Urteil des AG Euskirchen vom 19.08.2008

AG Euskirchen: freistellung von der arbeit, unbestimmte dauer, treu und glauben, erwerbstätigkeit, eltern, pflege, schule, adoption, krankheitsfall, differenzmethode

Amtsgericht Euskirchen, 18 F 284/08
Datum:
19.08.2008
Gericht:
Amtsgericht Euskirchen
Spruchkörper:
18. Familienabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 F 284/08
Tenor:
Unter Abweisung der Klage im übrigen wird der Vergleich vom 9. 12.
1998 – AG F 19 F 347/98- dahin abgeändert, dass der Kläger ab
Oktober 2008 nur noch verpflichtet ist, an die Beklagte einen
monatlichen nachehelichen Unterhalt i.H.v. 300,--€ bis längstens
einschließlich September 2010 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 53 % und die Beklagte
zu 47 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Eine Abwendung einer
Zwangsvollstreckung bleibt jeder Seite vorbehalten gegen
Sicherheitsleistung i.H. v. 110 % des jeweils vollstreckten Betrages.
Tatbestand
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Die Parteien sind seit 1998 geschiedene Eheleute. Sie lebten nur rd 5. Monate in
ehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Aus der Beziehung ist das Kind U, geb. am
24. 9. 1996 hervorgegangen, die etwa 2 Monate nach der Hochzeit geboren wurde. Die
Beklagte ist gelernte Friseurin, hat vor der Hochzeit zuletzt im J in F gearbeitet. Der
Kläger ist angestellter Dachdeckermeister im elterlichen Betrieb. Er hat wieder
geheiratet. Seine jetzige Ehefrau ist teilzeit beschäftigt. Diese hat ein Kind mit in die
Ehe gebracht, welches der Kläger im Jahre 2006 adoptiert hat. Es ist eine am 5. 8. 2001
geborene Tochter namens B.
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Mit der Klage verfolgt der Kläger das Ziel, den im Jahre 1998 anläßlich der Scheidung
abgeschlossenen Vergleich abgeändert zu bekommen. In diesem hat er sich
verpflichtet, nachehelichen Unterhalt an die Beklagte i.H.v. 715,81€ (= 1.400,--DM)
monatlich zu zahlen. Er ist der Ansicht, dass er nun mit der seit Januar 2008 in Kraft
getretenen Unterhaltsrechtsreform der Zeitpunkt gekommen sei, nunmehr die Zahlung
von Betreuungsunterhalt einzustellen. Die Beklagte sei gelernte Frisörin. Sie erziele
bereits ein Nebeneinkommen. In jedem Fall sei sie gehalten, einer Erwerbstätigkeit
nach zu gehen. Die Ehe sei nur kurz gewesen. Es sei die Beklagte gewesen, die den
Umgang des Vaters mit dem Kind unmöglich gemacht habe in der Vergangenheit. Sie
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habe auch versucht, die Adoption (7 XVI 2/06 AG F) des in die neue Ehe mitgebrachten
Kindes B, geb. am 5.8.2001 zu verhindern. Die Beklagte lebe bei ihren Eltern im Haus,
die Rentner seien und in den letzten Jahren häufig nach Kenntnis des Klägers
diejenigen gewesen seien, die das Kind versorgt hätten. Der alte Ehegattenunterhalt
könne deshalb nicht mehr fortgeschrieben werden. Der Kläger macht eine
Unterhaltsrechnung mit einem fiktiven Einkommen der Beklagen aus vollschichtiger
Tätigkeit i.H.v. Netto 1.000,--€ auf, wonach Unterhalt nicht mehr geschuldet wird. Auch
unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Kind U zumindest im "Anfangsstadium"
krank gewesen sei, könne eine langfristige Unterhaltsverpflichtung aus der kurzen ehe
nicht abgeleitet werden. Der Kläger hat seit Jahren keinen Kontakt zur Tochter mehr. Er
weist die Verantwortung hierfür der Beklagten zu. Diese habe den Umgang mit dem
Kind nicht zugelassen. Obwohl er keine genaue eigene Kenntnis vom
Gesundheitszustand des Kindes hat, geht er davon aus, dass die gesundheitlichen
Probleme der Tochter inzwischen weitestgehend ausgestanden sein müssten.
