufl.; Beschluß vom 4.9.1986 - BReg.
2Z 82/86 -, BayObLGZ 1986, 348 = WuM 1987, 166; Beschluß vom 2.6.1987 - BReg. 2Z
49/87 -, WuM 1987, 333 = WE 1988, 63; OLG Hamm, Beschluß vom 29.6.1981 - 15 W
169/80 -, OLGZ 1982, 20 = Rpfleger 1981, 440; OLG Köln, OLGZ 1984, 399 [401] =
JMBl. NW 1985, 269) und die Literatur weithin gefolgt (Bärmann/Pick, WEG, 14. Aufl., §
43 Rdn. 2; Merle, in: Bärmann/Pick/Merle, 7. Aufl., § 43 Rdn. 27; siehe zu weiteren
Nachweisen auch BGH, a.a.O. S. 714 a.E.).
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Die - wohl im Vordringen befindliche - Gegenansicht hält demgegenüber dafür, daß die
Forderung der Gemeinschaft auf Wohngeld auch dann vor das WEG-Gericht gehört,
wenn der (frühere) Wohnungseigentümer bei der Zustellung der Klage- bzw.
Antragsschrift bereits aus der Gemeinschaft ausgeschieden ist (aus der Rechtsprechung
vornehmlich KG, Beschluß vom 20.4.1988 - 24 W 4878/87 -, ZMR 1988, 312 = NJW-RR
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1988, 842 = WE 1988, 103; LG Krefeld, Beschluß vom 27.6.1979 - 1 T 54/79 -, ZMR
1980, 189; aus der Literatur: Wenzel, Sonderausgabe des Staudinger zum WEG, 12.
Aufl., § 43 Rdn. 9; Briesemeister, Aus der Rechtsprechung des KG zum
Wohnungseigentumsrecht, ZMR 1998, 321 [326]; Weitnauer, WEG, 8. Aufl., § 43 Rdn.
14; Deckert, in: Deckert, Die Eigentumswohnung, Stand: 1998, Gruppe 7, Das
gerichtliche Verfahren in Wohnungseigentumssachen, Abschnitt 2.3, S. 14a f.; Röll,
MünchKomm, 3. Aufl., § 43 Rdn. 25; Sauren, Rpfleger 1988, 18).
Das Gericht schließt der (wohl) im Vordringen befindlichen Ansicht an.
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Die herrschende Ansicht stützt sich im wesentlichen darauf, daß bei einem
ausgeschiedenen Wohnungseigentümer nicht mehr von einem Streit der
"Wohnungseigentümer untereinander" gesprochen werden könne. Außerdem sei es
nicht unbedingt erforderlich, das Verfahren gegenüber dem ausgeschiedenen
Wohnungseigentümer im Wege des "schnellen WEG-Verfahrens" nach § 43 Abs. 1
WEG zu betreiben (vgl. BGH, NJW 1989, 714 [715]).
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Beide Argumente verfangen indes nach Auffassung des Gerichts nicht.
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So hat das KG (a.a.O.) bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß die Zuständigkeit aus
§ 43 Abs. 1 WEG problemlos sachbezogen interpretiert werden kann. Für die
Zuständigkeit der WEG-Gerichte genügt es daher, daß der Anspruch "seine Grundlage
im gemeinschaftlichen Eigentum oder in der Verwaltung des gemeinschaftlichen
Eigentums hat" (vgl. a.a.O. S. 313).
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Weiter spricht für die hier vertretene Ansicht, daß - auch nach der Rechtsprechung des
BGH (vgl. BGHZ 59, 58 [62]; 65, 264 [266]; 78, 57 [63]) - Ansprüche aus dem
Gemeinschaftsverhältnis, die von dem oder gegen den ausgeschiedenen Verwalter
verfolgt werden, vor den WEG-Gerichten auszutragen sind. Für die differenzierte
Betrachtung des BGH, je nachdem, ob es sich um einen ausgeschiedenen Verwalter
oder aber um einen ausgeschiedenen Wohnungseigentümer handelt, lassen sich
überzeugende Argumente nicht finden. Soweit der BGH in dem Beschluß vom
24.11.1988 Gründe für die Zuständigkeit der WEG-Gerichte in Verfahren mit Beteiligung
eines ausgeschiedenen Verwalters findet, sprechen diese Argumente jedenfalls nicht
gegen eine Zuständigkeit der WEG-Gerichte auch gegenüber ausgeschiedenen
Wohnungseigentümern.
