Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
17.04.2015

Strafgefangener beschäftigt Justiz mit mehr als 2.000 Klagen

figur erleuchtungKönnen Bürger Gerichte mit Hunderten Verfahren eindecken und dann für die lange Bearbeitung eine Entschädigung verlangen? Jedenfalls dürfen Gerichte auch die von mutmaßlichen Querulanten eingereichten Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer nicht pauschal als „offensichtlich haltlos“ behandeln und diese nicht weiter bearbeiten, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am Donnerstag, 16.04.2015, veröffentlichten Beschluss (AZ: B 10 ÜG 8/14 B). Vor Beendigung der Entschädigungsklage müsse der Kläger erst angehört werden. Andernfalls werde sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Konkret ging es um einen Gefangenen in einer Justizvollzugsanstalt in Baden-Württemberg. Laut BSG-Beschluss bereitet es „ihm Freude, die Gerichte zu beschäftigen oder gar lahmzulegen“. So führte er allein von 2005 bis 2012 rund 660 Verfahren beim Sozialgericht Karlsruhe und rund 1.240 Verfahren beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. Auch das oberste Sozialgericht in Kassel wurde bedacht. Dort waren von 2006 bis 2012 rund 260 Verfahren anhängig.

Der Kläger erwartete, dass seine Klageflut von den Gerichten nicht vertrödelt wird. So beantragte er wegen 138 Klageverfahren beim LSG eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Auf die einzelnen Verfahren ging er nicht ein, sondern listete im Wesentlichen die dazugehörigen Aktenzeichen auf. Vom Land Baden-Württemberg verlangte er für jedes Verfahren 1.200,00 € Entschädigung – insgesamt 165.600,00 €.

Die Verfahren seien beim Sozialgericht immer nach dem gleichen Schema abgelaufen. Das Sozialgericht habe die Klagen über Jahre hinweg nicht bearbeitet und dann mit unbegründeten Entscheidungen abgewiesen. Für seine Entschädigungsklagen hatte der Gefangene Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Anwalts beantragt. Beim LSG erhob er zudem weitere 127 Wiederaufnahmeklagen.

Doch die Lust des LSG, sich mit der Entschädigung für den mutmaßlichen Querulanten zu beschäftigen, hielt sich in Grenzen. Die insgesamt 138 Klagen auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer seien „offensichtlich haltlos“. Die Entschädigungsklagen ließen „auch nicht ansatzweise ein berechtigtes Interesse erkennen, weshalb sie als letztlich unbeachtliche Begehren auf sonstige Weise auszutragen sind und eine weitere Bearbeitung nicht zu erfolgen hat“. Der Kläger benutze die Klagemöglichkeit „in zweckwidriger, rechtsmissbräuchlicher Weise zum Aufbau seines Selbstwertgefühls und seiner Selbstdarstellung“, so das LSG.

Der Kläger sah damit sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Das LSG habe ohne sein Einverständnis ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter die Entschädigungsklagen beendet.

Vor dem BSG hatte der Kläger Erfolg. Er habe sein Anliegen nicht „völlig wirr“ vorgetragen, sondern die Entschädigungsklagen mit Aktenzeichen konkret benannt. Er habe die Zahlungsverpflichtung des Landes auch tatsächlich erreichen wollen.

Der Kläger sei zudem prozessfähig. Gutachter konnten auch trotz der Einreichung Hunderter Klagen keine schwere psychische Erkrankung feststellen. Der Mann habe lediglich eine „verfestigte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und querulatorischen Zügen“. Der Kläger wisse aber durchaus, was er wolle.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei hier verletzt worden, so das BSG. Das LSG habe die Entschädigungsklagen nicht einfach durch Nichtbearbeitung beenden dürfen. Dies sei grundsätzlich nur durch rechtskräftiges Urteil, einen Beschluss, Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, Vergleich oder durch Anerkenntnis möglich, heißt es in dem Beschluss vom 12.02.2015.

Das LSG habe die Verfahren beendet, ohne den Kläger – wie vorgeschrieben – anzuhören. Auch seien die ehrenamtlichen Richter nicht beteiligt worden. Das LSG müsse daher die Verfahren erneut prüfen. Dabei sei zu untersuchen, ob eine „objektive Klagehäufung“ vorliegt und Entschädigungsklagen zusammengefasst werden können.

Nach dem Gerichtskostengesetz könne “zur Förderung des Verfahrens” bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer vom Kläger auch ein Gerichtskostenvorschuss verlangt werden.

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