Ansonsten lebe die Beklagte im Hause ihrer Eltern, die ihr bei der Betreuung des
Kindes helfen würden. Die Krankheit von U habe die Beklagte auch nicht gehindert,
Männerbekanntschaften zu pflegen. Entgegenkommender Weise ist er übergangsweise
bereit, jedenfalls bis Jahresende 2008 noch monatlich 300,--€ zu zahlen.
Er beantragt,
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unter Abänderung des Vergleichs vom 9. 12. 1998 – AG F 19 F 347/98- wird
festgestellt, dass der Kläger ab 01. Januar 2008 nur noch verpflichtet ist, an
die Beklagte einen monatlichen nachehelichen Unterhalt i.H.v. 300,--€ zu
zahlen, sowie ab 1. Dezember 2008 der Unterhaltsanspruch ganz entfällt.
5
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, dass sie keine Erwerbsverpflichtung treffe. Die Tochter leide seit
ihrer Geburt an einem sog. Pfapa-Syndrom (
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die mit häufig auftretenden Fieberschüben aufgrund eines Immundefekts einhergehe.
Die Beklagte legt ein Attest der behandelnden Kinderärzte Dr. S und M1 vom 28.4.2008
vor. Danach äußert sich das Pfapa-Syndrom bei der Tochter neben dem periodisch
etwa alle 2-3 Wochen auftretenden Fieberschüben für 4 – 7 Tage auch durch
Lymphdrüsenschwellungen am Hals, unter den Armen, dem Bauchraum und den
Leisten. Dazu kämen aphtöse Schleimhautveränderungen in Mund und Rachen, seit
Sommer 2007 auch am After, verbunden mit hohem Fieber, Brechen und Durchfall,
Gelenkentzündungen- zeitweise an Knien und Füßen, geschwollene Finger und starker
Beeinträchtigung des Allgemeinzustands. Es sei in der Vergangenheit zu insgesamt 9
Lungenentzündungen gekommen. Während der Fieberschübe könne sich das Kind
nicht allein versorgen, weil jede Bewegung schmerzhaft sei. Eine Prognose sei nicht
möglich, Nach dem jetzigen Kenntnisstand der Medizin gebe es kein
Behandlungskonzept, wodurch die Erkrankung zur Heilung zu bringen sei.
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Die Beklagte trägt im nachgelassenen Schriftsatz vom 31.7.08 vor, im Schnitt habe das
Kind in den Jahren 2003 bis 2007 jährlich etwa 120 Krankheitstage gehabt. Im letzten
Schuljahr #####/####habe U 26 Fehltage in der Schule aufgewiesen und die Beklagte
hätte sie ca. 16 mal früher oder später aus dem Unterricht holen müssen. Allein im
9
Zeitraum vom 21. 1. 2008 bis zum 21. 7. 2008 sei das Kind 68 Tage krank gewesen. Der
Beklagten sei deshalb eine geregelte Arbeit nicht möglich. Nur aufgrund des enormen
Einsatzes der Beklagten, sei das Kind bisher in der Schule mitgekommen. Im zugleich
eingereichten Attest der Kinderärztin Dr. X vom 17. 7. 2008 heißt es, dass aufgrund der
langen, ernsten Krankheitsgeschichte die Mutter-Kindbindung extrem stark sei und die
bei gesunden Kindern pubertätsbedingte Lösung von den Eltern noch nicht
stattgefunden habe. Es wäre dem Kind keinesfalls zuzumuten, jede 1. bis 3. Woche im
Krankenhaus zu verbringen.
In einem weiteren, (angekündigten, jedoch nicht nachgelassenen) Schriftsatz vom 5. 8.
2008 trägt sie vor, sie habe aus einer Putzstellen, wo sie 1x wöchentlich 45 Minuten
variabel arbeiten könne, Nebeneinkünfte i.H.v. 60,--€. Eine zweite Putzstelle befinde
sich in einem Friseursalon, Dort leiste sie Putzarbeiten von 1,5 Stunden im Rhythmus
von 2 Wochen mit ihr freigestellter Arbeitszeit, auch am Wochenende oder montags. Sie
erhalte keine Entlohnung, sondern ihrerseits kostenlos Friseurleistungen. Von Beginn
der 30. Kalenderwoche an habe U wieder einen Schub gehabt, der so gravierend
geworden sei, dass am Sonntag, den 27. 7. 2008 der Notarzt habe aufgesucht werden
müssen.