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Außerdem ist zu bedenken, daß nach zutreffender Ansicht ein aus der Gemeinschaft
ausgeschiedener Wohnungseigentümer in der Lage sein muß, noch solche Beschlüsse
anzufechten, die vor seinem Ausscheiden aus der Gemeinschaft gefaßt wurden (vgl.
Wenzel, a.a.O., § 43 Rdn. 10 m.w. Nachw.). Solche Anfechtungsanträge müssen schon
deshalb nach § 43 Abs. 1 WEG im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
entschieden werden, weil anders die Rechtskrafterstreckung nach § 45 Abs. 2 WEG
nicht erreicht werden kann.
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Damit bietet die Rechtsprechung aber hinsichtlich der Zuständigkeit der WEG-Gerichte
ein zerrissenes und in sich widersprüchliches Bild: Während für die Verfahren mit
ausgeschiedenen Verwaltern und für die Verfahren von ausgeschiedenen
Wohnungseigentümern - soweit sie sich gegen Beschlüsse der Gemeinschaft wenden -
die WEG-Gerichte zuständig sein sollen, soll anderes nur für die Zahlungsklagen gegen
ausgeschiedene Wohnungseigentümer gelten. Dies vermag nicht zu überzeugen.
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Weiter läßt sich für die Zuständigkeit der WEG-Gerichte anführen, daß nur auf diese
Weise die Einheitlichkeit des Instanzenzuges gewahrt werden kann. Dies dient dazu,
möglichst sich widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.
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Würde man der Rechtsprechung des BGH folgen, so wäre es ohne weiteres denkbar,
daß bei ein und derselben Beschlußlage in einer Gemeinschaft ein Mitglied vor dem
WEG-Gericht erfolgreich auf Zahlung in Anspruch genommen werden könnte, während
ein gleicher Antrag beim Prozeßgericht der Abweisung unterliegt (oder umgekehrt).
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Die Gefahr unterschiedlicher Gerichtsentscheidungen ergibt sich sogar dann, wenn ein
Wohnungseigentümer einzelne von mehreren in seinem Eigentum stehender Einheiten
bereits veräußert hat, andere hingegen behalten hat. Denn in konsequenter Fortführung
der Rechtsprechung des BGH müßte es dann an sich zu einer Verfahrensaufteilung
kommen: Das WEG-Gericht wäre nur hinsichtlich der Einheiten zur Entscheidung über
die Wohngeldforderung zuständig, welche sich noch im Eigentum des Antragsgegners
befinden (vgl. dazu auch Weitnauer, a.a.O. mit Hinweis auf eine Entscheidung des KG,
die nach dem Beschluß des BGH vom 24.11.1988 ergangen ist). Im übrigen müßte -
unter Anlegung einer Zweitakte - das Verfahren an das Prozeßgericht abgegeben
werden. Daß eine solche Aufspaltung der Zuständigkeit mit der Gefahr
widersprüchlicher Entscheidungen möglichst zu vermeiden ist, liegt auf der Hand. Das
AG Kerpen hat daher auch schon durch zwei Beschlüsse vom 3.12.1996 (in dem
Verfahren 15 II 67/96) und vom 27.2.1997 (in dem Verfahren 15 II 20/95) entschieden,
daß jedenfalls dann die WEG-Abteilung umfassend für den Zahlungsantrag gegenüber
dem ausgeschiedenen Wohnungseigentümer zuständig bleibt, wenn dieser noch über
weitere Einheiten in der gemeinschaftlichen Anlage verfügt.
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Aber auch in den Fällen, in welchen der Antragsgegner bereits bei Rechtshängigkeit
"vollständig" aus der Gemeinschaft ausgeschieden ist, ist die Zuständigkeit der WEG-
Abteilung eröffnet.
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Denn die Abgrenzung nach dem (Verlust) der Eigentümerstellung erweist sich nach
Ansicht des Gerichts als kein sachlich geeignetes Kriterium für die
Zuständigkeitsbestimmung. Neben den bereits erwähnten Gründen spricht gegen diese
Zuständigkeitsverteilung, daß der Beklagte (Antragsgegner) vielfach aus rein zufälligen
Gründen seine Eigentümerstellung vor der Zustellung der Klageschrift (Antragsschrift),
die erst die Rechtshängigkeit begründet (vgl. Wenzel, a.a.O., Vorbem. zu §§ 43 ff. WEG,
Rdn. 37), verloren haben wird.
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Weiter spricht für die Zuständigkeit der WEG-Gerichte, daß diese auch sonst für die
Zahlungsansprüche gegen Wohnungseigentümer zuständig sind und daher eher als
das Prozeßgericht mit der einschlägigen Materie vertraut sein dürften. Es erscheint
daher wenig überzeugend, diesen Vorteil der größeren Sachnähe und Erfahrung auf
diesem Rechtsgebiet ohne zwingenden Grund aufzugeben.