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Schließlich teilt die Beklagte in einem weiteren, nicht nachgelassenen Schriftsatz vom
13. 8. 08 mit, dass U erneut erkrankt sei. Im beigefügten Arztattest Dres. S – X heißt es,
dass U seit dem 7. 8.zunächst mit obstruktiver Bronchitis vorgestellt wurde, bei einem
erneut Termin in der Praxis sei eine Bronchopneumonie festgestellt worden und dass U
erneut zur Kontrolle vorgestellt werden müsse.
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Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
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Entscheidungsgründe
13
I.
14
Die Klage ist zulässig nach § 323 I, II und IV ZPO, jedoch nur zum Teil begründet nach
15
Das Gericht hat sich unbeschadet des § 308 II ZPO erlaubt, den gestellten
Feststellungsantrag als Abänderungsantrag auszulegen, da das Begehr des Klägers
eindeutig auf Abänderung des Titels gerichtet ist, Vergleiche als Titel in § 323 IV ZPO
aufgeführt sind und die negative Feststellung nur für solche Titel vorbehalten ist, die
nicht in § 323 ZPO aufgeführt sind.
16
II.
17
In materiell-rechtlicher Hinsicht, erkennt das Gericht auch unter Berücksichtigung des
Vorbringens in der Spruchfrist die Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs gem. §
1570 I S. 2 und 3 BGB in unveränderter Höhe für die Beklagte nur noch bis
einschließlich dem Monat, in welchem das Kind U 12 Jahre alt wird. Dies ist der
September 2008. Spätestens ab dem Monat danach sieht das Gericht für die Beklagte
eine teilschichtige Erwerbsobliegenheit bis längstens zur Vollendung des 15.
Lebensjahres des Kindes zu. Bis zu diesem Zeitpunkt hält das Gericht es für billig und
zumutbar aufgrund der Besonderheit des Kindes mit seiner schweren chronischen
Erkrankung der Beklagten unter Ansatz eines fiktiven teilschichtigen Ein kommens
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einen verminderten Unterhaltsanspruch zuzusprechen aufgrund der nachgewiesenen
erhöhten Betreuungsbedürftigkeit. Ab dem 15. Geburtstag des Kindes hält es das
Gericht in jedem Fall für unterhaltsrechtlich nach neuem Unterhaltsrecht geboten, dass
die Beklagte einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgeht und für ihren
Lebensunterhalt selbst sorgt, selbst für den Fall, dass keine Verbesserung im
Gesundheitszustand des Kindes eintritt. Inwieweit ab dem 15. Geburtstag dann ein
Unterhaltsanspruch nach anderen Anspruchsgrundlage, insbesondere nach § 1573 II
BGB (Aufstockungsunterhalt) gegeben sein könnte, brauchte vorliegend nicht
entschieden zu werden. Aufgrund der kurzen Ehedauer und nicht ersichtlicher
verfestigter ehebedingter Nachteile dürfte hierfür jedoch kaum eine Basis gegeben sein.
In § 1570 I S. 1 BGB n.F. wird bestimmt, dass ein Ehepartner auch nach der Scheidung
(Basis)Unterhalt mindestens 3 Jahre nach der Geburt wegen Pflege und Erziehung
eines gemeinschaftlichen Kindes Unterhalt verlangen kann. In S. 2 ist geregelt, dass
sich die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert, solange und soweit dies der
Billigkeit entspricht (Billigkeitsunterhalt). Dabei sind nach S. 3 die Belange des Kindes
und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen. Damit ist
klargestellt, dass es auch beim Billigkeitsunterhalt vorrangig um die Belange des Kindes
geht. In der alten Fassung des § 1570 I BGB hieß es dagegen, dass ein Ehepartner
Unterhalt verlangen kann, solange und soweit von ihm wegen Pflege und Erziehung
eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Dieser Vergleich zeigt sehr deutlich,
dass die Anforderungen an die Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit nach neuem Recht
erheblich verschärft worden sind. Es liegt nahe, sich bezüglich der Maßstäbe an der
bisherigen Rechtsprechung zu § 1615 l BGB zu orientieren, wonach die Frage der
Erwerbstätigkeit der Kindsmutter keineswegs in deren Ermessen stand. Zudem liegt die
Darlegungs- und Beweislast nunmehr eindeutig auf Seiten der Beklagten.
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Das Gericht wertet den Sach- und Streitstand so, dass die Beklagte dieser Darlegungs-
und Beweislast doch schon ausreichend genügt hat, allerdings bei großzügiger
Würdigung allenfalls soweit es die Situation bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres
betrifft. Das Kind U leidet sehr unter dem Pfapa-Syndrom und den fortlaufenden
weiteren Krankheitsbildern und hat von daher einen ganz erheblich gesteigerten
Betreuungsbedarf. Dieser wurde von der Beklagten umfassend dargelegt und auch
durch Arztatteste und Bescheinigungen der Schule untermauert. Das Kind hatte im Jahr
2007 118 Krankheitstage. Im ersten Halbjahr 2008 waren nach den glaubhaften
Angaben der Beklagten 68 Krankheitstage gegeben. Im Schuljahr #####/####lagen 26
Fehltage vor. Etwa 16 mal musste das Kind vorzeitig abgeholt werden. Für die
Nacharbeitung des Schulstoffs wurde vom Schulamt ein Hauslehrer bewilligt, der 2 mal
in der Woche kommt. Dies spricht für sich.
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Gleichwohl hält das Gericht es nicht für billig und dem neuen Unterhaltsrecht mit seiner
erheblich stärkeren Betonung der Eigenverantwortung von Ehegatten entsprechend,
wenn ein voller Betreuungsunterhaltsanspruch ohne jegliche Erwerbsverpflichtung über
die Vollendung des 12. Lebensjahres des Kindes hinaus bestünde. Die Beklagte hat ja
sogar selbst, schon für die Vergangenheit eine gewisse Erwerbstätigkeit eingeräumt. Es
ist für das Gericht deshalb selbst auf der Basis des Beklagtenvorbringen keineswegs
völlig klar, dass der Umfang der Erwerbstätigkeit das Maximum dessen wäre, was der
Beklagten möglich wäre. Sie arbeitet nach ihrer Darstellung lediglich als Putzkraft, ua. in
einem Friseursalon. Das Gericht kann nicht nachvollziehen, weshalb die Beklagte sich
offensichtlich nicht einmal bemüht hat bisher, in ihrem erlernten Beruf in der
geschilderten flexiblen Art und Weise, etwa als "Springerin" oder "Stand-by- Kraft zu
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arbeiten oder aber zeitlich flexibel mehr an Putzstellen zu finden. Es fehlt jeglicher
Vortrag zu irgendwelchen Bemühungen in diese Richtung.
Die Beklagte hat keineswegs ausreichend dargelegt, dass die Belange des Kindes den
von ihr gebrachten Einsatz für das Kind unumgänglich erfordern. Dies umfassend
darzulegen, ist jedoch nach der Neufassung des § 1570 I S. 3 1. Alt. BGB in vollem
Umfang Sache der Beklagten. Das Gericht fragt sich durchaus, ob bei der vorliegenden
Mutter-Kind-Konstellation es künftig noch den wohlverstandenen Belangen des Kindes
entspricht, wenn dessen körperliche Konstitution zur Grundlage eines vollen
Unterhaltsanspruchs der Mutter über das 12. Lebensjahr hinaus würde. Im zuletzt
eingereichten Arztattest ist selbst von der behandelnden Kinderärztin attestiert worden,
dass die Mutter-Kind-Bindung extrem stark wäre. Von der Gesamtkonstellation her,
erscheint zumindest zweifelhaft, wenn das nunmehr der Pubertät entgegen wachsende
Kind, und sei es unbewußt und ohne elterliche Beeinflussung, realisiert, dass gerade
seine Krankheit zur materiellen Basis des Lebensunterhalts der Mutter in
entscheidendem Masse beiträgt. Der mütterliche Pflegeeinsatz, so intensiv und
lobenswert er auch gemeint sein mag, könnte durchaus einer Verselbstständigung
entgegen stehen und dem Reifungsprozess des Kindes hinderlich sein. Es besteht
daher die nicht fernliegende kindswohlbezogene Besorgnis, dass sich die
Perpetuierung der derzeitigen unterhaltsrechtlichen Lage psychosozial für das Kind
ungünstig auswirken könnte. Es wäre Sache der darlegungsbelasteten Beklagten, diese
sich erkennbar aufdrängenden Bedenken auszuräumen. Daran krankt ihr Vorbringen
jedoch. Allein der Beweisantritt "Sachverständigengutachten" im Schriftsatz vom 31. 7.
08 kann diesen Mangel nicht ersetzen. Zuerst wäre die Beklagte gehalten, zu diesem
Punkt substantiiert vorzutragen.