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Die von BGH vertretene Auffassung zur Zuständigkeit der Prozeßgerichte läßt sich nach
der hier vertretenen Auffassung auch nicht stichhaltig mit dem Gesichtspunkt der
"Rechtssicherheit" in der Zuständigkeitsfrage rechtfertigen. Gegen die Beibehaltung der
Rechtsprechung des BGH spricht dabei, daß für diese - über die rein formale Frage der
Eigentümerstellung - keine nennenswerten Sachargumente zu finden sind. Erschöpft
sich aber die Begründung der Zuständigkeit der Prozeßgerichte, die zudem wegen der
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differenzierenden Behandlung zwischen ausgeschiedenen Wohnungseigentümern
einerseits und ausgeschiedenen Verwaltern andererseits inhaltlich nicht zu überzeugen
vermag, in der bloßen Berufung auf eine langjährige Übung der Gerichte, so kann dies
für sich alleine nicht auf Dauer eine tragfähige Grundlage abgeben.
Hinzu kommt, daß das Vertrauen der Beteiligten in die Rechtsprechung zur
Zuständigkeitsfrage nur in geringem Umfang als schützenswert erscheint. Während bei
der Änderung einer Rechtsprechung zu materiell-rechtlichen Fragen die Dispositionen
der Parteien in besonderer Weise betroffen sein können, ist dies bei der Frage nach der
Zuständigkeit der Gerichte nicht in gleicher Weise erkennbar. Denn die Bedeutung der
Zuständigkeitsfrage liegt alleine darin festzulegen, welches Gericht über den
anhängigen Anspruch zu entscheiden hat. Unter diesem Blickwinkel werden die
Parteien (oder auch die Beteiligten) ohnehin ihr Verhalten nicht einrichten. Allenfalls ist
zu bedenken, daß durch den Zuständigkeitsstreit Zeit und - über die Verfahrenskosten -
Geld für die Parteien verloren gehen kann. Hier erscheint dem Gericht aber nicht zuletzt
wegen § 17a GVG, der nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGH, NJW 1995, 2851
[2852] und Wenzel, a.a.O., § 46 Rdn. 4 m.w. Nachw.) auch auf das Verhältnis der WEG-
Gerichte zu dem Prozeßgericht anzuwenden ist, ein zureichender Schutz vorhanden:
Trägt nämlich eine Partei - wie hier - die Zuständigkeitsfrage an das Gericht heran oder
erweist sich die Zuständigkeitsfrage von selbst als problematisch, so bleibt es dem
angerufenen Gericht unbenommen, vorab darüber zu entscheiden. Für diesen Streit ist
aber hinsichtlich der Bemessung des Streitwertes bzw. des Geschäftswertes nur ein
Bruchteil (von 1/3 bis 1/5) des Betrages anzusetzen, der sonst den Streit in der
Hauptsache ausmacht (vgl. Wenzel, a.a.O., § 48 Rdn. 33 m.w. Nachw.). Weiter liegt es
hier auch in besonderer Weise in der Hand der Parteien, die "bloße"
Zuständigkeitsentscheidung des angerufenen Gerichts zu akzeptieren oder bereits
diesen Streit "bis zum Ende" durchzufechten. Hier steht jedenfalls ein Vertrauensschutz
nicht in gleicher Weise im Raum, wie dies für materiell-rechtliche Fragen mit den
entsprechenden Dispositionen der Beteiligten im Vorfeld einer gerichtlichen
Auseinandersetzung zu gelten hat.
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Sprechen nach alledem so gravierende Gründe für eine Änderung der Rechtsprechung
in dieser Zuständigkeitsfrage, so rechtfertigt alleine die langjährige Praxis des BGH, die
Prozeßgerichte für zuständig zu halten, kein Festhalten an dieser Rechtsprechung.
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Um die Verfahrenskosten möglichst gering zu halten und um zunächst eine Klärung
über die Frage der Zuständigkeit zu ermöglichen, hat das Gericht noch von einer
Entscheidung in der Sache selbst abgesehen. Dies gerade auch deshalb, um den
Beteiligten die Möglichkeit zu geben, erst die Frage der Zuständigkeit der WEG-
Abteilung gemäß § 17a GVG einer abschließenden Klärung zuzuführen.
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Erst nach der abschließenden Klärung der Zuständigkeitsfrage soll in der Sache
entschieden werden.
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