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Der entscheidende Punkt ist jedoch folgender: Das Gericht verkennt nicht, dass bei U
ein krankheitsbedingt erheblich über dem Normalmass liegender Pflege- und
Betreuungsbedarf besteht. Das Vorbringen der Beklagten krankt aber vor allen Dingen
daran, dass keineswegs ausreichend dargelegt wird, dass dieser Pflege- und
Betreuungsbedarf nur von der Beklagten und niemand sonst erfüllt werden könnte. Nach
§ 1570 I S. 3 BGB sind die bestehenden Möglichkeiten zur Kinderbetreuung zu
berücksichtigen. Der Kläger weist zu Recht auf den Umstand hin, dass der Verlauf des
"Pfapa"-Syndroms bei U sehr schwer und auch mittlerweile außerordentlich
langgedehnt ausfällt. In den allermeisten Fällen verlieren sich die Beschwerden bereits
im Kleinkindalter. Im allgemeinen ist dieses Syndrom nach 2 bis 6 Jahren
selbstlimitierend (Quelle Wikipedia). Vom Kind her gesehen, erscheint es deshalb
durchaus zweifelhaft, ob eine weiterhin extrem intensive Betreuung durch die Mutter
seinem Wohl mehr entspricht als dies bei einer Betreuung auch durch Dritte, notfalls
gelegentlich auch im Krankenhaus (z.B. beim Fall der Lungenentzündung) gegeben
wäre. Die Beklagte geht auffallender Weise nicht auf den Vorhalt des Klägers ein, dass
die im selben Haus wohnenden, im Ruhestand befindlichen Großeltern als Helfer zur
Verfügung stehen. Auch die unentgeltliche Betreuungsmöglichkeit durch Verwandte
stellt eine Betreuungsmöglichkeit i.S. des § 1570 I S. 3 BGB dar. (Peschel-Gutzeit, Das
neue Unterhaltsrecht 2008, Rn 52, Borth, FamRZ 2008, 2, 7,
Kalthoener/Büttner/Niepmann 10. Aufl. 2008, Rn 471). Die Streitfrage, inwieweit
derartige Leistungen zu monetarisieren wären als berufsbedingter Aufwand bei der
Beklagten, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Auch im übrigen setzt sich
die Beklagte - wie es ihre Sache für eine umfassende Darlegung zur Begründung des
Billigkeitsanspruchs aus §§ 1570 I S. 2 und 3 BGB wäre – nicht mit anderen
Möglichkeiten auseinander, dritte Personen aus Verwandtschaft, Bekanntschaft,
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Nachbarschaft, Schuldfreundinnen des Kindes etc., aber auch ambulante Pflegedienste
als Helfer im Krankheitsfall einzubinden. Es erscheint bei einem demnächst 12 Jahre
alten Kind durchaus zumutbar, wenn nicht sogar für dessen weitere Entwicklung
geboten, Betreuung im Krankheitsfall auch und gerade durch Dritte zu suchen. Es
bestünde durchaus die Möglichkeit, dass professionelle Pflegekräfte über die
Krankenkasse zumindest teilfinanziert würden. U.U. kommt eine Pflegestufe für das
Kind in Betracht. Hierzu hat die Beklagte – obwohl sich das nach ihrem Vorbringen
aufdrängt – nicht vorgetragen. Schließlich wäre "normalerweise" eine einigermaßen
naheliegende Betreuungsmöglichkeit im Bereich des Klägers und dessen Haushalt. Er
ist schließlich der Vater des Kindes. Warum und weshalb von dort aus keinerlei
Betreuung möglich oder auch nur abgefragt werden könnte, wäre Sache der Beklagten
vorzutragen. Die Beklagte hat sich zu der Behauptung des Klägers, der Kontaktabbruch
sei von ihr verursacht und gewollt gewesen, nicht näher geäußert. Dies auch nicht, als
das Gericht in der mündlichen Verhandlung beide Eltern danach fragte. Es wäre nach
der neuen Rechtslage (Darlegegungslast !!) Sache der Beklagten, die Gründe für den
Kontaktabbruch und den Verlust dieser ansonsten naheliegende
Betreuungsmöglichkeiten vorzutragen, insbesondere, dass die Gründe hierfür nicht in
ihrem Verantwortungsbereich liegen. Die Beklagte hat auch weder vorgetragen noch
behauptet, alleinsorgeberechtigt zu sein.
Einen rechtlichen Anhaltspunkt dafür, nur bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres, der
Beklagten als Mutter bei der Betreuung und Pflege des Kindes im Krankheitsfall den
Vorrang zu belassen, bieten die Vorschriften des SGB V, bzw. der Beamtengesetze.
Danach können Eltern bis zum Lebensalter von 12 Jahren Freistellung von der Arbeit
bei Erkrankung eines Kindes verlangen. ( 4 Tage bezahlte,+ max. 10 Tage unbezahlte
Freistellung). Es liegt somit eine gesetzliche Wertung vor, bis zu welcher Altersgrenze
grundsätzlich eine krankheitsbedingte Betreuung des Kindes gegenüber der
Erwerbsverpflichtung (s. § 1569 n.F. BGB) und den damit korrelierenden Pflichten einem
Arbeitgeber als vorrangig anzusehen ist. Dies hält das Gericht auch für Fälle der
vorliegenden Art für richtig. Es kann selbst bei einem chronisch schwer kranken Kind
unter der Geltung des neuen Unterhaltsrechts nur in extremen Ausnahmefällen
anzunehmen sein, dass ein betreuender Elternteil auf unbestimmte Dauer von seiner
ihn grundsätzlich immer treffenden Erwerbsverpflichtung (s. § 1569 BGB n.F.) freigestellt
bleibt. Für einen solchen extremen Ausnahmefall trägt die Beklagte nicht ausreichend
vor. Immerhin ist zu sehen, dass U in der Lage ist, wenn auch mit Problemen die Schule
zu besuchen. Auf die sich aufdrängenden Fragen bezüglich der extrem starken Mutter-
Kind-Bindung und die dadurch fraglos erschwerte Gesundung und Individuation des
Kindes wurde bereits eingegangen. Es fällt schließlich auf, dass die relative Zahl der
angegebenen Krankheitstage (durchschnittlich knapp über 120 im Jahr = ca. 30 %)
höher liegt als diejenige der Fehltage in der Schule (25 bei etwa 190 Schultagen im
Jahr = rd. 13 %. Selbst wenn man die Tage mit vorzeitigem Verlassen oder verspätetem
Besuch der Schule hinzu nimmt (ca. 40-41 Tage) ergibt sich mit rd. 23 % keine
rechnerische Konkordanz. Diese Ungereimtheiten müssen im Rahmen der Frage, ob
eine Krankheitsdisposition über das vollendete 12. Lebensjahr hinaus vorrangig vor
einer Erwerbsverpflichtung geht, zu Lasten der darlegungsbelasteten Beklagten gehen.
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Schließlich ist im Rahmen des Billigkeitsunterhalts nach § 1570 I S. 2 BGB ein zu
beachtenden Umstand, dass die Ehe der Parteien nur sehr kurz war. Auch paßt nicht zur
Billigkeit eines Unterhaltsanspruchs nach § 1570 I S. 2 BGB, dass die Beklagte – sie hat
nicht widersprochen – die Adoption eines weiteren Kindes durch den Beklagten
versucht hat zu verhindern. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es
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bei dem vorliegenden Urteil nicht um eine Kürzung des Kindesunterhalts, sondern um
einen Unterhaltsanspruch der Mutter geht.
Insofern ist nach Auffassung des Gerichts rechtlich zu beachten, dass künftig etwaige
Mehrbelastungen durch Einbindung dritter Personen über einen Mehrbedarf beim
Kindesunterhalt - also als Anspruch des Kindes selbst – im Grundsatz dann gegen
beide Eltern ! - auszugleichen wäre. Dies ist nur konsequent, da ein etwaiger Pflege-
und Betreuungsbedarf beim Kind, und nicht bei der Beklagten entsteht. Von daher kann
es rechtlich auch nicht richtig sein, diesen Bedarf als Anspruch der Beklagten
auszugestalten.
26
Das Gericht nimmt deshalb bei der Beklagten ab November 2008 eine teilschichtige und
ab Vollendung des 14. Lebensjahres eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit der
Beklagten an.
27
III.
28
Der Kläger trägt für eine Abänderung des Titels ab Januar 2008 nicht ausreichend vor.
Eine Erwerbsobliegenheit der Beklagten besteht bis einschließlich September 2008
nicht (s.o. II.). Irgend ein durchgreifendes, konkret einzelfallbezogenes Vorbringen
dahin, dass sich die Geschäftsgrundlage des Vergleichs vom 9. 12. 1998 geändert
hätte, ist nicht gegeben. Die Behauptung, dass sich die im Anfangsstadium gegebene
Krankheit des Kindes inzwischen erledigt hätte, hat das Verfahren nicht bestätigt.
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Als gegenüber dem 9.12. 1998 geänderter Umstand neben der neuen Rechtslage wird
lediglich die Adoption eines weiteren Kindes im Mai 2006 vorgetragen. Der Kläger hat
jedoch trotz der Adoption den im Alttitel aufgeführten Betrag nunmehr seit fast 10 Jahren
unverändert weiter gezahlt und dadurch zum einen gezeigt, dass er ausreichend
leistungsfähig ist; zum anderen hat er einen zugunsten der Beklagten streitenden
Vertrauenstatbestand geschaffen und unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§
242 BGB) einer Berufung auf den Wegfall der Vergleichsgrundlage so den Boden
entzogen. Schließlich will das Gericht nicht verhehlen, dass das angegebene
Einkommen des Klägers eine wenig überzeugende Größe ist. Sein (Fest)Einkommen
als angestellter Dachdeckermeister im elterlichen Betrieb ist eine durchaus gestaltbare
betriebliche Größe (die natürlich im Hinblick auf die ansonsten ansteigende
Gewerbesteuer nicht völlig beliebig geregelt werden kann.). Immerhin räumt der Kläger
ein, dass konkreter Lebensbedarf (z..B. Reiten seiner Ehefrau) durch die Eltern
zusätzlich gedeckt wird. Ohne konkretes weiteres Vorbringen kann das angegebene
Einkommen nach Auffassung des Gerichts nicht zur Grundlage einer
Unterhaltsberechnung gemacht werden. Von daher ist auch eine Rechnung nach der
Differenzmethode.
30
Die Rechtsänderung ab 1. 1. 2008 wurde vom Gericht im dargelegten Umfang (ab
Oktober 2008) berücksichtigt. Insoweit wird auf die Ausführungen in II. Bezug
genommen. In rechtlicher Hinsicht bedeutet das gefundene Ergebnis, dass die Ehefrau
spätestens ab Oktober 2008 im Rang unterhaltsrechtlich "zurückfällt" von der
Rangklasse aus § 1609 Nr. 2 nach Nr. 3 BGB. Vorliegend kam hierauf jedoch nichts an,
da gleichwohl von einer auch insoweit gegebenen Leistungsfähigkeit des Klägers
ausgegangen wird.
31
Konsequenterweise geht das Gericht mangels anderweitigen Vorbringens allerdings
32
auch bei der Beklagten davon aus, dass deren Bedarf der bisherigen Zahlung entspricht
und mit ihr gedeckt wurde. Eine Unterhaltsrechnung nach Differenzmethode mit Hilfe
eines fiktiven Einkommens der Beklagten ist daher ebenfalls weder sinnvoll noch
möglich. Vielmehr ist das vorliegend vom Gericht ab Oktober 2008 unterstellte
Einkommen des Beklagte voll auf ihren Bedarf anzurechnen. Dies läuft der Sache nach
zwar auf die sog. Additionsmethode hinaus, erscheint gleichwohl gerechtfertigt, da der
tragende Grund für die Differenzmethode die Wertung der Gleichrangigkeit von
Hausarbeit und Erwerbsarbeit in Ehe ist. Dieser Grund greift vorliegend aufgrund der
sehr kurzen Ehedauer praktisch nicht ein. Es ist nicht ersichtlich, dass die häusliche
Mitarbeit der Beklagten in der kurzen Ehe sich in irgendeiner Weise auf den vom Kläger
erreichten Lebensstandard ausgewirkt hätte und von daher eine Teilhabe der Beklagten
hieran geboten erschiene. Der somit der Beklagten ab Oktober 2008 noch
zuzuerkennende Unterhaltsanspruch beträgt gerundet 300,--€, mithin entsprechend dem
Betrag, den der Kläger "freiwillig" bis Jahresende 2008 zahlen will.
Das Gericht unterstellt bei der ab Oktober angenommenen halbschichtigen
Erwerbsverpflichtung der Beklagten in ihrem erlernten Beruf in Würdigung der
besonders schwierigen Situation mit dem Kind nur ein extrem maßvolles Einkommen
von rd. 416,--€ monatlich. Das vom Kläger angenommene fiktive (vollschichtige)
Einkommen i.H.v. 1.000,--€ netto hält das Gericht für übersetzt. Dem Gericht ist bekannt,
dass im Friseurhandwerk nur sehr "magere" Stundenlöhne gezahlt werden unter 8,--€
die Stunde. Es hat deshalb bei seiner Überschlagsrechnung für die Beklagte äußerst
günstige Annahmen zugrunde gelegt. Bei Ansatz von 75 Stunden monatlich (äußerst
maßvoll als halbschichtige Tätigkeit), nur 7,80,--€ Bruttostundenlohn und Steuerklasse 1
ergibt eine überschlägliche Rechnung netto rd. 485,--€, abzüglich Anreizsiebtel folgt
daraus ein anzurechnendes monatliches Nettoeinkommen von rd. 417. Etwaige
Trinkgelder hat das Gericht entgegenkommender Weise noch nicht veranschlagt.
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Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass die inzwischen 39 Jahre alte Beklagte als
gelernte Friseurin eine halbschichtige Tätigkeit finden könnte. Dass dies unmöglich
wäre, hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Es erscheint ohnehin merkwürdig, dass sie trotz
ihrer Berufsausbildung in einem Friseursalon nur als Putzkraft tätig ist. Die
Voraussetzungen für den Ansatz eines fiktiven Einkommens sind daher gegeben. .
34
Sollte sich der Gesundheitszustand des Kindes bis zur Vollendung des 14.
Lebensjahres nicht verbessert haben, hält das Gericht auf der Basis des derzeitigen
Sach- und Streitstands ab diesem Zeitpunkt eine vollschichtige Erwerbstätigkeit der
Beklagte gleichwohl für unterhaltsrechtlich zumutbar. Dies wurde bereits oben
dargelegt. Das Gericht ist der Meinung, dass auch bei Fortbestehen der
gesundheitlichen Situation U spätestens ab diesem Zeitpunkt ein Billigkeitsanspruch
aus § 1570 I S. 2 und 3 BGB nicht mehr herzuleiten ist. Kosten für die Betreuung des
Kindes – auch dies wurde schon oben dargelegt – wären als Mehrbedarf des Kindes
auszugleichen. Selbstverständlich wäre die Beklagte für den Fall einer Verbesserung
des Gesundheitszustands von U schon früher zur Aufnahme einer weitergehenden
Erwerbstätigkeit verpflichtet.
35
Eine weitergehende Begrenzung und/oder Herabsetzung des bis dahin dem Grunde
nach gesehenen Unterhaltsanspruchs in Anwendung des nunmehr zwingend zu
berücksichtigenden § 1578 b BGB hält das Gericht nicht für gerechtfertigt.
36
Für einen verlängerten Anspruch aus sog. elternbezogenen Gründen i. S. des § 1570 II
37
BGB ist nichts ersichtlich. Dasselbe gilt für etwaige weitere Anspruchsgrundlagen.
IV.
38
Die Kostentscheidung ergeht gem. § 91 I ZPO. Dabei hat das Gericht analog § 9 ZPO
als Rechengrundlage angenommen, dass vom 3,5 fachen Jahreswert der streitigen
Unterhaltsrente abzüglich des Betrages freiwillig angebotenen Betrages i.H.v. 300,--€
bis Ende 2008 auszugehen ist. Bezogen auf den Zeitraum von 42 Monaten lassen sich
die ausgeurteilten Quoten des wechselseitigen Obsiegens errechnen. Das gefundene
Ergebnis erscheint auch nicht unbillig. Zwar verteidigt die Beklagte den
Unterhaltsanspruch auf unbestimmte Dauer unbeschadet der Hoffnung, dass sich die
Krankheit des Kindes im Pubertätsalter endlich bessert. Andererseits erscheint es in
wirtschaftlicher Hinsicht nicht unwahrscheinlich, dass der Kläger anstelle des mit
diesem Urteil verringerten Ehegattenunterhalts in der näheren Zukunft mit einer
Forderung auf höheren Kindesunterhalt (Mehrbedarf) konfrontiert werden könnte. Dies
relativiert wirtschaftlich betrachtet den Prozesserfolg.
39
Die weiteren Nebenentscheidungen ergehen gem. §§ 709, 711 ff. ZPO.
40
V.
41
Der Gegenstandswert beträgt 26.464,02 € (42 (3,5 Jahre) x 715,81 – 12 x 300)
42